Sehnsucht Relegation? Warum der VfB Stuttgart vor dem sportlichen Kollaps steht

Von Stefan Rommel
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VfB Stuttgart: Der Sportchef und der Trainer

Für den Kader ist Sven Mislintat verantwortlich. Der Sportchef muss in Stuttgart einen schwierigen Spagat schaffen: Die Mannschaft muss gut genug sein, um sportlichen Erfolg zu garantieren oder wenigstens das absolute Minimalziel Klassenerhalt. Sie darf aber nicht vollgepumpt sein mit alten, satten Spielern, die auf Sicht keinen Wiederverkaufswert mehr garantieren. So wie das etwa beim letzten Abstiegs 2019 der Fall war.

Mislintat hat sich für eine recht radikale Strategie entschieden und den Kader mit sehr vielen sehr jungen Spielern bestückt. Immer mit der Hoffnung und dem Risiko, dass die Spekulation nicht oder nur zum Teil aufgehen könnte. Es ist ihm hoch anzurechnen, dass er Woche für Woche versucht, den Druck rauszunehmen, seiner Mannschaft vertraut und die Unruhe im Klub befriedet mit teils zu positiv überzogenen Statements.

Aber auch hier ist der Grat sehr schmal: Zwischen dem Bemühen, so ruhig wie möglich in einer brutal angespannten Lage zu bleiben und der Gefahr dabei gravierende Probleme zu übersehen oder schönzureden. Mislintat geht unbeirrt seinen Weg, notfalls auch zurück in die 2. Liga - so man ihn denn dann noch ließe. Und das Umfeld und die Fans glauben an diesen Weg. Aber klar ist auch, dass niemand und keine Idee eines Einzelnen größer sein darf als der Klub. Auch nicht die des Trainers.

Pellegrino Matarazzo ist das Beste, was dem VfB Stuttgart auf dieser Position passieren konnte. Ein Trainer mit großer Expertise, einem Gespür für seine Spieler und auch Charisma. Aber seit Wochen eben auch einer, dem ein wenig der Touch abgeht und der vor allen Dingen nur noch wenige fußballerische Lösungen findet. Den VfB in seiner starken Phase der vergangenen Saison machten klare Angriffsmuster aus, die sehr deutlich über das oft zitierte "Flanke Sosa, Kopfball Kalajdzic" hinausgingen.

Der VfB spielte tollen Fußball, durchs Zentrum, über den oder die Sechser, mutig hinein in die Halbräume, entwickelte von dort aus über kurze, schnelle Pässe und Ablagen, über gegengleiche Bewegungen und Tiefenläufe so viel Dynamik, dass selbst tiefstehende Gegner mit deutlich besserem Personal auseinandergespielt wurden. Davon ist seit Wochen allenfalls noch rudimentär etwas zu sehen.

Die Regel sind stattdessen Diagonalbälle der Innenverteidiger, viele leichte Fehler schon in der zweiten Aufbaulinie und massenhaft schlechte Entscheidungen im letzten Drittel. Jeder einzelne Angriff sei unglaubliche zäh, hat Kalajdzic es neulich treffend zusammengefasst. Und die Impulse von außen, sei es durch Spielerwechsel oder taktische Umstellungen, greifen nur noch vereinzelt.

Matarazzo hat sich selbst keinen Gefallen damit getan, Spieler erst öffentlich anzuzählen und sie dann ein oder zwei Spiele später doch wieder zu bringen und sei es nur von der Bank aus gewesen. Andererseits: Die Alternativen waren und sind eben nicht üppig vorhanden...

VfB Stuttgart: Die Konstellation im Endspurt

Auf Platz 15 sollte Stuttgart nicht mehr schauen, es gilt nun nur noch, die Relegation zu sichern. Und das wird schwer genug. Zwar geht der VfB mit zwei Punkten und dem sechs Tore besseren Torverhältnis gegenüber Bielefeld in die letzten beiden Spiele - aber das Stuttgarter Restprogramm und die seit einigen Tagen entstandene Konstellation könnten schlimmer kaum sein.

Die blamable Vorstellung der Bayern in Mainz plus deren viel diskutierter Ausflug nach Ibiza plus die Aussicht auf die Übergabe der Meisterschale vor ausverkauftem Haus und einer entsprechenden Erwartungshaltung nicht nur der Bayern-Fans auf eine Reaktion der Mannschaft lassen aus Stuttgarter Sicht das Schlimmste befürchten. Dass der VfB in seiner aktuellen Situation in der Lage wäre, mit hoch temperierten Bayern in der Allianz Arena mithalten und sogar punkten zu können, scheint nahezu ausgeschlossen.

Bliebe noch das Heimspiel gegen Köln. Nur ist der Effzeh die Mannschaft der Stunde in der Bundesliga, spielt am Wochenende mit vier Siegen in Folge im Rücken gegen gerettete Wolfsburger - und wie harmlos die sich auswärts präsentieren, konnte der VfB am letzten Samstag selbst sehen. Es ist davon auszugehen, dass Köln mit seiner Power-Truppe am letzten Spieltag in Stuttgart mit fünf Siegen im Gepäck und der Aussicht auf Europa-League- oder vielleicht sogar Champions-League-Fußball in der kommenden Saison auflaufen wird.

Und selbst wenn man mit Prognosen im Fußball immer vorsichtig sein muss: Besonders viel spräche dann nicht mehr für einen VfB, der in entscheidenden Spielen zuletzt kaum auf der Höhe war.

VfB Stuttgart: Ein paar wenige Lichtblicke

Borna Sosa und Dinos Mavropanos sind zwei Spieler, die dem VfB Mut machen: Weil sie sich mit allem gegen das drohende Unheil wehren, was sie haben. Und weil sie der Mannschaft ein paar Qualitäten geben können, die jetzt auch gefragt sind: Leidenschaft, Emotionalität, Wille, Resilienz. Sosa hat den Abstieg vor drei Jahren und diese furchtbare Saison damals miterlebt. Er ist trotzdem geblieben und will sich nun nicht mit einem neuerlichen Abstieg verabschieden.

Mavropanos macht bestimmt auch nicht alles richtig, fasst sich inmitten der allgemeinen Verunsicherung um ihn herum aber ab und zu noch ein Herz und startet im Alleingang etwas los. Und wer weiß, vielleicht legt ja einer der Angreifer Kalajdzic, Führich, Tomas oder Marmoush doch noch seine Ladehemmung ab, vielleicht wird Förster mit seinen schlauen Bewegungen nochmal wichtig?

Ansonsten bleibt dem VfB nur zu hoffen und zu beten, dass Bielefeld nicht noch ein Spiel gewinnt. Dass sich Bochum und am letzten Spieltag Leipzig, für die es immerhin noch um die CL-Quali gehen wird, zusammenreißen. Und dass die dann mögliche Relegation wie der Anfang einer neuen Mini-Saison begriffen wird: Mit nur zwei Spielen, aber jeder Menge Chancen. Auch wenn das alles andere als Spaß machen wird.

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