FC Bayern - Michael Cuisance blüht zum Saisonende auf: Mentalität frisst Phlegma

Von Dennis Melzer
Michael Cuisance kommt beim FCB langsam in Fahrt.
© getty

Michael Cuisance musste lange auf seine Chance beim FC Bayern warten. Zum Ende der Saison setzte er ein Ausrufezeichen - und erhielt nach dem 4:0-Sieg beim VfL Wolfsburg ein Sonderlob vom Coach.

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Doha, Katar, Anfang Januar dieses Jahres: Der FC Bayern hat sich zum zehnten Mal ins Emirat am Persischen Golf begeben, die Spieler schwitzen unter der arabischen Sonne, bereiten sich akribisch auf die Rückrunde vor. Auch Michael Cuisance, für den die Münchner im Sommer über zehn Millionen Euro an Borussia Mönchengladbach überwiesen hatten, ist mit von der Partie.

Zumindest physisch ist der Franzose anwesend, richtige Bindung zum Team scheint er nicht zu haben. Während der zahlreichen Spielformen, die in der zweiten und für die Medienvertreter zugänglichen Trainingseinheit absolviert werden, blitzt sein Können bisweilen auf, zumeist wirkt der 20-Jährige aber etwas lustlos, phlegmatisch und schleicht dann und wann mit gesenktem Haupt über den Platz.

Cuisance drängt sich nicht auf, Flick bleibt optimistisch

Cuisance, bis dato in 17 Bundesligaspielen mit lediglich 30 Minuten Spielzeit bedacht, vermittelt nicht den Eindruck, sich großartig aufdrängen zu wollen. Trainer Hansi Flick gibt mit Blick auf den U-Nationalspieler allerdings den Diplomaten.

"Micka ist sehr gut am Ball und hat ein tolles Spielverständnis", sagt der FCB-Coach, als er in kleiner Presserunde auf die Entwicklung des Youngsters angesprochen wird. Cuisance habe zum Ende der Hinrunde Verletzungspech gehabt. "Sonst hätte er mehr Einsätze bekommen." Generell könne der Mittelfeldmann "im Training sehr gut mithalten. Wir werden es beobachten." Flick hielt Wort.

Die erste komplette Halbzeit für die Bayern-Profis

Rund sechs Monate nach dem Trainingslager in Katar hat sich Cuisances Situation beim deutschen Rekordmeister zum Positiven verändert. Im Heimspiel gegen Fortuna Düsseldorf am 29. Spieltag durfte Bayerns Nummer elf erstmals eine ganze Halbzeit ran. 45 Minuten, in denen er zeigen konnte und wollte, dass er sehr wohl über die nötigen Qualitäten verfügt, um in der Bundesliga Fuß zu fassen.

Cuisance traute sich viel zu, ging häufig ins Eins-gegen-Eins, überdrehte aber in der einen oder anderen Situation, sodass am Ende ein Auftritt mit Licht und Schatten stand. Dennoch: Hinsichtlich der Körpersprache lagen zwischen dem Trainingsplatz in Doha und der leeren Allianz Arena Welten.

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Hansi Flick: "Das war die Belohnung"

"Das war die Belohnung für seine sehr, sehr guten Trainingsleistungen in den vergangenen Wochen und Monaten", begründete Flick damals auf Nachfrage von SPOX und Goal. Er schob nach: "Er hat eine positive Entwicklung genommen, deshalb haben wir entschieden, dass er heute länger spielt. Meiner Meinung nach hat er das sehr gut gemacht." Der gebürtige Straßburger knüpfte im Anschluss offenbar an die "sehr, sehr guten Trainingsleistungen" an, feierte er nur zwei Wochen später doch sein Startelf-Debüt.

Ausgerechnet gegen den Ex-Klub, bei dem man nach Cuisances Abgang nicht sonderlich gut auf den Linksfuß zu sprechen war. Neu-Coach Marco Rose, der nach eigenen Angaben gerne mit Cuisance zusammengearbeitet hätte, erklärte beispielsweise: "Ich hatte den Eindruck, dass Borussia für ihn als Verein zu klein geworden ist. Aber bei seinem neuen Verein wird er einige Verhaltensweisen nicht an den Tag legen."

Sportdirektor Max Eberl brachte nicht viel Verständnis für den Schritt auf: "Das hat mich überrascht, aber das ist ja nicht meine Entscheidungsfindung. Ein junger Spieler muss spielen, und ich glaube, dass die Bayern einen hervorragenden Kader haben. Da wird es für einen jungen Spieler nicht einfacher zu spielen als bei uns."

Im Duell mit den Fohlen zeigte Cuisance vor allem im ersten Durchgang eine engagierte Leistung und war an vier Torschüssen direkt beteiligt. Nach dem Seitenwechsel tauchte er jedoch etwas ab.

