Slomkas fünfköpfige Hydra

Von Thomas Jahn
96-Trainer Mirko Slokma stehen gleich fünf Hochkaräter im Sturm zur Verfügung
© Getty

Schlaudraff, Sobiech, Ya Konan, Abdellaoue und Diouf: 96-Coach Mirko Slomka verfügt im Angriff über ein Lineup, das ligaweit seinesgleichen sucht. Dank exzellenter Personalpolitik und eines Rückkehrers ist Hannovers Offensivspiel im Jahr 2012 unberechenbarer denn je. Gegen Twente (20.50 Uhr im LIVE-TICKER) soll die nächste Gala der Niedersachsen folgen.

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So richtig glücklich wirkte Mo Abdellaoue am vergangenen Sonntag nicht. Mit einem sichtlich gequälten Lächeln streckte der Norweger den Fotografen die Medaille entgegen, die ihm Momente zuvor überreicht worden war.

Sein magischer Hackentreffer im Vorbereitungsspiel gegen Manchester United hatte dem 96-Angreifer 31 Prozent und damit den Sieg bei der Wahl zum Tor des Monats August eingebracht.

Ein Treffer, bei dem selbst United-Weltstar Wayne Rooney für Sekunden die Kinnlade herunterklappte. Doch es war das bislang letzte große Ausrufezeichen, dass Abdellaoue im Trikot der Niedersachsen setzen konnte.

Slomka-Lob für Abdellaoue

In der neuen Saison sind in der Elf von Coach Mirko Slomka bislang andere für die Blitzlicht-Momente zuständig. Sowohl beim 4:0-Triumph in Wolfsburg als auch beim 3:2-Spektakel gegen Werder blieb für den besten 96-Torschützen der letzten Saison (11 Treffer) nur der Bankplatz.

Und das, obwohl er die Bremer vor knapp einem Jahr mit einem Dreierpack an gleicher Stelle beinahe im Alleingang vom Platz gefegt hatte. Abdellaoues Leichtigkeit der Vorsaison ist verflogen, das 96-Credo "Ball zu Moa, der macht den Rest" scheint überholt.

"Spritzig" habe sich Abdellaoue zuletzt im Training präsentiert, sagt Slomka in seiner typisch charmant-diplomatischen Art: "Er hat seine alte Gefahr wiedergefunden, ich finde, dass er in einer guten Verfassung ist."

Gut, aber derzeit eben nicht gut genug für Slomkas Startelf. Denn kurz darauf fügt er an: "Wir haben allerdings auch andere Spieler, die in einer sehr guten Verfassung sind."

Fixpunkt Schlaudraff ist gesetzt

Gemeint sind damit wohl allen voran Artur Sobiech und Jan Schlaudraff. An Schlaudraff, dem wuseligen und kreativen Ballverteiler führt als hängende Spitze in Slomkas favorisiertem 4-4-2-System kein Weg vorbei. Als Wortführer und Fixpunkt des Hannover'schen Offensivspiels ist der 29-Jährige gesetzt.

Deutlich überraschender mutet dagegen Sobiechs Entwicklung an. Der bereits als Flop abgestempelte Pole, der 2011 aus Warschau zu 96 wechselte, scheint nach langer Anlaufzeit endlich angekommen zu sein.

Im EL-Quali-Rückspiel gegen Wroclaw netzte Sobiech nach seiner Einwechslung innerhalb von 16 Minuten doppelt ein. Zwei Argumente für Slomka, ihm im folgenden Ligaspiel beim VfL in der Startelf ranzulassen. Der 22-Jährige dankte es mit einer bärenstarken Leistung und dem nächsten Doppelpack.

Die "Schnecke" nutzt ihre Chance

"Artur hat seine Chance eindrucksvoll genutzt. Er ist groß, stark, schnell und nimmt jede Herausforderung an. Er verkörpert den Stürmertyp, den wir sonst nicht so haben", sagt Slomka über ihn, den sie in Hannover "Schnecke" rufen. Neben herausragender Physis und offensiver Zweikampfstärke überzeugt Sobiech aktuell vor allem durch seine Effizienz.

Für seine bislang vier Treffer in Liga und Europa League brauchte der 1,87-Meter-Mann nur 217 Minuten Einsatzzeit und trifft damit im Schnitt alle 54 Minuten. Sobiech will seinen Platz nicht so schnell wieder abgeben und äußert sich selbstbewusst: "Jetzt kommt meine Chance!"

Ya Konan im Formtief

Doch wie dünn die Luft im Stürmer-Konkurrenzkampf bei den 96ern ist, weiß wohl auch Sobiech. Neben Abdellaoue kämpft ein anderer einstiger Torgarant um mehr Einsatzzeit: Didier Ya Konan.

In der Saison 2010/11 spielte sich der für läppische 550.000 Euro verpflichtete Ivorer mit 14 Toren und sieben Assists in die Herzen der Fans, ging in Slomkas Konterfußball voll auf und war schnell der gefeierte Star des 96-Teams.

