Borussia Mönchengladbach in der Krise: Fragen und Antworten zur Talfahrt unter Adi Hütter

Von Stefan Rommel
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Borussia Mönchengladbach ist als Kandidat für die Königsklasse in die Saison gestartet - nun steckt die Mannschaft im Abstiegskampf. Drei Klatschen mit 14 Gegentoren werfen eine Frage auf: Was ist da eigentlich los?

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Ende Oktober wurden in Gladbach die Geschichtsbücher hervorgekramt, so ein 5:0 gegen den FC Bayern gibt es schließlich nicht alle Tage. Im Mai 1974 stiegen die Bayern zwei Tage nach ihrem Triumph im Europapokal der Landesmeister reichlich angetrunken auf dem Bökelberg aus dem Bus und gingen in einer sportlich wertlosen Partie mit fünf Gegentoren unter.

Nun ist es Mitte Dezember und schon wieder blickt der eine oder andere verstohlen in die Statistik. Borussia Mönchengladbach hat sich in drei Bundesligaspielen in Folge drei heftige, teilweise historische Klatschen abgeholt und dabei 14 Gegentore kassiert.

Deshalb werden jetzt wieder Erinnerungen wach an den Herbst 1998. Da setzte es auf ein 2:8 zu Hause gegen Leverkusen ein 1:7 auswärts in Wolfsburg, es war eine der schlimmsten Wochen in der Gladbacher Klubgeschichte.

Nun kam die Borussia am Samstag in Leipzig beim 1:4 nicht ganz so heftig unter die Räder, aber selbst den größten Optimisten dürfte nicht entgangen sein, dass auch gegen Leipzig sechs, sieben oder noch mehr Gegentore möglich gewesen wäre. So desolat präsentierte sich die Borussia gegen eine zuletzt ebenfalls kriselnde Mannschaft.

Auch gegen RB Leipzig chancenlos: Mit 4:1 mussten sich Adi Hütter und seine Gladbacher im Hinspiel geschlagen geben.
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Auch gegen RB Leipzig chancenlos: Mit 4:1 mussten sich Adi Hütter und seine Gladbacher im Hinspiel geschlagen geben.

Gladbach-Kapitän Stindl beschreitet schmalen Grat

Gute sechs Wochen liegen zwischen dem Jahrhundertspiel gegen die Bayern und den mittlerweile beständigen Ausfällen aller Systeme: Zuerst im Derby gegen Köln, dann beim 0:6 zu Hause gegen Freiburg und nun eben in Leipzig, wo die Gladbacher vom Gegner - mal wieder - schlichtweg überrannt wurden. Gladbach plagt sich aktuell nicht mit einem oder vielleicht zwei Ausrutschern herum, sondern sieht sich gleich einigen grundlegenden Problemen gegenüber.

Lars Stindl hat nach dem nächsten Offenbarungseid in Leipzig bei Sky ein bemerkenswertes Interview gegeben. Stindl wählte seine Worte mit Bedacht, musste mehrmals etwas länger nachdenken, bevor er die kritischen Fragen beantwortete.

Dem Kapitän war anzumerken, dass er einen sehr schmalen Grat beschritt: Zwischen offener, schonungsloser Kritik an sich und seinen Teamkollegen und jener Diplomatie, die man als Anführer einer Mannschaft und damit auch Verantwortlicher für die Mitspieler an den Tag legen muss.

Borussia Mönchengladbach: Einzelinteressen über dem Team?

Stindl konnte ja kaum sagen, dass diese Borussia derzeit keine Mannschaft ist, kein Kollektiv und schon gar kein eingeschworener Haufen, bei dem der eine für den anderen läuft und arbeitet. Auch wenn das im Moment wohl der Fall ist, jedenfalls lassen die letzten Eindrücke keinen anderen Schluss zu.

Also druckste er ein wenig herum und verpackte den Kern seiner Aussage in wohlfeile Worte. Zwischen den Zeilen aber kam deutlich zum Vorschein: Hier spielt derzeit keine Mannschaft - sondern eher eine Ansammlung an Einzelinteressen. Bei Stindl hörte sich das dann so an: "Jeder hat etwas für sich gemacht und nicht zusammen als Team."

