Eine Frage des Glaubens

Von Jan Höfling
Daniel Didavi (l.) feiert seinen Treffer im Spiel gegen Borussia Mönchengladbach
© getty

Daniel Didavi steht sinnbildlich für die neue Mentalität des VfB Stuttgart unter Huub Stevens. Im Abstiegskampf wird der Trainer auch in Hannover (20.30 Uhr im LIVE-TICKER) nicht auf ihn verzichten. Dabei hat das Eigengewächs eine lange Leidenszeit hinter sich. Diese Erfahrung hilft ihm aber jetzt, mit gutem Beispiel voranzugehen.

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Der TV 1862 Leutershausen blickt mit Sicherheit auf eine lange Tradition zurück. Zu nationaler Bedeutung hat es der Klub allerdings seiner über 150-jährigen Geschichte noch nicht gebracht, er dürfte wohl nur den Fußballkennern im Nürnberger Raum bekannt sein. Dort spielt der Klub in der Kreisklasse.

Daniel Didavi kennt Leutershausen, seine Erinnerungen sind keine guten. In einem Freundschaftsspiel mit dem 1. FC Nürnberg im Mai 2012, die Bundesligasaison war schon vorbei, zog sich der damals 22-Jährige einen Knorpelschaden im linken Knie zu. Es folgte eine Operation, sechs Monate Pause wurden prognostiziert.

Verletzung zur Unzeit

Nicht, dass es gute Momente für eine solch schwere Verletzung gäbe, für Didavi kam die schwere Knieblessur zur Unzeit. Didavi war zuvor mit starken Leistungen und sechs Treffern in den letzten sechs Saisonspielen maßgeblich am Klassenerhalt des Clubs beteiligt.

Er hatte den Durchbruch in der Bundesliga geschafft und stand vor der Rückkehr zu seinem Stammverein VfB Stuttgart. Der gebürtige Nürtinger wollte den nächsten Schritt machen. Von einer Sekunde auf die andere änderte sich jedoch alles.

Zwar kehrte er tatsächlich zum VfB zurück und bekam vom Verein auch die volle Unterstützung zugesagt sowie einen Kontrakt bis 2016, seine dauerhafte Rückkehr auf den Platz zog sich aber länger hin als geplant.

Trügerische Hoffnung

Ein halbes Jahr nach dem Eingriff kehrte der Mittelfeldspieler in das Mannschaftstraining zurück und kam zu drei Kurzeinsätzen. Nach der 1:4-Niederlage gegen Werder Bremen folgte jedoch der Rückschlag. Erneut bereitete das linke Knie Probleme. Es folgten ein Ärztemarathon sowie das Einholen verschiedener Meinungen. Das Resultat blieb unverändert.

Zwar sah nach der ersten Operation im Mai 2012 alles gut aus und auch die Regeneration des Knorpels machte entsprechende Fortschritte, doch konnte das Knie der Belastung auf Dauer nicht standhalten. Ein Knochenödem hatte sich gebildet, das eine weitere Operation unumgänglich machte. Erneut erwartete Didavi eine lange Auszeit.

"Wer kämpft, wird belohnt!"

Vor allem auf der mentalen Ebene erwies sich der neuerliche Nackenschlag als harte Probe, die erhebliche Auswirkungen auf den weiteren Verlauf seiner Karriere haben sollte. Didavi, ein gläubiger Christ, fand neben seiner Familie vor allem bei Gott Halt. Die Bibel als ständiger Begleiter, handelte er getreu dem Motto: "Wer kämpft, wird belohnt!"

"Ich würde nicht sagen, dass ich in der schwierigen Phase an mir gezweifelt habe", sagt Didavi: "Aber wenn dir der Arzt sagt, dass du in sechs Wochen dies oder jenes schon wieder machen kannst und das dann doch nicht klappt, denkst du dir manchmal schon: 'Mensch, das gibt's doch nicht'."

Er richtete, trotz weiterer Komplikationen während der Reha, seinen Blick nach vorne und mit der Zeit spielte auch das lädierte linke Knie immer besser mit. Seine optimistische Art verlor er dabei nie: "Viele haben mich schon abgeschrieben, aber wer mich kennt, der weiß, dass ich niemals aufgebe. Ich habe so hart gearbeitet, um zurückzukommen - und jetzt bin ich wieder ziemlich nah dran."

Mehr als nur ein Verein

Ein weiterer wichtiger Faktor für die Genesung war die Beziehung zum VfB: "Ich bin seit der F-Jugend hier und dem Verein emotional eng verbunden. Deshalb nimmt mich unsere Situation mit." Didavi wollte im Abstiegskampf unbedingt helfen. Je näher er an die Mannschaft heranrückte, desto stärker wurde der Drang.

Nach zwei Einsätzen in der 3. Liga war es soweit. Im Heimspiel gegen Borussia Dortmund kam Didavi nicht nur zu seinem 35. Bundesligaeinsatz, sondern stand gleich in der Startelf. Ein deutliches Zeichen von Trainer Huub Stevens, der auf die Dynamik und die Abschlussstärke des 24-Jährigen setzt.

Inwiefern bei der Entscheidung auch das Erinnerungsvermögen des Niederländers eine Rolle gespielt hat, lässt sich nur vermuten. Allerdings hat Didavi gegen ein von Stevens trainiertes Schalke 04 vor seiner Verletzung nicht nur zwei Tore selbst erzielt, sondern auch eine Vorlage zum 4:1-Sieg des Clubs beigesteuert. "Da gab es jetzt noch einen Anschiss, als er in Stuttgart angetreten ist", scherzt Didavi.

Reifeprozess im Zeitraffer

Seit seiner Rückkehr bewies er den Kampfgeist, der für die Stuttgarter aktuell wichtiger ist denn je. Ohne Rücksicht auf seine Vorgeschichte agiert er mit einer unbekümmerten Selbstverständlichkeit, die erfahreneren Spielern in diesen Tagen abhanden gekommen scheint.

Durch seine Verletzungen und die vielen Rückschläge hat der Mittelfeldakteur ein gänzlich anderes Selbstverständnis entwickelt. "Viele Fußballer wissen gar nicht, wie gut es ihnen geht", sagt Didavi, "ich weiß es jetzt. Ich weiß meinen Beruf nun viel mehr zu schätzen als vor meiner Leidenszeit."

Steigende Einsatzzeit

Seine vier Auftritte in der Bundesliga zeigen, dass es sich dabei nicht um hohle Phrasen, sondern vielmehr um eine im Zeitraffer gereifte Persönlichkeit handelt. Auffällig sind in diesem Zusammenhang die Geradlinigkeit im Spiel der Nummer zehn und die Intensität.

Zwar reicht die Power noch nicht für ein ganzes Spiel, aber Stevens hat die Einsatzzeiten kontinuierlich gesteigert: erst 60, dann 61, dann 63, zuletzt 77 Minuten.

Das Tor gegen Borussia Mönchengladbach, das erste seit April 2012, sowie der Freistoß, der zur 1:0-Führung gegen Schalke durch Martin Harnik führte, riefen allen Zweiflern sein Potenzial wieder ins Gedächtnis. Didavi macht da weiter, wo er vor zwei Jahren aufgehört hat. Er muss jetzt nur verletzungsfrei bleiben.

Daniel Didavi im Steckbrief

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