Innerhalb von drei Spieltagen hat sich die Situation an der Tabellenspitze der Bundesliga gedreht. Beim BVB herrscht Krisenstimmung, beim FC Bayern läuft's wieder. Realist Jupp Heynckes lag ziemlich falsch mit seiner Einschätzung. Beim HSV macht nur noch die Jugend Hoffnung und der Videobeweis erlebt eine gute Woche.
Heynckes lag absolut falsch
Ein paar Wochen lang sah es tatsächlich so aus, als würde die Bundesliga einen anderen Meisterschaftskampf erleben als in den letzten Jahren. Borussia Dortmund kam mit Offensivfußball gut in die Saison und führte die Tabelle vom 1. Spieltag an - bis zu diesem Samstag.
Nach dem 2:4 beim Aufsteiger Hannover 96 war klar, dass die Tabellenführung futsch sein wird. In München hat sich dann schnell abgezeichnet, dass der neue Spitzenreiter FC Bayern München heißen wird. Innerhalb von drei Spielen haben die Bayern acht Punkte gutgemacht auf den BVB - und damit Jupp Heynckes' Prognose ad absurdum geführt.
Bei dessen Amtsamtritt hatten die Bayern noch fünf Zähler Rückstand auf Platz eins und Heynckes meinte: "So wie die Dortmunder Fußball spielen, wird es schwierig, sie von oben wegzuholen. Da bin ich Realist."
Einen solchen Umschwung hätte wohl auch der kühnste Optimist an der Säbener Straße nicht erwartet. Aber realistisch gesehen haben die Bayern unter dem neuen Trainer ihre alte Stabilität wieder gefunden. Ein Gegentor haben sie in der Liga unter Heynckes noch nicht kassiert.
Und so findet das Spitzenspiel am kommenden Samstag plötzlich unter völlig anderen Voraussetzungen statt. Der BVB muss zeigen, dass er gegen einen hochkarätigen Gegner nicht erneut defensiv labil ist wie gegen Real Madrid, die Tottenham Hotspur oder RB Leipzig, und darf sich keine Niederlage erlauben - sonst stünde auf einmal der Meister mit sechs Punkten Vorsprung da. Dann bräuchte es bald wieder das sprichwörtliche Fernglas, um die Bayern zu sehen.
HSV: Die Jugend ist die letzte Hoffnung
Nach zwei Siegen zum Saisonauftakt ist beim HSV schnell Ernüchterung eingekehrt. Nur ein Punkt aus den letzten acht Partien haben den Hamburgern wieder einen Stammplatz im Tabellenkeller beschert.
Nach dem vielen Lob für die engagierte Leistung gegen Bayern spielte der HSV eine ernüchternde erste Halbzeit in Berlin. Die Folge war ein 0:2-Rückstand, den das Team auch nicht mehr aufholen konnte.
Aber einige Szenen in Halbzeit zwei machten Hoffnung. Konkret wurde das Spiel der Hamburger besser, als Trainer Markus Gisdol seine Talente eingewechselt hatte. In der 56. Minute kam Jann-Fiete Arp (17) und Tatsuya Ito (20) für Albin Ekdal und Bobby Wood.
Und auf einmal spielte der HSV Fußball. "Ich habe lange nicht mehr gesehen, dass zwei Einwechselspieler eine Partie so verändert haben", sagte HSV-Kapitän Gotoku Sakai. Arp erzielte den Anschlusstreffer dank guter Handlungsschnelligkeit. Mit seinem Treffer wurde er mit 17 Jahren, 9 Monaten und 22 Tagen zum siebtjüngsten Torschützen in der Bundesligageschichte.
"Es überrascht mich nicht, dass er getroffen hat. Er ist auch bei uns im Training gut", sagte Gisdol. Nicht ganz so positiv beurteilte er die Leistung seiner Stammspieler und vor allem das Verhalten bei Standards (beide Treffer fielen nach Berliner Ecken).
"Wenn wir so auftreten, verdienen wir keine Punkte. Und wenn wir in den entscheidenden Situationen so nachlässig sind, werden wir auch keine Punkte mehr holen", sagte Gisdol, der die Zügel noch einmal anziehen wird. "Du kannst als Trainer auch mal andere Wege gehen und Maßnahmen ergreifen. Vielleicht ist es an der Zeit, das jetzt zu tun."
Der Videobeweis - immer wieder Kontroverse
Seit neun Spieltagen darf im Stadion, an den Stammtischen, in den sozialen Netzwerken und auch sonst überall über den Videobeweis gemeckert werden. Wie hilfreich er sein kann, wurde aber nicht zuletzt beim DFB-Pokalfight zwischen Leipzig und Bayern deutlich. In Leipzig wirkte Schiedsrichter Felix Zwayer doch ziemlich allein gelassen - auch wenn Ralf Rangnick auf die nicht ganz feine Art Hilfe anbot.
Auch am Samstag wurde wieder fleißig "videobeweist", was den Schiedsrichtern deutlich entgegenkam und den Diskussionen rund um die Entscheidungen aber keinen Abbruch tat. Besonders auf Schalke gab es einige knifflige Szenen, die Schiedsrichter Markus Schmidt und sein VAR anders bewerteten als die Protagonisten.
