Konterspiel und Gegenpressing: Warum Timo Werner doch zum FC Bayern passt

Von Stefan Rommel
Timo Werner entwischt einer Grätsche von Joshua Kimmich.
© getty

Der FC Bayern hat sich im Sommer gegen eine Verpflichtung von Timo Werner entschieden. Laut Sportdirektor Hasan Salihamidzic passt der Nationalspieler nicht ins System des Rekordmeisters. Diese Analyse greift jedoch zu kurz: Werner wäre eine gute Ergänzung für den knappen Kader und das Gegenpressing unter Hansi Flick. Und er könnte vom FCB in der Gruppenphase der Champions League schmerzlich vermisst werden.

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Die besten deutschen Fußballspieler haben beim FC Bayern München unter Vertrag zu stehen. So will es das Gesetz - oder zumindest Uli Hoeneß. Der Patron schwelgte schon im letzten Jahrtausend von einem FC Bayern Deutschland und verfolgte diesen Plan bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Fast alle "wichtigen" Nationalspieler trugen irgendwann das rote Trikot, beim WM-Triumph 2014 waren neun der 14 im Finale eingesetzten Spieler früher oder später auch Bayern-Spieler.

Vielleicht ist Hasan Salihamidzic diese wichtige Klubregel durchgerutscht oder er hat sie schlicht vergessen, als er neulich in der Sport Bild über Timo Werner sinnierte. Dort führte Bayerns Sportdirektor noch einmal im Detail aus, warum die Bayern bisher Abstand genommen haben von einer Verpflichtung des Spielers - obwohl man bei Werner durchaus davon ausgehen könnte, dass er seit geraumer Zeit der beste deutsche Stürmer überhaupt ist.

In den letzten vier Jahren war Werner als einziger Spieler mit einem deutschen Pass immer unter den Top drei der Bundesliga-Scorerliste, in dieser Saison führt er sogar sowohl die Scorer- als auch die Torjägerliste an. Aller Spieler, wohlgemerkt. Nicht nur die der deutschen.

Hasan Salihamidzic: Timo Werner passt nicht ins Bayern-System

"Timo Werner braucht mit seiner Schnelligkeit mehr Räume, die hatte er in dem System, das Leipzig gespielt hat. Das System bei RB hat sich nun zwar geändert, aber dennoch ist es vorne nicht so eng wie bei uns", sagte Salihamidzic also und deutete "Bedenken" an, dass für den Nationalspieler bei den Bayern kein Platz gewesen wäre. "Timo Werner ist ein guter Spieler, der eine hervorragende Hinrunde gespielt hat. Allerdings haben wir Robert Lewandowski. Robert ist ein Stürmer, der zu unserer Spielweise ideal passt", so Salihamidzic weiter.

Dagegen ist natürlich rein gar nichts einzuwenden. Vermeintliche Stars und Sternchen hat der FC Bayern in den letzten 40 Jahren reihenweise erst gekauft und dann ganz schnell wieder weitergeschickt, weil sie geprüft und für zu leicht befunden wurden. Selbstverständlich könnte das auch bei Werner der Fall sein, zumal der Rekordmeister in den letzten Wochen und Monaten - eigentlich seit der Amtsübernahme von Hans-Dieter Flick - einen steilen Leistungsanstieg entwickelt und endlich wieder wie der FC Bayern auftritt.

Aber im Erfolg macht man ja bekanntlich die größten Fehler und vielleicht ist Salihamidzics Einschätzung zwar vordergründig richtig, auf den zweiten Blick aber doch auch etwas oberflächlich formuliert. Die Bayern stellen mit lediglich 27 Spielern immer noch einen der kleinsten Kader der Bundesliga - und hierbei sind alle Ersatzkeeper, sowie die Nachwuchskräfte Michael Cuisance, Singh Sarpreet, Leon Dajaku, Fiete Arp und Joshua Zirkzee schon eingerechnet. Die Personaldecke ist außerordentlich dünn, momentan fallen mit Kingsley Coman und Ivan Perisic zwei Spieler auf einer potenziellen Werner-Position aus.

Die Verletzungen fallen derzeit kaum ins Gewicht, weil der Rest der Mannschaft die Ausfälle scheinbar spielend kompensieren kann. Aber die Bayern spielen auf Naht und speziell im Angriff auch immer mit dem Feuer: Robert Lewandowski ist nicht nur in allen erdenklichen Torschützenlisten eine Bank, sondern auch was seine Einsatzzeiten anbelangt. Der Pole ist quasi nie verletzt, die Bayern spielen mal wieder eine komplette Saison mit einem Ein-Mann-Angriff. Mit dem vielleicht besten der Welt, aber eben ohne doppelten Boden. Nicht auszudenken, wenn sich Lewandowski schwerer verletzen sollte oder zumindest in den bald anstehenden wichtigen Spielen des Frühjahrs ausfallen sollte.

