"100.000.000 Euro!" Diese Überschrift zog dem totalen Finanzirrsinn beim BVB vor 20 Jahren den Stecker

Michael Meier
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Heute vor 20 Jahren, am 22. Dezember 2003, deckten zwei Journalisten mit ihren Recherchen auf, was Borussia Dortmund geheim halten wollte: Ein riesiges Finanzloch, das den BVB bis an den Rand der Insolvenz trieb. Ein Rückblick - zusammen mit dem damaligen Dortmunder Manager Michael Meier.

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Es ist auch heute noch, 20 Jahre später, schwer zu erklären, warum den Bericht offenbar niemand für voll genommen hatte. Sonst wäre die Resonanz ähnlich stark ausgefallen wie dann elf Tage später. Doch was das Magazin Focus-Money am 11. Dezember 2003 in Heft 51 veröffentlichte, ging irgendwie unter.

Darin wurde erstmals publiziert, dass bei Borussia Dortmund für die Saison 2003/04 zweistellige Millionenverluste zu erwarten seien. Schon vor dem Gang an die Börse des BVB im Oktober 2000 stellte dasselbe Medium unzweideutig fest: "Für Anhänger ist die Aktie ein Muss. Für alle anderen Anleger gilt - nicht zeichnen."

Vermutlich blieb das entsprechende Echo aus, weil sich Focus-Journalist Michael Witt nicht allzu häufig im Umfeld des Vereins aufhielt und man zudem nach dieser Geschichte nicht mit weiteren Enthüllungen nachlegte.

Das war am 22. Dezember 2003, also heute vor 20 Jahren, alles vollkommen anders. Kicker-Journalist Thomas Hennecke, langjähriger Begleiter der Borussia, und Freddie Röckenhaus von der Süddeutschen Zeitung veröffentlichten an diesem Tag zwei Artikel von hoher Sprengkraft rund um den BVB.

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BVB im Dezember 2003: "Borussia Dortmund vor dem Finanzcrash"

Mit "100.000.000 Euro!" war das Stück des kicker so simpel wie prägnant überschrieben. Die SZ wurde etwas deutlicher: "Borussia Dortmund vor dem Finanzcrash", hieß es da. Der Tenor der beiden Recherchen war derselbe: Dem BVB stünde das Wasser bis zum Hals, die finanzielle Schieflage sei so groß, dass der Verein dringend Geld benötigt.

Ein Verlust von 50 Millionen Euro für die laufende Spielzeit wurde prognostiziert. Deshalb, so die Enthüllung, plant der Klub eine Anleihe beim Investmenthaus Schechter & Co. über 80 bis 100 Millionen Euro und verpfändet dafür seine Zuschauereinnahmen der kommenden zwölf Jahre.

Das war insofern erstaunlich, da der BVB ab dem Jahr 2000 dank des Börsengangs (130 Millionen) und des Stadionverkaufs (75,4 Millionen) reichlich Kohle eingenommen hatte. Unter der Führung von Präsident Dr. Gerd Niebaum und Manager Michael Meier wurde jedoch derart mit den Finanzen jongliert, dass das gesamte Modell sehr auf Kante und sportlichen Erfolg genäht war.

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BVB: Schicksalshafte Spiele gegen Energie Cottbus und FC Brügge

Dortmund, das 1995, 1996 und 2002 deutscher Meister wurde, 1997 die Champions League gewann und ein Jahr später den Weltpokal holte, leistete sich damals über viele (erfolgreiche) Jahre hinweg einen sehr teuren Spielerkader. Dazu baute man das Stadion um, obwohl man es nicht finanzieren konnte. Später verkaufte man es an einen Immobilienfonds. Der anvisierte Rückkauf war dann nicht mehr drin.

Die Schuld daran auf dem Rasen trugen gewissermaßen Energie Cottbus und der FC Brügge. Gegen die bereits abgestiegenen Lausitzer kam der BVB am letzten Spieltag der Saison 2002/03 nur zu einem 1:1. Dadurch rutschte man noch auf Platz drei ab, so dass die fest eingeplante und wirtschaftlich extrem notwendige Teilnahme an der Champions League nur über die Qualifikation erreicht werden konnte. Doch ebendort bezwangen die Belgier den BVB nach Hin- und Rückspiel im Elfmeterschießen.

BVB-Aufstellung: Als Dortmund 2003 in der Champions-League-Qualifikation an Brügge scheiterte

Der Verein reagierte umgehend und setzte bei den Spielern einen 20-prozentigen Gehaltsverzicht durch. Diese Gemengelage machte Hennecke und Röckenhaus erstmals stutzig - ihre bahnbrechende Recherche begann. Als sie an einem Montag vor Weihnachten 2003 öffentlich wurde, setzte der BVB eine Pressekonferenz an.