Erst vor einer Woche saß Max Eberl fassungslos im Borussia Park, sah dem schlimmen Treiben auf dem Platz mit einer Mischung aus Bestürzung und stiller Wut zu. Nach dem Spiel, dem 0:6 gegen Freiburg, machte sich der Sportchef in seiner ganz eigenen Art Luft.

"Entschuldigung, was für eine Scheiße passiert hier gerade - und warum wehren wir uns nicht?", habe er während der ersten halben Stunde gedacht. Eberl hatte einen "aufgescheuchten Hühnerhaufen" erkannt, der einmal seine Mannschaft war. "Das ist einmalig im negativen Sinne!"

Gladbach-Boss Eberl packt die Spieler bei der Ehre

Am Samstagabend saß Eberl im Aktuellen Sportstudio im ZDF. Wieder musste er sich erklären, wieder wählte er eher deftige Worte - attackierte diesmal aber schon deutlicher seine Mannschaft. "Besorgniserregend ist ein gutes Adjektiv dafür. Es hat keiner so verteidigt, wie man in der Bundesliga verteidigen muss. Da müssen sich die Spieler schon hinterfragen", sagte Eberl.

Er wolle keinen sehen, der nun auf den anderen zeigt. "Sondern jeder muss sich an die eigene Nase packen. Die Mannschaft muss auf dem Platz die Themen umsetzen, die vom Trainerteam vorgegeben werden. Wir werden Fehler ansprechen und ein Stück weit an die Ehre der Spieler appellieren. Wir müssen jetzt Eier zeigen!" Am Sonntagmorgen erklärte sich Eberl im Sport1-Doppelpass erneut und alleine die enge Taktung seiner Live-Auftritte ist Alarmsignal genug.

Borussia Mönchengladbach: Extreme Diskrepanz im Kader

Die Symptome der Gladbacher Tristesse sind eindeutig, die Suche nach den Gründen für die sportliche Talfahrt aber gar nicht so einfach. Nach einem eher holprigen Saisonstart wähnte sich die Borussia in den Wochen danach auf dem richtigen Weg und in der Entwicklung der Mannschaft auch zu sehr in Sicherheit. Die vermeintliche Konstanz entpuppt sich derzeit als großer Trugschluss.

Was stattdessen bleibt, ist eine unglaubliche Diskrepanz in den Ergebnissen und den Leistungen einzelner Spieler. Jonas Hofmann ist aktuell wohl in der Form seines Lebens, Manu Kone der Aufsteiger der Saison bei der Borussia. Alassane Plea schien nach einem schweren Start auf dem Weg der Besserung, Yann Sommer spielt an sich eine gute Saison.

Und dann gibt es die Fraktion der Negativentwickler: Florian Neuhaus findet partout nicht heraus aus seinem Loch. Gegen Freiburg und Leipzig kam der Nationalspieler gar nicht zum Einsatz - letztlich vielleicht sogar ein glücklicher Umstand für Neuhaus, nachdem er die Derby-Niederlage in Köln mit einem katastrophalen Fehlpass eingeleitet hatte.

Marcus Thuram ist nach einer Verletzung meilenweit von seiner Bestform entfernt, Ramy Bensebaini schwankt zwischen Kreisklasse und Weltklasse, Matthias Ginter wird eine gewisse Abgelenktheit wegen der ungeklärten Vertragssituation nachgesagt.

Ginter ist damit nicht alleine in der Mannschaft, auch die Verträge einiger anderer Spieler laufen demnächst aus. Eine Entschuldigung für die miserablen Leistungen zuletzt darf das aus Eberls Sicht aber nicht sein, im Gegenteil: "Im Moment sind mir Einzelschicksale relativ egal. Bis zum 30.6. kann ich von jedem Spieler erwarten, dass er seine Leistung erbringt für den Klub, der ihn bezahlt!"

