Hansi Flick beim FC Bayern München: Jupp Guardiola aus Bammental

Hansi Flicks Bilanz nach 26 Pflichtspielen: 23 Siegen, ein Remis, zwei Niederlagen.
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Der FC Bayern München eilt in der Bundesliga unaufhaltsam Richtung Titel - und der Anteil von Trainer Hansi Flick daran ist enorm. Es wird immer deutlicher, dass er die Kernkompetenzen der beiden Sehnsuchtstrainer des FC Bayern Jupp Heynckes und Pep Guardiola perfekt kombiniert.

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Schon vor knapp 20 Jahren, als Hansi Flick Mitte 30 war, galt er in seinem Job als perfekter Allrounder. "Am Anfang haben sie alles selbst gemacht: Sie haben vorkalkuliert, die Waren bestellt und sind dann auch beide hinter der Kasse gestanden", erzählte Flicks Tochter Kathrin neulich SPOX und Goal. "Sie", das waren Flick und seine Frau Silke und sie konnten alles. Wobei, besser: Sie mussten alles können.

Damals ging es nicht um das Trainieren einer professionellen Fußballmannschaft, es ging um das Betreiben eines Sportgeschäfts. Flick verkaufte nach seinem Karriereende als aktiver Spieler im badischen Städtchen Bammental T-Shirts, Schuhe und solche Sachen. Und das in einem Alter, in dem beispielsweise Jupp Heynckes und Pep Guardiola bereits Trainer bei internationalen Spitzenklubs wie Borussia Mönchengladbach und dem FC Barcelona waren. Später sollten sie beide den FC Bayern prägen und dort zu den Sehnsuchtstrainern der jüngeren Klubgeschichte avancieren, zu den Vergleichsgrößen für alle Nachfolger.

Hier Heynckes, der Triple-Trainer, der in München in seiner zweiten, dritten und vierten Amtszeit im Rentenalter zum Inbegriff des empathischen Mannschaftsführers wurde. Dort Guardiola, der Rekordebrecher, der als Inbegriff der fußballerischen Dominanz und des Spielerverbesserns gilt. Flick hat es innerhalb kürzester Zeit geschafft, die Kernkompetenzen beider zu kombinieren. Ohne das Alter von Heynckes und die Getriebenheit von Guardiola zu haben. Mehr und mehr zeigt sich, dass er wie einst als Betreiber eines Sportgeschäfts auch als Trainer ein perfekter Allrounder ist.

Was der ewige Schattenmann und Co-Trainer Flick, dessen davor einzige Cheftrainerstation Anfang des Jahrtausends die damals drittklassige TSG Hoffenheim war, seit seinem Amtsantritt beim FC Bayern Anfang November geschafft hat, ist erstaunlich.

Hansi Flicks Rekordjagd beim FC Bayern München

Als Flick den Trainerposten übernahm, ging es nicht um Vergleiche mit Heynckes oder Guardiola, sondern um die Frage: Schafft er es irgendwie, eine unter Niko Kovac teils desillusionierte Mannschaft zu stabilisieren, bis ein ordentlicher Trainer gefunden ist? Vielleicht Arsene Wenger? Vielleicht Erik ten Hag? Vielleicht Thomas Tuchel? Oder vielleicht sogar Jose Mourinho?

Dann legte Flick los und irgendwann stellte sich die Frage nicht mehr. Sein FC Bayern eroberte die Tabellenführung in der Bundesliga zurück, dominierte den FC Chelsea im Achtelfinalhinspiel der Champions League. Die Verantwortlichen reagierten und gaben ihm einen Cheftrainervertrag bis 2023.

Am Samstagnachmittag machte Flick sein 26. Pflichtspiel als Trainer des FC Bayern und gewann natürlich wieder, 4:2 bei Bayer Leverkusen. Erstmals seit Mitte Dezember lag seine Mannschaft dabei zwar in Rückstand, drehte das Spiel aber mit einer beeindruckenden Selbstverständlichkeit.

Nun steht Flick bei 23 Siegen, einem Remis (gegen Leipzig) und zwei Niederlagen (gegen Leverkusen und in Gladbach). Einen besseren Start schaffte kein Trainer des FC Bayern: Guardiola nicht und Heynckes trotz zahlreicher Versuche ebenfalls nicht. In der Bundesliga kommt der FC Bayern unter Flick im Schnitt auf 2,6 Punkte und 3,3 Tore pro Spiel. Beides ewiger Bestwert.

Beeindruckend sind jedoch nicht nur die Ergebnisse, beeindruckend sind vor allem die Spielweise und die Stimmung dahinter.