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BVB-Pressekonferenz wird ein "einziges Tribunal" für die beiden Journalisten

Angesichts der großen Tragweite der Publikationen, die ein riesiges Echo in den deutschen Medien auslöste, sahen sich Niebaum und Meier einem brechend vollen Presseraum gegenüber. Hennecke beschrieb das Szenario vor einigen Jahren in der Dokumentations-Plattform anstageslicht.de als "einziges Tribunal" für die beiden Journalisten. Die Vereinsoberen gaben zwar zu, dass die vorgelegten Horror-Zahlen nicht falsch seien, diese jedoch nicht richtig interpretiert worden seien von den Reportern. Einsicht gab es also keine, stattdessen wurde Hennecke und Röckenhaus eine Art Kampagne angedichtet.

Für Niebaum und Meier war das Kind aber zu jenem Zeitpunkt bereits in den Brunnen gefallen. Die Geschichte war ins Rollen gekommen, auch die ortsansässigen Ruhr Nachrichten legten später eigene Artikel nach, die die Informationen von kicker und SZ bestätigten. Am Ende wies die Borussia sogar Verbindlichkeiten in Höhe von 118,9 Millionen Euro auf und stand im Frühjahr 2005 unmittelbar vor der Insolvenz. Kurz zuvor trat Niebaum nach über 20 Jahren von seinem Amt zurück. Der alte und neue Präsident Dr. Reinhard Rauball sowie der ehemalige Schatzmeister Hans-Joachim Watzke wendeten die Insolvenz beim Showdown mit den Anlegern des Fonds von Commerzbank-Tochter Molsiris in Düsseldorf schließlich ab und begannen mit der Konsolidierung des Vereins.

"Es war insofern nicht zu riskant, als dass es uns gelungen ist, die Insolvenz am Ende abzuwenden", sagt Manager Meier heute zu SPOX und GOAL über das damalige Wirtschaftsmodell der Borussia. "Wir haben auf den sportlichen Erfolg gesetzt. Sicherlich war es riskant, aber keine Zockerei. Der sportliche Erfolg der vorherigen 13 Jahre gab uns mit Blick auf diesen ambitionierten Weg Recht. Wir hatten einen klaren strategischen Plan, das unternehmerische Risiko hielt sich dabei in Grenzen."

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BVB-Manager Michael Meier heute: "Ich wehre mich gegen die Nähe zur Insolvenz"

Die unumstrittenen Verdienste, die sich Niebaum und Meier um den Klub erworben hatten, rückten dieses für den BVB beinahe tödliche Kapitel stark in den Hintergrund. Der heute 74-jährige Meier, der die Dortmunder Ende Juni 2005 nach fast 16 Jahren verließ, bewertet dies mittlerweile so: "Als wir die Insolvenz abwenden konnten, war ich noch im Amt. Dennoch wird die Sanierung den Leuten zugeschrieben, die auf mich folgten. Jeder hat sein Geld erhalten, deswegen wehre ich mich gegen die Nähe zur Insolvenz. Es wurde damals nicht einmal eine Plan-Insolvenz erstellt. Wir haben alle Verbindlichkeiten erfüllt. Es gab keinen Gläubiger, die nötige Substanz war also vorhanden. Die Zahlungsziele wurden nicht wie geplant eingehalten, aber wir sind für alles aufgekommen."

Meier ist rückblickend vielmehr "froh, dass wir das Stadion gebaut haben". Bis heute ist der Signal Iduna Park ein riesiges Faustpfand des BVB. "Die Leistung eines Managers kann nicht nur an der Umsatzerweiterung und den sportlichen Erfolgen festgemacht werden. Wir haben alle möglichen Vereinstitel geholt. Das Management muss auch an den geschaffenen Strukturen gemessen werden", sagt Meier. "Wir haben die Ausgliederung des wirtschaftlichen Geschäftsbetriebes in die KGaA frühzeitig getätigt, ohne dass darüber diskutiert worden ist. Die Tatsache, dass heute noch, auch in Zeiten von Corona, Kapitalerweiterungen getätigt werden können, spricht für die geschaffene Basis von vor 20 Jahren. Zusätzlich zum Stadion wurde eine Struktur erstellt, die nicht nur zeitgerecht ist, sondern auch in Krisensituationen absichert."

Bis heute sind Dortmunder Anhänger geteilter Meinung darüber, wie sie die Ära Niebaum/Meier bewerten sollen. Diskussionen darüber werden oftmals schnell emotional. Kein Wunder, schließlich folgte auf die größten Erfolge der Vereinsgeschichte der Beinahe-K.o. des Klubs. Unzweifelhaft ist, dass sich die beiden Funktionäre einen sicheren Platz in der Chronik des BVB gesichert haben. Das gilt aber auch für die Journalisten, die vor 20 Jahren aufdeckten, was nicht aufgedeckt werden sollte - allen voran für die 2005 mit dem renommierten Henri-Nannen-Preis ausgezeichneten Hennecke und Röckenhaus.

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BVB: Die drei Bundesligaspiele von Borussia Dortmund im Januar 2024

DatumWettbewerbGegner
13. Januar, 18.30 UhrBundesligaSV Darmstadt 98 (A)
20. Januar, 15.30 UhrBundesliga1. FC Köln (A)
27. Januar, 17.30 UhrBundesligaVfL Bochum (H)