Eine Frage der Gier

Jürgen Klopp und seine Truppe muss 2014 wieder auf alte Tugenden zurückgreifen
© getty

In der Zeit der Verletzungsmisere von Borussia Dortmund wurde die Stimmung immer schlechter und die Töne rauer. Die dreiwöchige Winterpause der Bundesliga verändert die Personalsituation bedeutend. Damit der BVB das Ziel Vizemeisterschaft erreicht, muss die Mannschaft aber wieder jene Eigenschaft an den Tag legen, die sie bei den Erfolgen der vergangenen drei Spielzeiten auszeichnete: die Gier.

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"Irgendwo musste das Verletzungspech durchschlagen", erklärte Dortmunds Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke, "das war in der Bundesliga." Watzke gab sich bei der Pressekonferenz zum Auftakt des Wintertrainingslagers im spanischen La Manga betont lässig, was auch an dessen jugendlichem Kapuzenpullover abzulesen war.

"Allerdings soll das keine Ausrede sein, es war nicht der einzige Grund", fuhr Watzke fort, sprach aber umgehend auch davon, dass der BVB in der Hinrunde das Soll wettbewerbsübergreifend "fast schon übererfüllt" habe.

Neben ihm saß Sportdirektor Michael Zorc. Auch seine Laune war nicht die schlechteste. Anders als noch vor rund drei Wochen, als Borussia Dortmund gegen die Hertha aus Berlin die dritte Heimniederlage nacheinander kassierte - ein Novum unter Trainer Jürgen Klopp - und in der Bundesligatabelle auf den vierten Platz abrutschte.

"Nach langer Zeit bin ich mit der Art und Weise nicht einverstanden, wie wir aufgetreten sind", sagte Zorc damals. Der bittere Ausklang der Hinrunde hatte Spuren hinterlassen, die Stimmung tendierte in Richtung Nullpunkt. Ernüchtert ging die Borussia in die Weihnachtsfeiertage, denn: "Unser Saisonziel zu erreichen, wird ein hartes Stück Arbeit. Wir brauchen dafür eine bärenstarke Rückrunde."

Nach dem Derby folgt die Seuche

Anfang November, nur zwei Wochen nach dem Derbysieg auf Schalke, begann in Dortmund die Seuche. Die 1:2-Niederlage in Wolfsburg, bei der sich Neven Subotic das Kreuzband riss, war der Auftakt einer sechswöchigen Achterbahnfahrt. Weitere Leistungsträger wie Mats Hummels oder Marcel Schmelzer verletzten sich, der BVB sammelte in den restlichen fünf Partien nur mickrige vier Zähler ein.

Dortmund konnte das Verletzungspech, das beinahe ausschließlich Defensivspieler heimsuchte, nicht auffangen. Obwohl die Offensivabteilung in Gänze zur Verfügung stand, merkte man dem BVB-Spiel die veränderte Statik an, die aufgrund des ständigen Rotationszwangs unterschiedliche Ausprägungen von Partie zu Partie nach sich zog.

Ohne den langzeitverletzten Ideengeber Ilkay Gündogan und Hummels' Spielstärke im Aufbau fielen Dortmunds Bemühungen meist zu schematisch und wenig kreativ aus. Viel Last lag auf Nuri Sahins Schultern, der sich zwar redlich um Struktur bemühte, allerdings weiterhin damit beschäftigt ist, jene Konstanz in seine Auftritte zu bekommen, die ihn im Meisterjahr 2011 zum Herzstück des Dortmunder Spielvortrags werden ließ.

"Wir haben uns eingebrockt, dass wir in dieser Pause über sehr viel nachdenken müssen. Ich werde das jetzt tun - und am 5. Januar geht's wieder von vorne los", sagte Klopp nach der Hertha-Pleite. Auch wenn die Pause für die Akteure nicht besonders lang ausfiel, konnte der Coach beim Start ins neue Jahr einige Rückkehrer begrüßen. Die Personalsituation hat sich bedeutend verändert. Schmelzer und Sven Bender sind wieder fit, das Comeback von Hummels ist in Sichtweite und auch Gündogan wird bei prognostiziertem Verlauf bald wieder erste Spielminuten sammeln können.