Gladbach zerfällt nach Standard-Gegentoren

Die Mannschaft ist überhaupt nicht widerstandsfähig, jeder Rückschlag führt auf der Stelle zu einem heillosen Durcheinander. In Köln setzte es die beiden entscheidenden Gegentore binnen 89 Sekunden, gegen Freiburg folgte auf das 0:1 keine drei Minuten später das 0:2, nach 37 Minuten stand es dann 0:6. in Leipzig waren es pures Glück und die spektakuläre Ineffizienz des Gegners, die ein weiteres absolutes Debakel verhinderten.

Es hagelt derzeit Gegentore nach Standards, auch so ein schwer zu erklärendes Phänomen. An sich weiß jeder, was zu tun ist, die Abläufe sind klar und werden in der jeweiligen Spielvorbereitung auf den Gegner haarklein aufgezeigt. Aber die Umsetzung in die Praxis ist im Moment schlicht verheerend - weil sich einer auf den anderen verlässt und nicht selbst aktiv wird.

Und deshalb stürzt die Borussia ab. Aktuell ist es Platz 13, der Vorsprung auf den Relegationsplatz 16 beträgt nur noch magere zwei Punkte. Das eigentliche Saisonziel, die Qualifikation für die Europa oder sogar die Champions League, ist ganz weit weg. Und vielleicht sind das bald auch die Zuschauer. Gegen Freiburg waren 15.000 Fans zugelassen, 10.025 kamen aber nur. Und ein beträchtlicher Teil hatte das Stadion schon nach einer halben Stunde wieder verlassen.

Corona dürfte einigen die Augen öffnen, dass es noch anderes gibt, als am Wochenende seinem Klub hinterherzureisen. Das ist kein exklusives Gladbach-Problem, die Borussia wird sich auch damit aber früher oder später beschäftigen müssen. Die ersten Anzeichen sind jedenfalls schon zu erkennen.

Muss sich Adi Hütter einer Trainerdiskussion stellen? Max Eberl verneint das (noch)....
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Muss sich Adi Hütter einer Trainerdiskussion stellen? Max Eberl verneint das (noch)....

Hütter bei Gladbach vor dem Aus? Eberl: "Diskussion absurd"

Gladbachs Voraussetzungen sind grundsätzlich richtig gut. Die anderthalb Jahre Corona-Pandemie hat andere Klubs deutlich härter getroffen, die Borussia kam finanziell aber noch vergleichsweise gut durch. Der Kader ist organisch gewachsen, im Sommer gab es nicht mal den Ansatz eines Umbruchs, die Leistungsträger konnten alle gehalten werden.

Was vor ein paar Wochen noch als besonders positiv bewertet wurde, bekommt nun einen anderen Anstrich. Wie das eben so ist, wenn weder die Leistung noch die Ergebnisse stimmen. Dann wird es automatisch ungemütlich. Auch für den Trainer?

"Es ist doch jetzt nicht ernsthaft das Thema, dass ein Trainer nach zwei Niederlagen in Frage gestellt wird?", zürnte Eberl schon nach dem Freiburg-Spiel und ließ weitere Debatten erst gar nicht zu. "Ich finde es so absurd, was hier für Fragen gestellt werden. Dass ich über so etwas, in der jetzigen Zeit, sprechen muss: Da fehlen mir einfach die Worte." Bei seinen vielen Auftritten danach, am Samstag und am Sonntag, wiederholte Eberl seine Worte.

Hütter hat eine Mannschaft übernommen, die im Kalenderjahr 2021 in einem steten Abwärtstrend hängt. Aus einer komfortablen Situation verspielte die Mannschaft in der letzten Saison alle Saisonziele, festgemacht wurde der Niedergang am angekündigten Abgang von Marco Rose. Aber offenbar liegen die Probleme etwas tiefer. Es wird die große Aufgabe, diese Probleme so schnell wie möglich zu eruieren und abzustellen. Ansonsten droht die nächste verkorkste Saison - und dann im Sommer tatsächlich die große Fluktuation.

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