Lob von Ex-Trainer Marco Rose

Lob von Rose gab es dennoch: "Es ist natürlich etwas Besonderes beim FC Bayern zu spielen, für so einen jungen Spieler, er hat sich reingehauen, er hat versucht, seine Aufgaben zu erfüllen, er war fleißig, er ist viel gelaufen" sagte der 43-Jährige nach der Partie und ergänzte: "Ich denke, es war ein ordentliches Startelf-Debüt. Ich wünsche dem Jungen alles Gute und hoffe, dass er gesund bleibt und eine gute Karriere hinlegt."

Versöhnliche Worte aus der alten Heimat, ehe sein neuer Übungsleiter den Startelf-Einsatz nüchtern begründete: "Ich war zufrieden mit ihm und bin generell zufrieden mit seiner Entwicklung", sagte Flick. "Er zeigt im Training, dass er die Qualität hat." Nachdem Cuisance beim Münchner Meisterstück in Bremen wieder die Bank gedrückt hatte, startete er beim sportlich wenig relevanten letzten Heimspiel gegen den SC Freiburg erneut und leitete den 3:1-Endstand mit einem sehenswerten Dribbling ein.

Michael Cuisance ersetzt Kimmich - und trifft traumhaft

Beim Saisonfinale in Wolfsburg, fand er sich erneut in der Startaufstellung wieder. Weil Joshua Kimmich nach 15 Bundesliga-Spielen am Stück eine Pause verordnet bekam, agierte Cuisance neben Leon Goretzka im zentralen Mittelfeld - und zeigte sein mit Abstand bestes Spiel im Dress des FCB. Nach etwas nervösem Start, steigerte er sich mit jeder Minute und fand eine gesunde Balance zwischen Dribbling und Passspiel.

Das Highlight der Begegnung lieferte er dann in der 37. Minute, als er ein Zuspiel von Kingsley Coman verarbeitete, den Ball auf den starken Linken legte und selbigen herrlich aus rund 20 Metern in den Winkel des gegnerischen Tores schlenzte. 20 Minuten vor Spielende ließ er Wölfe-Kapitän Joshua Guilavogui gekonnt im Strafraum aussteigen, wobei dieser sich nur noch mit einem Foulspiel behelfen konnte und folgerichtig die Gelb-Rote Karte sah. Den fälligen Elfmeter verwandelte Robert Lewandowski in gewohnt eiskalter Manier.

Cuisance bestach gegen die Niedersachsen aber nicht nur in der Offensive, mit 19 Zweikämpfen (Quelle: Opta) führte er aufseiten der Bayern mit Abstand die meisten direkten Duelle, knapp die Hälfte davon entschied er für sich. Zudem wusste Cuisance auch mit Antizipationsfähigkeiten zu gefallen. Kein Münchner verbuchte mehr abgefangene Bälle (2) als er.

Dass er, der noch im November von Amateure-Trainer Sebastian Hoeneß wegen zu später Ankunft am Treffpunkt aus der Drittliga-Startelf geworfen worden war, mittlerweile dreimal von Beginn an für die erste Mannschaft auflief und dabei seine Qualitäten durchaus unter Beweis stellte, hängt eng mit einem Reifeprozess zusammen. Ein Reifeprozess, der nicht nur fußballerischer, sondern auch mentaler Natur ist.

Flick: "Jetzt ist er auch mit der notwendigen Mentalität bei der Sache"

"Er hat sich das verdient, weil er nach Corona sehr, sehr gut gearbeitet hat - auch an seiner Fitness. Dass er ein klasse Fußballer ist, hat er schon immer bewiesen", war Flick auf der Pressekonferenz voll des Lobes für den einstigen Dauerreservisten. Flick verriet weiter: "Jetzt ist er auch mit der notwendigen Mentalität bei der Sache. Wir haben uns alle gefreut, dass er solch ein schönes Tor geschossen hat."

Doch, was bedeutet der Formkurven-Anstieg für die Zukunft Cuisances? Unter der Woche machten Meldungen aus Frankreich die Runde, Olympique Marseille sei an einer Leihe des verheißungsvollen Talents interessiert. Flick beschäftige das Ganze indes nicht, wie er zu Protokoll gab.

Er sagte diesbezüglich lediglich: "Wie der Weg weitergeht, entscheidet immer auch der Spieler. Im Moment sind wir sehr zufrieden." Zufrieden war auch Cuisance selbst, der seine Glückseligkeit via Social Media teilte: "Ich freue mich sehr über den Titel und darüber, die Saison mit meinem ersten Profi-Tor beendet zu haben", schrieb er und postete dazu ein Foto von sich mit der Meisterschale.

Auf ebenjenem Bild sind Emotionen erkennbar, Freude und Stolz über das zuletzt Erreichte. Das Phlegma, das Cuisance noch vor einem halben Jahr, Anfang Januar in Doha, Katar, umgab, ist gewichen. Ob es ein Abschied vom unliebsamen Begleiter auf Dauer ist, wird die Zukunft zeigen.

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