Die Erkenntnisse des Nachdenkens

In den ersten Trainingstagen 2014 wird klar, welche Erkenntnisse Klopp aus seiner Zeit des Nachdenkens gezogen hat. Wer die Spiele des BVB am Ende der Hinrunde verfolgt hat, wird nicht überrascht sein, dass der Trainer in der Winterpause das Hauptaugenmerk auf ein klareres Umschaltspiel, eine höhere Zielstrebigkeit beim Torabschluss und effektivere Standardsituationen legen wird.

Ob und wie die Borussia dies in der Rückrunde bewerkstelligen wird, wird vor allem eine Frage der Gier. Eine Tugend, dank der die Westfalen in den vergangenen drei Spielzeiten von Erfolg zu Erfolg eilten. Dortmund gehört hinter dem SC Freiburg immer noch zu den laufstärksten Mannschaften der Bundesliga, gegen Berlin stellte man mit 128 gelaufenen Kilometern sogar den Saisonrekord auf.

Doch die bloße Distanz reicht natürlich nicht aus, um seine Gegner zu besiegen. Es wird beim BVB darum gehen, in den Zweikämpfen nicht nur anwesend zu sein, sondern hartnäckig und körperbetont den unbedingten Willen zur Schau zu stellen, den Ball auch erobern und schnellstmöglich raumgewinnend nach vorne spielen zu wollen.

Die Gier nach Toren

Dies gilt gerade beim Umschalten auf Defensive, der mannschaftlichen Paradedisziplin in den letzten Jahren. Das jagdähnliche Verhalten, dieses blitzartige Ausschwärmen nach Ballverlusten, machte den Unterschied in den Meisterjahren aus und liegt nun zu oft brach. Dortmund führt nach Werder Bremen zwar die meisten Zweikämpfe, konnte aber nur 48,8 Prozent für sich entscheiden - was Platz 13 in der Bundesliga bedeutet.

"Außerdem hätten wir das eine oder andere Spiel gewinnen können, wenn unsere Chancenverwertung besser gewesen wäre", ließ Zorc auf dem Podium in Spanien wissen. "Aber das lässt sich nur schwer trainieren."

Damit mag der Sportdirektor Recht haben, doch ist auch im Abschlussdrittel des Spielfelds eine Gier nach Toren nötig, um eine höhere Zielstrebigkeit zu erreichen. Gerade auch deshalb, weil Dortmund am häufigsten in Europa aufs Tor schoss (317 Schüsse in der Bundesliga, 26 mehr als der FC Bayern) und sich in Deutschland die mit Abstand meisten Großchancen erspielte. Doch war neben der schlicht unzureichenden Verwertungsquote auch eine Vielzahl an Situationen dabei, in denen die Spieler vor dem Tor falsche Entscheidungen trafen.

Mehr Egoismus im Offensivspiel

Darunter tatsächlich auch mehrere aussichtsreiche Möglichkeiten, in denen deshalb nicht aufs Tor geschossen wurde, weil die Spielsituation nicht vollständig erkannt wurde. Dann lag der Fokus vielmehr darauf, durch einen weiteren Pass die vorherige Ballzirkulation aufrecht zu erhalten. Gier hat aber auch etwas mit Egoismus zu tun - gerade bei den Offensivspielern.

Klopp muss es unter dem Strich also hinkriegen, der gesamten Mannschaft wieder das Gefühl zu vermitteln, dass Ballrückeroberungen sowie ein entschlosseneres Offensivspiel sehr lohnenswert für die Ausgewogenheit im Dortmunder Spiel sein werden.

"Keines der Spiele, die wir zuletzt verloren haben, hätten wir verlieren müssen", sagte Klopp vor Weihnachten. Nur wenn aus den Teildisziplinen des Wintertrainings auf dem Spielfeld wieder eine Tugend wird, kann Borussia Dortmund sein Saisonziel noch erreichen.

Borussia Dortmund im Überblick