FC Bayern München: Die fünf entscheidenden Schlüssel zum achten Bundesliga-Titel in Folge

17. Juni 202012:21
Bis zum zehnten Spieltag trainiert Niko Kovac den FC Bayern, anschließend übernahm sein Assistent Hansi Flick.imago images / Sven Simon
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Dank eines 1:0-Sieges beim SV Werder Bremen hat sich der FC Bayern München am 32. Spieltag der Bundesliga vorzeitig zum Meister gekrönt. Die fünf entscheidenden Schlüssel zum achten Bundesliga-Titel in Folge.

Der Umbau der Defensivabteilung des FC Bayern

2. November 2019, Eintracht Frankfurt gegen den FC Bayern München, 5:1. Durchaus ein Spiel von historischem Ausmaß und das gleich in mehrfacher Hinsicht. Lange wurde der FC Bayern in der Bundesliga nicht mehr so gedemütigt wie an diesem Nachmittag und lange dauerte es danach nicht, bis sich der Klub vom damaligen Trainer Niko Kovac trennte.

Zum Abschied hatte er seinem bisherigen Assistenten und angehenden Nachfolger Hansi Flick aber immerhin noch schnell die Defensivformation geschenkt, mit der dieser seinen Siegeszug durch die Bundesliga hinlegte. Bereits am vorangegangenen Spieltag, einem 2:1-Sieg gegen Union Berlin, verteidigte Alphonso Davies erstmals links hinten. Gegen Frankfurt baute Kovac weiter um: Er beorderte David Alaba erstmals in die Innenverteidigung neben Jerome Boateng, schob Benjamin Pavard dafür auf die Rechtsverteidigerposition und Joshua Kimmich von dort ins defensive Mittelfeld.

Kovac schickte die Defensive des FC Bayern bei dieser 1:5-Niederlage tatsächlich erstmals so aufs Feld, wie sie anschließend über weite Strecken der restlichen Saison und auch beim meistertitelbringenden Sieg in Bremen unter Flick auflief. Kovac legte das Fundament, Flick baute darauf beachtliche Abwehrtürme. Wie sich die einzelnen Akteure unter ihm auf ihren neuen Positionen weiterentwickelten, ist mehr als beachtlich.

Da wäre Davies. Dieser erst 19-jährige Kanadier, der mit seiner physischen Wucht, seinem irren Tempo und seinem unbändigen Offensivdrang aus dem Nichts zu einem der besten Linksverteidiger Europas avancierte. Und dabei ist es fast schon erstaunlich, dass er sich überhaupt noch bewegen kann bei all dem Lob, mit dem er Woche für Woche überschüttet wird. Neben dem Hype um Davies geht fast unter, dass sich Pavard auf der gegenüberliegenden Seite ähnlich stetig (nur weniger spektakulär) weiterentwickelt.

Da wäre außerdem noch Alaba, der schon immer im Zentrum spielen wollte und das jetzt endlich auch darf. Zwar nicht im Mittelfeld, sondern in der Verteidigung. Aber immerhin. Innerhalb weniger Monate entwickelte sich Alaba zum unumstrittenen Abwehrchef. Seit es in den Stadien keine schreienden Fans mehr gibt, hört man bei den Spielen des FC Bayern stets einen schreienden Wiener: Alaba gibt die Kommandos. Für seinen Kollegen Joshua Kimmich ist er als Innenverteidiger gar "einer der Besten der Welt".

Und damit zu Kimmich selbst, der wie Alaba auch schon immer im Zentrum spielen wollte und das jetzt endlich auch darf - sogar auf seiner Lieblingsposition im defensiven Mittelfeld. Mit seiner Bissigkeit und seinem Siegeswillen tritt Kimmich dort bereits wie ein heimlicher Kapitän auf. Macht er so weiter, wird er irgendwann auch ein echter.

