"Rhetorikkurs? Völliger Quatsch!"

Von Interview: Mark Heinemann/Kevin Bublitz
Andre Schubert wird zur neuen Saison Trainer des FC St. Pauli
© Getty

Zwei Mal in Folge schaffte Andre Schubert mit dem SC Paderborn den Klassenerhalt in Liga 2. Vor einigen Wochen verkündete er allerdings mitten im Abstiegskampf seinen Abschied zum Saisonende. Den 39-Jährigen zieht es zum FC St. Pauli. Im Interview spricht er über seine Zeit in Paderborn, seine Pläne mit den Hamburgern und nerviges Schubladendenken.

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SPOX: Herr Schubert, Ihnen haben in den letzten beiden Wochen viele Leute anerkennend auf die Schulter geklopft. Schmerzt das Gelenk noch?

Andre Schubert: Nein, es ist positiv, wenn die Leute gratulieren. Dafür haben wir die ganze Zeit hart gearbeitet. In erster Linie steht der Klassenerhalt und dafür nehme ich die Glückwünsche gerne entgegen.

SPOX: Es gab aber doch auch welche für Ihren Wechsel zum FC St. Pauli.

Schubert: Ja, aber es war nicht leicht, in der damaligen Situation die Entscheidung zu fällen, Paderborn nach der Saison zu verlassen. Es ging noch um den Klassenerhalt und ich fühle mich in Paderborn auch sehr wohl.

SPOX: In der Phase hat Paderborn lange Zeit nicht gewinnen können. Hatten Sie Sorgen um Ihren Job?

Schubert: Ich hatte keine Angst vor der Arbeitslosigkeit. Ich hätte schon etwas Zufriedenstellendes gefunden. Das hätte auch eine U 23 sein können. Ich stelle an mich nicht den Anspruch, in der Öffentlichkeit stehen zu müssen oder unbedingt eine große Karriere anzustreben. Die Arbeit in Paderborn hat viel Spaß gemacht und natürlich ist es fantastisch, in diesem Bereich arbeiten zu können. Aber davon hängt mein Lebensglück nicht ab und deshalb konnte ich auch so eine Entscheidung treffen.

SPOX: Es wäre also in Ordnung gewesen, wenn Paderborns Präsident Wilfried Finke direkt einen neuen Trainer installiert hätte?

Schubert: Solch eine Situation ist immer schwierig. Auch wenn wir einige Spiele nicht gewinnen konnten, hat die Mannschaft immer totales Engagement gezeigt. Ich finde es toll, dass der Präsident es genauso gesehen und unserer Arbeit vertraut hat.

SPOX: Trotzdem haben Sie angedeutet, dass es schwer wird, die Klasse erneut zu halten.

Schubert: Der Verein hat aktuell nicht die finanziellen Mittel, um sich Topspieler zu holen. Die braucht man aber, wenn man dann mal sicher oben dabei sein will. Selbst junge Talente, die sich in der 2. Liga behaupten können, stehen meist langfristig bei einem Bundesligisten unter Vertrag und kommen nicht nach Paderborn. Und wenn, dann maximal als Ausleihe.

SPOX: Dann muss der Verein halt selbst ausbilden...

Schubert: ...auch dafür müssen die Mittel da sein. Paderborn hat im Jugendbereich talentierte Spieler. Aber die Möglichkeiten sind miserabel. Es gibt in diesem Jahr einen U-15-Nationalspieler. Und was passiert? Borussia Dortmund kommt, muss nicht einen Euro zahlen und der Spieler ist weg. Junge Talente, die später den Sprung zu den Profis schaffen könnten, bleiben erst gar nicht so lange in Paderborn.

SPOX: Wie fällt Ihr Fazit nach fünf Jahren SCP aus?