"Es ist ein bisschen wie Geschenke auspacken, wenn es Videobeweis gibt und wir Elfmeter kriegen", sagte S04-Trainer Domenico Tedesco, Manager Christian Heidel fügte hinzu: "Es wird immer gesagt: 'Uns fehlen die Diskussionen am Sonntagmorgen am Stammtisch.' Ich glaube, wir haben noch nie so viel diskutiert, seit es den Videoschiedsrichter gibt." Der Wolfsburger Coach Martin Schmidt meinte: "Ich fand es gerecht, ich bin ein Befürworter davon. Aber es muss viel schneller gehen."
Diskussionen gab es schließlich auch am Sonntag, als Freiburgs Caglar Söyüncü wegen der Verhinderung einer klaren Torchance durch ein absichtliches Handspiel die Rote Karte sah. Erneut eine knifflige Szene. Die zentralen Fragen: Wäre Ginczek wirklich frei durch gewesen? Oder hat er Söyüncü vorher sogar gestoßen? Bei beiden Fragen kann man zu dem Ergebnis kommen, die letztliche Schiedsrichterentscheidung zu stützen.
Dass die Freiburger jedoch erneut erst eine knappe Minute nach der strittigen Szene im Nachhinein "Opfer" eines VAR-Platzverweises wurden, erhitzte vor allem die Gemüter in den sozialen Netzwerken.
Das Wochenende hat erneut gezeigt, dass das Prozedere ist immer noch nicht optimal ist. Dem Stadionzuschauer fehlen die Bilder, auch die Kommunikation zwischen dem Schiedsrichter und seinem Videoassistenten finden komplett unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Etwas mehr Transparenz würde dem Videobeweis guttun, aber speziell der 10. Spieltag legte den Schluss nahe, dass Entscheidungen mit Videobeweis gerechter sind als ohne.
Was hilft beim 1. FC Köln?
Der Sieg im DFB-Pokal bei Hertha BSC hatte für etwas positivere Schlagzeilen rund um den 1. FC Köln gesorgt. Der letzte Platz in der Bundesliga und der Abschied von Geschäftsführer Jörg Schmadtke traten kurzzeitig in den Hintergrund.
Seit Samstag ist die sportliche Realität in dieser Saison aber wieder sehr präsent. Zehn Spiele, null Siege, zwei Punkte, Platz 18. Auch in Leverkusen gab es trotz Führung keinen Dreier. "Wir spielen nicht scheiße, aber uns fehlen die Siege. Dafür müssen wir alles geben", sagte Kapitän Matthias Lehmann und stellte eine Forderung. "Vor der Länderspielpause brauchen wir, wenn möglich, zweimal drei Punkte."
Wie der FC das machen soll, ist unklar. Denn vor der neuerlichen Ligapause steht nur noch das Heimspiel gegen 1899 Hoffenheim an. Unwahrscheinlich, dass die DFL den Kölnern für einen Sieg die Punkte verdoppelt.
Trainer Peter Stöger hat die Krise bisher überstanden. Wann die Entscheidungsträger beim FC unruhig werden, bleibt abzuwarten.
Auf jeden Fall flüchtet sich der Trainer nicht in Schönrednerei: "Wir haben uns heute über die Spielzeit zu wenig befreien können. Und die fußballerische Lösungen, die wir als Ideen hatten, konnten wir zu selten umsetzen. Bayer hatte die bessere Struktur und das bessere Passspiel. Der Druck auf uns ist immer stärker geworden. Am Ende war es ganz einfach zu wenig. Bei zwei Punkten brauche ich nicht nach Ausreden zu suchen."
Eine Trennung von Nouri war unumgänglich
"Aus der Enttäuschung heraus sollte man eine so wichtige Entscheidung nicht treffen. Deshalb nehmen wir uns Zeit und lassen das Ganze erst einmal sacken", sagte ein sichtlich niedergeschlagenen Frank Baumann nach dem 0:3-Offenbarungseid von Werder Bremen gegen den FC Augsburg. Um dann nachzuschieben: "Ich kann und will keine Jobgarantie geben." Aussagen, die sich vor einigen Wochen noch anders angehört hatten.
Am Montagmorgen machte Werder Bremen die Trennung von Trainer Alexander Nouri dann offiziell. Eine Überraschung war das freilich nicht mehr.
Wirklich viel hatte am Sonntagabend nämlich nicht mehr dafür gesprochen, dass die Entscheidung letztlich pro Nouri ausfallen würde. Die Ergebnisse stimmten nicht, nach zehn Spieltag ist Werder noch sieglos und steht mit nur drei geschossenen Toren bei einem Vereins-Negativrekord. Das Publikum hatte der 38-Jährige inzwischen auch verloren, über weite Teile der zweiten Halbzeit skandierten die sonst so treuen Fans im Weserstadion lautstark "Nouri raus" und verhöhnten die Mannschaft mit sarkastischen Gesängen.
Und nun gab es nicht mal mehr die offene Rückendeckung der Bosse. Die Entscheidung war konsequent, weil alternativlos. Die dritte Trainerentlassung der Saison hatte sich abgezeichnet.
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