"Gott sei Dank keinen Feuerwehrmann geholt"

Von Interview: Florian Bogner
Max Eberl und Lucien Favre: Ein gutes Team seit Februar 2011
© Imago

Borussia Mönchengladbach hat mit dem überraschenden 1:0-Sieg beim FC Bayern München für Aufsehen gesorgt und seine Fans in Ekstase versetzt. Max Eberl sieht das Ganz eher nüchtern. Im SPOX-Interview spricht der Sportdirektor der Borussia über den Coup in München, aber auch über die Zukunftspläne des Klubs. Zudem bricht er eine Lanze für Trainer Lucien Favre.

Anzeige
Cookie-Einstellungen

SPOX: Herr Eberl, schön gefeiert nach letztem Sonntag?

Max Eberl: Nein. Wieso?

SPOX: Erster Sieg in München seit 16 Jahren, zweiter Sieg überhaupt erst, gelungener Saisonstart - das wären Gründe.

Eberl: Solche Statistiken sind für die Fans wunderschön, aber wir feiern erst am Ende der Saison, wenn wir was erreicht haben.

SPOX: Letzte Saison ging es mit einem 6:3-Sieg bei Bayer Leverkusen am zweiten Spieltag ähnlich gut los - dann folgte ein gewaltiger Einbruch.

Eberl: Wir werden aus diesem Sieg in München die Essenz ziehen. Es kommt in jedem Spiel auf die Leistung an, wir fangen gegen Stuttgart wieder bei Null an. Wir dürfen nicht meinen, wir hätten schon was geschafft und es ginge jetzt vielleicht mit weniger Einsatz.

SPOX: Andersrum gefragt - kann die Mannschaft solche Erfolge nach der turbulenten letzten Saison etwas besser einordnen?

Eberl: Fragen Sie mich das nach dem nächsten Spiel noch mal! (lacht) Im Ernst: Ich denke schon, dass die Mannschaft das gut einordnen kann. Wir haben schon in der Rückrunde gesehen, dass sie nach Siegen gegen Dortmund oder Hannover ruhig weitergearbeitet hat. Klar, damals ging es in jedem Spiel ums Überleben. Aber es zeigte, dass wir auf dem richtigen Weg sind.

SPOX: Gegen Stuttgart hätte die Mannschaft was gutzumachen.

Eberl: Das Rückspiel gegen Stuttgart war ein Spiegelbild der ganzen letzten Saison. Wir haben zur Halbzeit 2:0 geführt, waren zu dem Zeitpunkt beste Rückrundenmannschaft. In der zweiten Halbzeit haben wir dann mit Angst im Nacken das 2:2 bekommen. Dann wurde uns ein berechtigtes Tor aberkannt, im Gegenzug gab es einen unberechtigten Elfmeter inklusive Platzverweis. Dieses Spiel beschrieb in 90 Minuten, was wir die ganze Saison über erlebt haben.

SPOX: Und das Hinspiel, das 0:7?

Eberl: Ein Debakel, bei dem man sich nach wie vor bei allen, die dabei waren, nur entschuldigen kann. Das hatte mit Bundesliga-Fußball nicht viel zu tun.

SPOX: Marc-Andre ter Stegen war in München bärenstark. Erklären Sie mal, warum der Junge schon im jungen Alter so abgeklärt ist.

Eberl: Er lebt von seiner inneren Ruhe und seiner Stabilität. Er vertraut auf das, was er kann - und das ist eine Menge. Wir haben ihn in der letzten Saison als dritten Torhüter dazu genommen, obwohl er noch in der A-Jugend hätte spielen können. Wir haben ihn auf die nächste Stufe gehoben, um seine Förderung - und damit auch Forderung - weiter voran zu treiben.

SPOX: Was zeichnet ihn aus Ihrer Sicht besonders aus?

Eberl: Als früherer Feldspieler ist er fußballerisch mit beiden Füßen sehr stark und damit auch wie Manuel Neuer ein offensiver Torwart, der vieles schon im Vorhinein erkennt. Er wird auch mal Fehler machen und mal eine falsche Entscheidung treffen, aber er ist von seinem Charakter, seiner Zielstrebigkeit und seiner Einstellung her so stark, dass er damit umgehen kann.

SPOX: Schon vor zwei Jahren, als ter Stegen mit der U 17 Europameister wurde, lobte sein damaliger DFB-Trainer Marco Pezzaiuoli dessen ausgeprägte Persönlichkeit.

Eberl: Das gilt aber auch für viele andere. Man könnte das auch auf Mario Götze ummünzen - auch er ist klar und geht unbeirrt seinen Weg, ist dabei aber bescheiden und besonnen geblieben. Viele schreien nach 'enfants terribles' oder nach bunten Vögeln. Ich lese immer wieder, wir hätten keine Führungsspieler, nur noch Gleichgesinnte. Ich sehe das anders: Wir haben tolle Jungs, die sich auf den Fußball konzentrieren und alles dafür tun, auf dem Platz Leistung zu bringen - und nicht für irgendwelche Galas. Dazu gehört Marc-Andre ter Stegen zu hundert Prozent.

SPOX: Beim DFB gibt es mit Manuel Neuer, Rene Adler und Tim Wiese eine klare Hackordnung. Dahinter stehen Talente wie Ron-Robert Zieler und ter Stegen. Wo ordnen Sie Borussias Keeper ein?

Eberl: Schön, dass wir viele junge deutsche Torhüter haben. Früher war es fast undenkbar, dass ein 19-Jähriger bei einem Bundesligisten im Tor steht. Mit der Verbesserung der Ausbildung ist auch das Vertrauen der Trainer in die jungen Torhüter über die Jahre größer geworden, weil die Qualität da ist.