Konterspieler Timo Werner: Eine Option für die Champions League

Salihamidzic hat Recht damit, wenn er Werner als perfekten Konterspieler einstuft. Der dann auch in einer späteren Phase der Königsklasse doch ganz gut passen könnte, auch für einen Klub wie die Bayern. Wenn die Gegner besser und damit fast automatisch auch dominanter werden, das Spiel machen wollen oder müssen: Dann bleibt auch den Bayern das Stilmittel des schnellen Umschaltens. Und dafür könnte es kaum einen Besseren geben als Timo Werner.

In der Nationalmannschaft konnte man schon ganz gut erkennen, was so eine taktische Veränderung bewirken kann. Seit Joachim Löw seine Mannschaft im 4-3-3 und bisweilen auch mit einem etwas konterlastigeren Stil spielen lässt, hat Werner auf diesem Niveau nochmal einen gewaltigen Schritt gemacht. Und ist dann ganz vorne im Zentrum kein Platz, weil Lewandowski den besetzt, bleiben immer noch die Halbflügel als Ausweicharbeitsplatz. Werner muss nicht immer selbst den Abschluss suchen, auch gegen tiefstehende Gegner ist sein explosiver Antritt eine Waffe, die gegnerische Abwehrreihen aufbrechen und in Unordnung stürzen kann.

Dazu, und das sieht man unter Flick in den letzten Wochen immer wieder, spielen die Bayern auch gegen sehr tiefstehende Gegner diesen Barcelona-Guardiola-Chipball. Wenn der Ball über die Kette drüber segelt, laufen die Flügelangreifer ein und stehen blank vor dem gegnerischen Tor. Eine Situation wie gemalt für einen Spieler wie Werner, der dafür sowohl das nötige Spielverständnis als auch die Geschwindigkeit mitbringt.

Timo Werner: Statistik in der Bundesliga

SaisonVereinEinsätzeToreVorlagen
2013/14VfB Stuttgart3045
2014/15VfB Stuttgart3231
2015/16VfB Stuttgart3364
2016/17RB Leipzig31217
2017/18RB Leipzig32138
2018/19RB Leipzig30169
2019/20RB Leipzig20206

Timo Werner passt zum Gegenpressing der Bayern

Der Hauptkritikpunkt an Salihamidzics Einschätzung dürfte aber sein, dass sie nur eine Spielphase beleuchtet - und eine andere, sehr wichtige, völlig außer Acht lässt. Die Bayern unter Flick sind nicht nur ultra-gierig auf Tore, sondern wieder eine unfassbar scharfe Mannschaft im Gegenpressing. Die Momente des Ballverlusts sind für die Gegner die gefährlichsten überhaupt in Spielen gegen die Bayern, hier knackt der Rekordmeister seine Kontrahenten derzeit auf und überrollt sie dann mit seinem Umkehrspiel.

Und niemand wird behaupten, dass es in Deutschland allein qua seiner Ausbildung einen besseren Gegenpressing-Stürmer geben könnte als Werner. In Stuttgart unter Gegenpressing-Krösus Alexander Zorniger und seit dreieinhalb Jahren nun bei RB Leipzig sind Werner diese Abläufe in Fleisch und Blut übergegangen.

So lange die Bayern aber ihre Trainerfrage nicht gelöst und kommuniziert haben, ruhen alle Gedankenspiele mit und um Werner. Der Spieler unter dem Trainer Flick ist absolut vorstellbar, wenn man diesen Transfer denn einem Platzhirsch wie Lewandowski irgendwie vermitteln kann. Kommt schon bald ein neuer Trainer, kann die Gemengelage schon wieder eine ganz andere sein.

Timo Werner jedenfalls ficht das momentan alles nicht an. "Ich lag nicht mit offenen Augen im Bett und habe über diese Einschätzung gegrübelt. Klar ist bei Bayern eine Riesen-Konkurrenz im Sturm, und sie haben in Lewandowski den aktuell besten Stürmer der Welt", sagte er jetzt dem kicker. "Aber damit beschäftige ich mich nicht. Ich mache mein Ding in Leipzig und bin damit zufrieden."

Vielleicht ja auch am Sonntag beim Spitzenspiel in der Allianz Arena. Uli Hoeneß wird von seinem Platz aus sicherlich ganz genau hinschauen.

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