Flick, Guardiola und Heynckes im Vergleich (Bundesliga)

 

Hansi Flick

Pep Guardiola

Jupp Heynckes

Spiele

20

102

248

Tore

65

254

566

Gegentore

14

58

223

Siege

17

82

161

Remis

1

11

50

Niederlagen

2

9

37

Punkte/Spiel

2.6

2.5

2.1

Tore/Spiel

3.3

2.5

2.3

Gegentore/Spiel

0.7

0.6

0.9

Hansi Flicks guardiolaeske fußballerische Dominanz

Abgesehen von Guardiola gab es beim FC Bayern wohl noch keinen Trainer, unter dem die Mannschaft so dominant auftritt wie aktuell unter Flick. Mit hoher Verteidigung, aggressivem Pressing und durchdachtem Passspiel schnürt sie ihre Gegner ein. Wenn sie ein Tor schießt, will sie noch eines und dann noch eines. Wie nimmersatt die Spieler nach einem - sagen wir mal - 3:0 weitermachen ist beachtlich, wie emotional sie dann den Treffer zum unausweichlichen 4:0 bejubeln fast schon beängstigend.

All das erinnert auch die Spieler selbst an die Zeit unter Guardiola. Kapitän und Wortführer Manuel Neuer zog bereits spielphilosophische Vergleiche zwischen Flick und Guardiola. "Das Passspiel war sehr gut, genauso wie unter Pep", sagte er beispielsweise kurz vor der Coronapause.

Der Unterschied zu Guardiola: Während der Katalane von 2013 bis 2016 seine Formation stets nach dem jeweiligen Gegner richtete und sich Spieler auch mal auf völlig unerwarteten Positionen wiederfanden, rotiert Flick eher wenig und wechselt die Formation kaum.

Der Fußball sieht aber ähnlich aus, die Ergebnisse sind die gleichen. Und: Wie einst unter Guardiola, entwickelt sich auch unter Flick nicht nur die Mannschaft an sich weiter, sondern auch einzelne Spieler. Etwa David Alaba in der Innenverteidigung, der erst 19-jährige Alphonso Davies als Linksverteidiger oder Joshua Kimmich und Leon Goretzka im Mittelfeld.

Hansi Flicks heynckeseske Mannschaftsführung

Ähnlich beachtlich wie Flicks guardiolaeske fußballerische Dominanz und Spielerverbesserung, ist aber auch seine heynckeseske Mannschaftsführung. "Mir gefällt die Art, wie er die Mannschaft führt, seine menschlichen Qualitäten überzeugen, seine Empathie spricht für ihn", sagte der Vorstandsvorsitzende Karl-Heinz Rummenigge bei Flicks Vertragsverlängerung. Außerdem verriet er, dass er davor Empathieguru Heynckes höchstpersönlich zu dessen Meinung über Flick gefragt hatte. "Und da hat er ihn mit ganzer Überzeugung empfohlen. Aus Jupps Sicht passt Hansi perfekt zum FC Bayern."

Abgesehen von Heynckes gab es beim FC Bayern in der jüngeren Vergangenheit wohl keinen Trainer, den die Spieler menschlich so schätzen wie aktuell Flick. Irgendwie hat er es geschafft, dass ihn offenbar alle mögen. "Er arbeitet sehr akribisch, sehr ruhig und mit einer hohen sozialen Kompetenz", lobte Goretzka in der Winterpause stellvertretend bei SPOX und Goal. "Er sucht die Gespräche mit den Spielern und gibt jedem ein gutes Gefühl."

Jerome Boateng, der chronisch abwanderungswillige Verkaufskandidat, kann sich auf einmal wieder eine Zukunft in München vorstellen und erwähnte explizit Flick als Grund dafür. Thomas Müller, der Trainern an sich gerne kritisch gegenübersteht, spielt so gut wie wohl noch nie: Gegen Bayer Leverkusen verzeichnete er seinen 27. Scorerpunkt in dieser Bundesligasaison und stellte damit seine eigene Bestmarke (aufgestellt unter Guardiola) ein.

Kritische Stimmen gegen den Trainer gab es bisher noch keine, nicht einmal von Ersatzspielern. Denn alle wissen: Flicks Mix aus Ergebnissen, Spielweise und Stimmung ist schlicht und einfach zu überzeugend. Macht er langfristig so weiter, brilliert sein FC Bayern auch in späteren Champions-League-Runden, durchsteht mal eine Krise und gewinnt auch noch Titel, am besten große henkelpottartige, wird Flick irgendwann nicht mehr mit Heynckes und Guardiola verglichen - sondern selbst ein Sehnsuchtstrainer.

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