Schubert: Ich hätte mir manchmal gewünscht, dass die langfristigen Planungen konsequenter verfolgt werden. An einem Drei- oder Vierjahresplan muss man dann auch mal festhalten können. Es ist schwierig, wenn sich halbjährlich die Rahmenbedingungen gravierend ändern. Das gilt für den Jugend- und den Profibereich. Doch vielleicht kann sich Paderborn ja verbessern.

SPOX: Warum?

Schubert: Der SCP steht deutschlandweit in einem positiven Licht. Er ist der einzige Verein aus dem Tabellenkeller der 2. Liga, der nicht den Trainer gewechselt hat. Es wurden keine Spieler suspendiert und es gab keine Fanausschreitungen. In Paderborn ist alles ruhig geblieben und deshalb haben wir den Klassenerhalt geschafft. Es ist jetzt die Aufgabe der Marketingverantwortlichen, daraus etwas zu machen.

SPOX: Wie groß ist Ihre Vorfreude auf die Rahmenbedingungen beim FC St. Pauli?

Schubert: Die ist enorm. Die ersten Kontakte begannen rund eine Woche nach meiner Entscheidung. Es war der erste Verein, der offiziell anfragte. Dann ging es sehr schnell.

SPOX: Sehen Sie Ihren neuen Job als Karrieresprung?

Schubert: Denken Sie nicht schon weiter als ich selber. Es war mein Ziel, im Fußball zu arbeiten und gut davon leben zu können. Das mache ich jetzt seit zehn Jahren. Ich war nie arbeitslos und konnte immer meine Entscheidungen treffen. Ich habe keine drei Häuser und zwei Frauen abzubezahlen. (lacht) Ich habe einen Lebenswandel, der auch zu finanzieren ist, wenn ich kein Profitrainer wäre. Ich schaue daher nicht, ob St. Pauli für mich ein Sprungbrett sein kann. Es ist eine tolle Herausforderung.

SPOX: Das ist Realismus pur.

Schubert: Oft ist es im Leben doch so, dass man Dinge nicht bekommt, die man sich wahnsinnig wünscht. Wenn das Streben danach aber gar nicht so groß ist, passiert es plötzlich und die Dinge fallen einem zu. Ich weiß für mich, dass der Schritt richtig war, weil mich die Entwicklung in Paderborn eingeholt hätte, meine Position immer schwächer geworden wäre und weil mich der Verein St. Pauli direkt begeistert hat.

SPOX: Und wie groß ist die Vorfreude auf die Großstadt Hamburg?

Schubert: Paderborn gilt scheinbar als Synonym für die Provinz. Manchmal habe ich den Eindruck, einige denken, dass man in Paderborn nur Windkraft hat und auf warmes Wasser warten muss. (lacht) Paderborn ist eine absolut tolle Stadt mit einem hohen Lebensniveau. Klar ist auch Hamburg für mich eine der schönsten Städte in Deutschland und der FC St. Pauli ein außergewöhnlicher Verein mit einer ganz besonderen Fan-Szene. Es wird eine tolle Aufgabe.

SPOX: Die Fans sind sicherlich Motivation genug?

Schubert: Sie sind außergewöhnlich. Schon in den ersten Tagen habe ich viele Facebook-Nachrichten und E-Mails bekommen, die alle positiv waren. Das ist nett und sympathisch. Darauf freue ich mich riesig!

SPOX: Wie haben Sie den Klub bislang erlebt?

Schubert: Diesen Klub trainieren zu dürfen, ist etwas Außergewöhnliches. St. Pauli ist Kult. Das wurde zwar schon oft gesagt, aber es ist eben so. Schauen Sie sich das Spiel gegen den FC Bayern an. Woanders werden Spieler nach einem Abstieg über den Platz gejagt. St. Pauli verliert 1:8 und die Fans singen aus voller Überzeugung "You'll never walk alone". Selbst die Medien sind mir gegenüber positiv und meinen, dass es ein guter Schritt für beide Seiten ist.

SPOX: Laut der Paderborner Presse bekommen Sie im medialen Haifischbecken Hamburg Probleme.