Die neue taktische Ausrichtung unter Hansi Flick

Flick hatte von Kovac also die Besetzung der Defensivabteilung geerbt, spielen lässt er sie seitdem aber ganz anders als sein Vorgänger. Oder besser: viel mutiger, viel riskanter! Unter Flick steht die Viererkette deutlich höher und in Folge dessen agieren auch alle anderen Mannschaftsteile näher am gegnerischen Tor. Die Mannschaft presst, wie man sie selten pressen gesehen hat - und wie es sich Kovac nicht hätte vorstellen können.

"Man muss auch die Spielertypen dafür haben", antwortete Kovac kurz vor seinem Abschied auf eine Frage nach fehlendem Pressing. "Man kann nicht versuchen, mit 200 km/h auf der Autobahn zu fahren, wenn man nur 100 schafft. Man muss das anpassen, was man eben hat." Flick traute dieser Mannschaft aber von Beginn an 200 km/h zu und mit einem solchen Tempo jagt sie ihren Gegnern seitdem tief in deren Hälfte die Bälle ab. Gegentore fallen dadurch weniger: Der FC Bayern spielt nun riskanter und steht gleichzeitig trotzdem stabiler.

Unter Kovac wirkte das Offensivspiel oftmals uninspiriert, vorhersehbar und ideenlos. Unter Flick stimmt die Raumaufteilung dagegen wieder, es stimmen die Pass- und Laufwege. Vor allem bei den ersten Spielen nach der Corona-Zwangspause und auch beim bisher größten Gradmesser, dem 3:0-Sieg im Achtelfinal-Hinspiel der Champions League beim FC Chelsea, spielte der FC Bayern teilweise begeisternden Offensivfußball.

"So, wie wir jetzt Fußball spielen, ist es ein Stil, der nicht nur uns, sondern auch den Fans gefällt", sagt der Vorstandsvorsitzende Karl-Heinz Rummenigge bald nach Flicks Amtsantritt. "Die wichtigste Qualität im Spiel ist nicht exklusiv das nackte Ergebnis, sondern die Spielqualität. Man muss die Handschrift eines Trainers sehen. Und das ist bei uns wieder der Fall." Der FC Bayern spielt unter Flick wieder dominant. Der FC Bayern spielt wieder wie der FC Bayern.

Hansi Flicks Menschenführung

Es passierte nach dem letzten Spiel vor der Corona-Zwangspause. Leon Goretzka war wieder nur eingewechselt worden, hatte anschließend immerhin das abschließende 2:0 gegen den FC Augsburg geschossen, aber wirklich freuen konnte er sich nicht. "Dass ich nicht glücklich bin, kann man - denke ich - offen und ehrlich sagen. Das wird man besprechen müssen", sagte er nach dem Spiel.

Hat Flick nun erstmals ein Problem mit einem unzufriedenen Ersatzspieler? Folgen andere Ersatzspieler Goretzkas Beispiel? Kommt es zu einem öffentlichen Schlagabtausch? Nein, es kam die Corona-Zwangspause und danach kam ein anderer Goretzka. Einer, der die spielfreie Zeit nicht mit hadern und sich beklagen verbracht hat, sondern mit trainieren. Goretzka kehrte in die Startelf zurück und verzeichnete seitdem in sechs Spielen ebenso viele Scorerpunkte.

Und das war sie auch schon, die einzige Geschichte eines Spielers, der seit Flicks Amtsübernahme Anflüge von Unzufriedenheit angedeutet hatte. Ansonsten? Lob mit stetem Hang zu Huldigungen - und zwar von allen Spielern. Alle lieben sie Flicks Empathie, sein Einfühlungsvermögen, seine Menschenführung. "Er sucht die Gespräche mit den Spielern und gibt jedem ein gutes Gefühl", sagte Goretzka bereits in der Winterpause.

Exemplarisch dafür steht auch die Verlängerungsflut, nachdem Flick Anfang April einen Cheftrainervertrag bis 2023 unterschrieben hatte. Anschließend banden sich unter anderem Thomas Müller und Manuel Neuer an den Klub. Beide erwähnten sie im Zuge dessen gerne, wie wichtig Flicks Verbleib für sie persönlich ist. Flick hat es mit seiner Art geschafft, dass die Mannschaft zusammensteht und keine internen Streitigkeiten den sportlichen Erfolg gefährden.

