Schwarz-Gelb ist wieder eine Marke

Von Jochen Tittmar
So sieht es aus, wenn Borussia Dortmund sein 100-Jahr-Jubiläum im Signal Iduna Park feiert
© Getty

Der BVB steht nach Jahren des Mittelmaßes wieder oben in der Tabelle. Die Arbeit von Jürgen Klopp trägt ihre ersten Früchte. Eine Bilanz.

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Am 19. April 2008 geschah in Berlin etwas Sonderbares. Borussia Dortmund stand im DFB-Pokal-Finale, Norbert Dickel rief kurz vor der Partie die Vornamen der Spieler in Richtung Marathontor und Dortmunds Anhänger grölten wie immer den Nachnamen zurück.

Als jedoch der Vorname von Trainer Thomas Doll fiel, vernahm man aus der schwarzgelben Masse vereinzelt, aber dennoch hörbar, die Antwort: Klopp. Zuvor hatte sich das Gerücht verbreitet, dass die Borussia erste Gespräche mit dem Coach von Mainz 05 aufgenommen habe.

"Vollgasveranstaltungen" im Signal Iduna Park

An sich nicht mehr als eine Randnotiz. Doch hinter dem Ruf nach Klopp steckte für die BVB-Fans mehr. Mit seinem Namen verbanden die Anhänger den Wunsch nach Veränderung.

Fans und Umfeld träumten von einer Mannschaft, die nach nachvollziehbaren und glaubwürdigen Prinzipien geformt wird und die im Ruhrgebiet ungemein wichtigen Faktoren Leidenschaft und Identifikation verkörpert.

Einen guten Monat später unterschrieb Klopp tatsächlich beim BVB und gab bekannt, dass unter ihm eine mit ehrgeizigen Talenten und gestandenen Spielern bestückte Mannschaft, die Kampf, Leidenschaft und somit Identifikationsgrundlage bietet, sogenannte "Vollgasveranstaltungen" in den Signal Iduna Park zurückbringen soll, ohne dabei vom selbst verschuldeten Sparkurs abzukommen.

Kurz: Der neue Coach skizzierte eine Perspektive, die nach Jahren der sportlichen Tristesse beinahe unmöglich umsetzbar erschien. Der BVB vollzog in der Folge einen radikalen Schnitt, was Philosophie, Wirtschaftlichkeit und sportliche Ausrichtung anbelangt.

Subotic und Hummels: Eine hochkarätige Wertanlage

Der erste Schwachpunkt, an dem Klopp nach der Katastrophensaison unter Doll ansetzte, war die Defensive: Mit Kovac und Wörns (Altersschnitt 35 Jahre) stellte Dortmund die schlechteste Abwehr der Liga. Klopp besetzte die Abwehr neu und bot fortan die vollkommen unerfahrenen Subotic und Hummels (Altersschnitt 19 Jahre) auf.

Ein riskanter Schachzug, der sich allerdings längst bezahlt gemacht hat und dem Trainer sportlichen Respekt entgegenbrachte. Das Innenverteidigerpärchen verließ in 21 gemeinsamen Partien noch nie den Platz als Verlierer, kommt aber zusammengenommen noch nicht einmal auf die Erfahrung von 100 Bundesligapartien.

Das Duo hat unter Klopp eine beispiellose Entwicklung genommen, ist taktisch perfekt geschult, agiert abgeklärt und ruhig. Die Folge: Neben einer schwer zu überwindenden Defensive verfügt die Borussia mittlerweile auch über eine hochkarätige Wertanlage.

Neues Spielsystem nach verkorkstem Start

Diese Maßnahme ist nur einer der Gründe, warum Dortmund knapp zwei Jahre nach Klopps Amtsantritt nun auf Platz vier der Tabelle steht. Der BVB spielt mit einem extrem jungen Team erfrischend leidenschaftlichen Fußball und klopft wie schon am Ende der Vorsaison mit Vehemenz an das Tor, das die Borussia nicht nur aufgrund von finanziellen, sondern auch aus Imagegründen dringend aufstoßen muss: die Qualifikation für einen internationalen Wettbewerb.

Dass der BVB dabei seit geraumer Zeit personell "auf dem Zahnfleisch" (Klopp) geht und hochkarätige Leistungsträger ersetzen muss, wertet den aktuellen Leistungsstand umso mehr auf.

Klopps willige Truppe, die ihren Trainer für seine Zugänglichkeit und ständige Gesprächsbereitschaft lobt, zeichnet eine Auffassungsgabe aus, die sie flexibel auf sportliche wie personelle Rückschläge reagieren lässt.

Nach dem wie schon in Klopps Debütspielzeit verkorksten Saisonstart (sechs Punkte aus sieben Spielen) und der zusätzlichen Verletzung von Spielmacher Hajnal reagierte der Coach auf die sportliche Schieflage und verordnete seinem Team ein neues Spielsystem (4-2-3-1 statt 4-4-2 mit Raute).