SPOX: Jetzt haben Sie die Frage nicht beantwortet.

Eberl: Ich finde, mir steht es nicht zu, zu beantworten, in welcher Hackordnung er in Deutschland steht.

SPOX: Aber Sie haben eine Meinung.

Eberl: Ich habe eine Meinung, aber nicht jede Meinung muss ich kundtun. Ich werde den Jungen mit 19 Jahren sicher nicht durch meine Meinung unter Druck setzen, weil sie sowieso nicht relevant ist. Ter Stegen hat alle Jugend-Nationalmannschaften durchlaufen. Und dass er Potenzial hat, wie auch Zieler, Kevin Trapp oder Bernd Leno, ist bekannt. Sagen wir es so: Er gehört zu den großen Torhüter-Talenten Deutschlands.

SPOX: In München stand kein Neuzugang in der Startelf. Weil die Mannschaft passt oder weil die Neuen noch nicht so weit sind?

Eberl: Wir haben uns in den Jahren zuvor, als wir beispielsweise Marcell Jansen oder Marko Marin verkauft haben, beziehungsweise verkaufen mussten, viele böse Dinge anhören müssen. Nach dem Motto: 'Jetzt haltet die jungen Talente doch mal!' Dieses Jahr haben wir uns dazu entschieden, keinen Stammspieler zu verkaufen - auch wenn wir damit vielleicht 20 Millionen Euro hätten akquirieren können. Warum? Weil wir von der Mannschaft überzeugt sind, die in der Rückrunde 26 Punkte geholt hat. Jetzt geht das Geschrei plötzlich von der anderen Seite los: 'Wann kommt denn endlich mal ein Top-Transfer?' Wir haben uns für das Modell mit den vorhandenen Gerüststangen entschieden.

SPOX: Und die Neuzugänge?

Eberl: Mit den Neuen wollten wir im zweiten Schritt die Konkurrenzsituation im Kader weiter verbessern. Mit Oscar Wendt haben wir einen schwedischen Nationalspieler ablösefrei bekommen, für den man vor zwei Jahren vielleicht drei Millionen gezahlt hätte. Er ist damit vielleicht öffentlich nicht in der Kategorie 'Top-Transfer' angesiedelt - für uns aber sehr wichtig.

SPOX: Wie weit ist Wendt?

Eberl: Er ist topfit, aber deswegen muss er ja nicht automatisch gleich spielen. Durch die neue Konkurrenzsituation wollen wir erreichen, dass jeder an sein Top-Niveau kommt. Dafür haben wir diese Spieler geholt - Wendt, Zimmermann, Rupp, Leckie, Otsu, King. Junge Leute, ohne Frage - aber alle Junioren- oder gar A-Nationalspieler ihres Landes. Bei Marco Reus war das ähnlich: Den hatte am Anfang keiner auf der Liste und nach zwei Monaten war er Stammspieler.

SPOX: Klingt nach einem schlüssigen Ansatz.

Eberl: Wir können eben nicht Boateng, Rafinha und Neuer für über 40 Millionen kaufen, sondern nur durch gezielte Transfers die Qualität des Kaders weiter steigern. Für uns ist es zudem eine große Sache, dass wir die jungen Talente wie ter Stegen oder Reus gehalten haben. Fragen Sie mal Thomas Tuchel in Mainz, ob er lieber Schürrle, Holtby und Fuchs behalten hätte, statt neu einzukaufen. Oder Dieter Hecking in Nürnberg, ob er nicht lieber mit Ekici, Gündogan und Schieber weitergearbeitet hätte. Da sagen die wahrscheinlich sofort: na klar!

SPOX: Fühlen Sie zu wenig Wertschätzung dafür, dass Sie ter Stegen, Reus oder Dante in Gladbach halten konnten?

Eberl: Ich kann diese Erklärung, die ich Ihnen gerade gegeben habe, mittlerweile schon fast auswendig. Wenn man alles neutral betrachtet, kann man beide Wege gehen. Man muss dann aber auch den gewählten Weg objektiv bewerten und nicht immer nur auf den anderen Weg verweisen, den man gerade nicht eingeschlagen hat.

SPOX: Auch wenn Sie nicht der Typ dafür sind - haben Sie sich für die Entscheidung, Lucien Favre zu holen, in der Sommerpause ein paar mal selbst auf die Schulter geklopft?

Eberl: Nein. Mich hat's einfach nur gefreut, dass sich unsere Arbeit am Ende gelohnt hat.

SPOX: Was war Favres Erfolgsrezept?

Eberl: Er hat mit unseren jungen Spielern bis zum Erbrechen an Details gearbeitet, die zuvor die große Wirkung hatten, dass wir zu viele Gegentore gefressen haben. Deswegen haben wir uns auch für ihn entschieden: Weil er mit jungen Spielern etwas entwickeln kann. Trotzdem hat so manche Zeitung damals geschrieben, er sei ein reiner Aufbautrainer, den wir für die zweite Liga holen. Gladbach muss doch einen Feuerwehrmann holen, hieß es. Gott sei Dank haben wir keinen solchen Trainer geholt - sonst wären wir vielleicht abgestiegen.

SPOX: Beschreiben Sie Lucien Favre aus Ihrer Sicht von innen.

Eberl: Er ist ein ausgesprochen höflicher und zuvorkommender Mensch. Ein Fußball-Verrückter. Einer, der Fußball lebt. Einer, mit dem man Nächte lang darüber diskutieren kann. Ein akribischer Perfektionist, der in allen Bereichen das Optimum rausholen will. Er ist detailgetreu und achtet auf alles, was den Erfolg der Mannschaft beeinflussen könnte.

Seite 2: Wie Eberl die Angriffe von Effenberg und Vogts wahrgenommen hat...