Diverse Verletzungen, Übergewicht zum Trainingsauftakt und die Mehrfachbelastung durch den Afrika Cup sowie die plötzliche Konkurrenzsituation mit dem aufstrebenden Abdellaoue warfen den 28-Jährigen im vergangenen Jahr in eine Formkrise.

Noch immer läuft Ya Konan seinen Topleistungen hinterher, wirkt im Kombinationsspiel der "Roten" mitunter deplatziert und kommt weder am starken Lars Stindl auf dem rechten Flügel noch an der Konkurrenz im brilliant besetzten Sturm vorbei.

Diouf steht vor dem Comeback

Dort erhebt seit Anfang des Jahres nämlich noch Mame Diouf als fünfter Kandidat berechtigte Ansprüche auf Spielminuten. Der Senegalese, im Januar aus der Reserve von ManUnited gekommen, erwies sich schnell als die erhoffte Verstärkung und als ernsthafte Alternative zu den Konterstürmern Ya Konan und Abdellaoue.

Slomka preiste Diouf damals als robusten Alleskönner an, der "gefährlich, dynamisch, schnell, kopfballstark und sehr wuchtig" sei. Eine Mischung, die er in dieser Qualität in seinem Team vermisst hatte. Und Diouf ließ den lobenden Worten seines Trainers Taten folgen: Zehn Treffer und drei Assists in 15 Pflichtspielen für 96 machten ihn schnell zur Stammkraft.

Erst eine schwere Fußverletzung im April unterbrach den Lauf des Nationalspielers und legte ihn bis Anfang September auf Eis. Doch Dioufs Comeback steht bevor: Seit einer Woche trainiert er wieder in der Mannschaft und könnte bereits am 4. Spieltag gegen Nürnberg wieder eine Alternative sein.

Slomka: "Traumhafte Situation"

Nach Dioufs Rückkehr werden Slomka somit gleich fünf Stürmer zur Auswahl stehen, die in Topform zur Ligaspitze zählen. Fünf Stürmer und nur zwei Startplätze: Für die Profis eine harte Bewähruhngsprobe, für Slomka eine "traumhafte Situation für die Offensive".

Denn: Selbst Topklubs wie Dortmund, Schalke oder Gladbach verfügen im Sturm nicht über eine derartige Bank-Tiefe in vergleichbarer Qualität.

Und für dieses Lineup musste 96 nicht einmal viel Geld in die Hand zu nehmen. In der Summe bringen es alle fünf Angreifer auf eine Ablöse von beinahe lächerlichen 6,5 Millionen Euro - Slomka und Manager Jörg Schmadtke haben in puncto Spielerentwicklung und Scouting in den letzten Jahren Arbeit auf höchstem Niveau geleistet.

Für den 96-Coach resultiert aus diser exzellenten Personapolitik die luxuriöse Möglichkeit, angemessen auf Gegner und Spielsituationen zu reagieren. Für nahezu jede Herausforderung, hat Slomka den passenden Spielertyp parat.

So wie auch gegen Wolfsburg gesehen, als der zweikampfstärkere und robustere Sobiech den Vorzug vor Konterstürmer Abdellaoue erhielt, um dem massiven Innenverteidiger-Duo Pogatetz/Naldo Paroli bieten zu können. Das Resultat ist bekannt.

Huszti wertet das 96-Spiel auf

"Wir haben in jedem Spiel die Möglichkeit, zu variieren", schwärmt Slomka. Und mit den personellen Optionen im Angriff wächst für ihn auch die taktische Flexibilität.

Bereits zu Beginn der Saison ist eine deutliche höhere Variabilität im Spiel der 96er erkennbar. Lange war Hannover hauptsächlich auf das überfallartige Umschalten nach Ballgewinn gepolt - und diese Stärke bleibt auch weiterhin der größte Trumpf der 96er.

Doch gerade durch die Rückkehr von Szabolcs Huszti, der seine maßgenauen Standards, seine individuelle Stärke und die mannschaftsdienliche Spielweise bislang in Perfektion zum Einsatz bringt, hat Hannover auch bei eigenem Ballbesitz an Klasse gewonnen.

Lernt Hannover zu dominieren?

96 befindet sich auf einem guten Weg, sich eben auch als agierendes, spielbestimmendes Team in der Bundesligaspitze zu etablieren - wovon die Stoßstürmer Sobiech und Diouf naturgemäß profitieren könnten.

Dennoch bleibt vieles zunächst in der Schwebe. Kommt Diouf nach der langen Pause schnell wieder in Tritt? Hält Sobiech seinen Lauf aufrecht oder finden Ya Konan und Abdellaoue gar zu alter Stärke zurück?

Kaum etwas scheint bei den Niedersachsen derzeit unmöglich. Nur eines ist aufgrund der Qualitätsdichte wohl kaum denkbar: Vorauszusehen, welcher der fünf Topstürmer die nächste Medaille entgegennehmen darf.

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