Robert Lewandowkis Torgefährlichkeit

Neulich gab Robert Lewandowski dem französischen Magazin France Football ein Interview und darin drohte er: "Ich bin noch nicht in der besten Phase meiner Karriere, aber bald." Was soll da denn noch besser werden? Lewandowski spielt mit seinen aktuell 31 Jahren gerade die wohl beste Saison seiner Karriere.

31-mal traf er in der bisherigen Bundesligasaison, damit erzielt er etwa ein Drittel aller Treffer seines FC Bayern und übertraf bereits seinen persönlichen Torrekord aus den Spielzeiten 2015/16 und 2016/17.

Meistens sind seine Treffer nicht irgendwelche Treffer, sondern wichtige. Elfmal erzielte Lewandowski bereits das 1:0 und das ist Höchstwert aller Bundesligaspieler. Insgesamt sechsmal traf er in der Anfangsviertelstunde und damit doppelt so oft wie der zweitgefährlichste Bundesligaspieler in diesem Zeitraum. Wieder und wieder bringt Lewandowski seine Mannschaft früh auf Kurs.

Auch im internationalen Vergleich überragt Lewandowski in dieser Saison. Seine 46 Pflichtspieltreffer sind in Europas Top-5-Ligen einsamer Spitzenwert, weswegen Präsident Uli Hoeneß den entsprechenden Gremien und Wahlkomitees bereits nahelegte, Lewandowski dafür künftig mal entsprechend zu würdigen. "Der Robert kann jeden Preis gewinnen, weil er im Moment der beste Mittelstürmer der Welt ist."

Thomas Müllers Aufschwung unter Hansi Flick

Es war auf der Pressekonferenz vor Hansi Flicks erstem Spiel als Trainer des FC Bayern, es waren somit einige seiner ersten Worte, die er in dieser neuen Rolle sprach. "Wir werden vielleicht das eine oder andere ändern", sagte er damals Anfang November vor dem Champions-League-Spiel gegen Olympiakos Piräus. "Javi Martinez wird spielen und auch Thomas Müller wird spielen. Mehr will ich nicht verraten."

Fast eineinhalb Jahre hatte sich Müller zuvor mit Niko Kovac herumplagen müssen. Die Beziehung zwischen Spieler und Trainer war teilweise so angeknackst, dass sich kurzzeitig sogar seine Frau Lisa einschalten musste. Nun kam Flick und unter ihm spielt Müller. Immer. Beim ersten Spiel gegen Piräus war er zwar an keinem Treffer direkt beteiligt, aber das sollte die absolute Ausnahme bleiben.

Unter Flick braucht Müller knapp halb so lange für einen Scorerpunkt wie einst unter Kovac. 28 Pflichtspiele bestritt er seit dem Trainerwechsel (lediglich das Bundesligaspiel gegen Borussia Mönchengladbach verpasste er wegen einer Gelb-Sperre) und dabei gelangen ihm 27 Scorerpunkte (neun Treffer, 18 Vorlagen). In der Bundesliga steht Müller aktuell bei 20 Vorlagen, womit er Kevin De Bruynes Rekord aus der Saison 2014/15 für den VfL Wolfsburg einstellte.

Es sind aber nicht nur die reinen Zahlen, die Müller für das Spiel des FC Bayern so wichtig machen. Einerseits ist er der Alaba der Offensivabteilung, der seine Mitspieler stets mit Kommandos einweist. Andererseits läuft Müller seit dem Trainerwechsel wie zu längst vergangen geglaubten Zeiten wieder die richtigen (oder in seinem Fall: wirren) Wege. Wege, die gegnerische Defensivabteilungen auseinanderreißen.

Oder mit seinen eigenen Worten: "Die Spielanalage hat sich positiv entwickelt und ich habe nicht nur mehr Spielzeit bekommen, sondern konnte den Spielen auch wieder den Thomas-Müller-Stempel aufdrücken."