Sahin und Bender ergänzen sich perfekt

Diese taktische Umstrukturierung war nicht nur aufgrund der Verletzung des Ungarn notwendig geworden. Dem BVB ging die defensive Stabilität und Kompaktheit der Vorsaison ab, in der man die zweitwenigsten Gegentore der Liga kassierte.  Die Einführung der Doppelsechs erwies sich dabei als wirkungsvollster Schachzug.

Der unter Klopp konditionell und läuferisch überragende BVB schaffte es in der Folge, das Mittelfeld deutlich enger und damit weniger anfällig zu machen. Der gesamte Mittelfeldblock verschiebt sich seitdem effektiv und aggressiv gegen den Ball - einer der Garanten, warum die Borussia seither elf Spiele lang nicht mehr verloren hat.

In Sahin und Bender wählte Klopp zwei Spieler für die Doppelsechs aus, die sich in ihrer Spielanlage gegenseitig harmonisch ergänzen. Während der technisch versierte, spielintelligente Sahin im Dortmunder Maschinenraum den verkappten Spielmacher gibt, indem er Angriffe lenkt und einleitet, ist der etwas defensiver postierte Bender fürs Grobe zuständig.

Der 20-Jährige tritt trotz seines Alters extrem abgeklärt auf, antizipiert hervorragend und gewinnt so den Großteil wichtiger Defensivzweikämpfe. Die Durchlässigkeit gegnerische Angriffe hat sich seitdem deutlich verringert. Bender legte zuletzt Kollegen wie Carlos Eduardo oder Zwetschge Misimovic derart souverän an die Kette, dass er zusammen mit Hummels zu jenen Akteuren gehört, die in Sachen Nationalmannschaft mit dem Stempel "Nach der WM" versehen werden.

Gesamte Breite des Spielfelds wird genutzt

Vor den zwei Youngsters baut Klopp in der neuen Ausrichtung auf drei offensiv denkende Akteure, die vornehmlich Valdez, Zidan, Blaszczykowski oder Großkreutz heißen. Sie haben nun ihren Platz in einem System gefunden, das ihre Stärken mehr zur Geltung bringt als beispielsweise als zweite oder hängende Sturmspitze.

Ihre Lauf- und Spielstärke macht sich Klopp zunutze, indem er sie den Gegner schon früh in dessen Hälfte attackieren lässt. Darüber hinaus haben die drei offensiven Mittelfeldspieler nun mehr Platz für eigene Offensivaktionen und sind in der Lage, die gesamte Breite des Spielfelds auszunutzen.

Im 4-4-2 mit Raute konzentrierte sich zuvor viel auf Spielmacher Hajnal, das Angriffspiel war leichter auszurechnen, da weniger variabel.

Im Sturmzentrum hat Klopp nach den gescheiterten Versuchen mit Petric, Frei, Valdez und Zidan in Barrios den geeigneten Stürmertypen gefunden, der defensiv mitarbeitet, in vorderster Front Bälle hält, für die nachrückenden Kollegen ablegt oder selbst torgefährlich verarbeitet.

Erhöhter Zuschauerschnitt unterstreicht positiven Trend

Einziges Aber: Hajnals absehbare und Kehls unsichere Rückkehr ins Team stellt die aktuell so erfolgreiche Taktik auf die Probe. Dortmund wird es sich nicht leisten können, einen fitten, kreativen Ideengeber wie Hajnal auf der Bank schmoren zu lassen. Andererseits besteht mit dem Rückkehrer erneut die Gefahr, die gefundene Harmonie im Mittelfeld aus dem Gleichgewicht zu bringen.

Dennoch: Den seit Klopps Anstellung kaum für möglich gehaltenen, sportlichen Qualitätssprung hat mittlerweile selbst der letzte Kritiker registriert.

Nach Jahren der chronischen Unzufriedenheit bilden Umfeld und Verein wieder eine harmonische Einheit. Positiver Nebeneffekt: Unter Klopp hat sich der Zuschauerschnitt in Deutschlands größtem Stadion von 72.500 auf 76.800 erhöht.

Zorc wirkt deutlich gelassener

Das freut das Dreigestirn Klopp, Zorc und Watzke, das sich scheinbar gesucht und gefunden hat und mittlerweile ideal ergänzt. Da Klopp mit seiner medientauglichen, kumpelhaften Art enorm viel Aufmerksamkeit auf sich zieht, halten sich seine zwei Mitstreiter angenehm zurück.

Besonders Zorc wirkt deutlich gelassener und weniger verbissen, kann den Fokus mehr auf seine Arbeit lenken und agiert auf dem Transfermarkt deutlich erfolgreicher als zuvor.

Dies sind alles Gründe, warum die Südtribüne seit geraumer Zeit wieder den Klassiker "Der BVB ist wieder da" auspackt. Nimmt man Borussia Dortmund unter Jürgen Klopp zum Maßstab, muss man festhalten: Ganz unrecht haben die Fans nicht.

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