Schubert: Ich finde es spannend, wie derzeit die Schublade bedient wird, dass ich Probleme mit den Medien bekommen könnte. Die "Sport-Bild" hat mir jetzt sogar einen Rhetorikkurs angedichtet. Völliger Quatsch!

SPOX: Nervt das?

Schubert: Ich rege mich darüber nicht mehr auf, was auch ein Lernprozess war. Früher hätte mich das unheimlich genervt. Mittlerweile akzeptiere ich es einfach und mache meinen Job so gut ich es kann. Aber es gibt ja auch Gründe für dieses Schubladendenken.

SPOX: Welche sind das?

Schubert: Ich war in meiner Startphase beim SCP sehr misstrauisch und habe das Team abgeschottet. Ich habe einige Zeit gebraucht, um zu begreifen, dass die Medienvertreter auch nur ihren Job machen und uns nichts Böses wollen. Die Medienlandschaft in Hamburg wird sicher eine Herausforderung. Andererseits, ich bin Trainer und nicht der Pressesprecher. (grinst)

SPOX: Jeder will halt einen Jürgen Klopp...

Schubert: ...so ist aber nicht jeder Trainer. Jetzt jedem zu raten: 'Komm, hau mal einen raus!' ist falsch. Das ist auch nicht meine Philosophie. Natürlich kommt die Art von Kloppo richtig gut an, weil er einfach ein guter Typ ist und sich nicht verstellt. Wichtig ist aber letztlich, dass man als Trainer erfolgreich arbeitet. Kloppo schafft es herausragend auf seine Art, andere Trainer machen es anders und sollten ihn nicht kopieren wollen.

SPOX: Fällt der Start in Hamburg leichter, weil der Verein abgestiegen ist?

Schubert: Ich muss sehen, wie die Spieler die letzte negative Zeit in der Bundesliga verarbeiten. Viele aus dem Kader sind aufgestiegen und haben jetzt gegen Ende gemerkt, dass sie an Grenzen gestoßen sind. Wir wollen den Jungs wieder Erfolgserlebnisse und eine Leichtigkeit vermitteln. Es kann aber sein, dass wir einen kleineren Umbruch benötigen.

SPOX: Wovon hängt das ab?

Schubert: Die Verpflichtung von Lasse Sobiech ist ein deutliches Zeichen, dass wir den Kader verjüngen, aber auch die Qualität hochhalten wollen. Ich will einen Kader mit Spielern, die geil darauf sind, wieder oben mitzuspielen. Sie müssen zeigen, dass sie darauf brennen, wieder guten Fußball zu spielen. Wenn sie das machen, geht es weiter. Wenn nicht, muss man sich verändern.

SPOX: Wie groß sind die Fußstapfen von Holger Stanislawski?

Schubert: Stani hat den Verein geprägt. Er wird dort immer eine außergewöhnliche Persönlichkeit bleiben. Es geht für mich aber nicht darum, in seine Fußstapfen zu treten, sondern für den FC St. Pauli als Trainer zu arbeiten und zu leben. Mein Trainerteam und ich möchten einen Fußball spielen lassen, der zum Verein passt. Wir haben gewisse Vorstellungen und werden unseren Weg verfolgen. Es gibt Bereiche, in denen wir Kompromisse eingehen und welche, in denen wir keine machen können.

SPOX: Wer sind die größten Konkurrenten in der kommenden Saison?

Schubert: Mit Eintracht Frankfurt ist eine Mannschaft dabei, die ähnlich wie zuletzt Hertha BSC der Top-Favorit ist. Kommt Gladbach runter, werden auch sie dazu gehören. Greuther Fürth sagt jetzt schon, dass sie den Aufstieg unbedingt schaffen wollen. Cottbus und Duisburg sind ebenfalls mit dabei. Das heißt aber nicht, dass wir die nicht packen können. Wir wollen oben mitspielen. Es wird kein Selbstläufer und wir sind realistisch. Aber es ist alles möglich.

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