Ex-U17-Nationalspieler Jan Engels im Interview: "Er hat doch super operiert, es war halt leider das falsche Bein"

Von Louis Loeser
Engels lief unter anderem für die TuS Koblenz auf.
© imago images

Als 17-Jähriger spielte Jan Engels in der Jugend des Karlsruher SC und hatte zuvor Angebote von Borussia Dortmund und Bayer Leverkusen ausgeschlagen. Doch als der damalige deutsche Junioren-Nationalspieler im Frühjahr 2015 der U17-Weltmeisterschaft entgegenfiebert, stellte ein folgenschwerer Kunstfehler seine Welt auf den Kopf.

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Dieses Interview erschien zuerst am 24. August 2021 und gehört zu den beliebtesten Texten des Jahres.

Im Interview mit SPOX und Goal spricht Engels über seine Leidensgeschichte und erklärt, wie ihm am College in den USA der Neuanfang gelang. Zudem verrät er, wie er nach sechs Jahren das Vertrauen in seinen Körper zurückgewinnen konnte und wieso es ihm heute weiterhin schwerfällt, Bundesliga-Spiele anzusehen.

Herr Engels, wie sehen Ihre ersten Erinnerungen aus, wenn Sie an den Mittag des 28. April 2015 zurückdenken?

Jan Engels: Ich bin nach meiner OP im Aufwachraum mit Tränen in den Augen wieder zu mir gekommen, hatte unfassbar starke Schmerzen und das Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmen kann. Dann wurde ich in mein Zimmer gebracht, wo meine Mutter auf mich wartete. Sie arbeitet als Kinderkrankenschwester und hat daher medizinisches Know-how. Sie beruhigte mich und sagte, es sei ganz normal, dass ich mich nach dem Eingriff so fühle. Die Schmerzen wurden jedoch immer schlimmer und nach etwa 15 Minuten bat ich meine Mutter, mal nach meinem operierten Fuß zu schauen.

Und dann?

Engels: Sie hob die Decke hoch und ich konnte zunächst gar nicht glauben, was ich sah: Mein linkes Bein war verbunden, Schrauben und Platten steckten in meinem linken Fuß. In diesem Moment habe ich alles an mir vorbeifliegen sehen.

Sie hatten sich eigentlich am rechten Fuß verletzt.

Engels: Genau. Ich hatte mir im rechten Fuß das Syndesmoseband gerissen.

Wie bitteschön kann es passieren, dass jemand am falschen Fuß operiert wird?

Engels: Das habe ich mich natürlich auch gefragt und noch unter Schock stehend das Gespräch mit dem Arzt gesucht. Er hat versucht, sich zu erklären und meinte zunächst, im anderen Bein wäre eine Fehlstellung gewesen. Ärzte dürfen solche Fehler wohl nicht zugeben. Er kam dann an mein Bett, hat mit mir gesprochen und dabei geweint. Irgendwann habe ich ihm gesagt: "Sie haben doch super operiert, es war halt leider das falsche Bein." In dem Moment konnte ich nicht mal weinen, ich war einfach hilflos und habe ihn nur gebeten, die Schrauben aus meinem zuvor gesunden Fuß zu holen. Noch am selben Tag hatte ich meine zweite OP unter Narkose, obwohl man das normalerweise nicht macht.

Engels: "Gefühl der Hilflosigkeit werde ich nie vergessen"

Vor dem zweiten Eingriff hatten Sie also kaum Zeit, um über die Situation nachzudenken.

Engels: Das war wahrscheinlich auch gut so. Ab diesem Moment war ich ein völlig anderer Mensch, da ist irgendetwas mit mir passiert. Es wurde damals auch darüber nachgedacht, mich in der BG Klinik Bochum operieren zu lassen, aber ich bestand darauf, im gleichen Krankenhaus zu bleiben. Ich wollte es einfach hinter mir haben. Nach der zweiten Vollnarkose habe ich erstmal mindestens einen halben Tag geschlafen. Ich erinnere mich noch, wie ich danach das erste Mal im Rollstuhl saß und die Krankenschwestern nach mir schauten, als ich auf die Toilette gehen wollte. Dieses Gefühl der Hilflosigkeit werde ich nie vergessen.

Operierte Sie beim zweiten Mal derselbe Arzt?

Engels: Ja, ich habe dafür meine Zustimmung gegeben und auch für mich entschieden, nicht gegen den Arzt vorzugehen und auf eine Anzeige zu verzichten. Wir sind alle nur Menschen und machen Fehler. Ich war damals jung, würde heute aber genauso vorgehen. Im gesamten Prozess wurden mehrere Fehler gemacht, es war nicht nur die Schuld des operierenden Arztes. Bereits auf der Station wurde versäumt, den Knöchel zu markieren und danach wurden mehrere kleinere Fehler gemacht.

Sie spielten damals in der U17 des Karlsruher SC und waren U17-Nationalspieler. Wurden Sie unter Druck gesetzt, gegen den Arzt vorzugehen?

Engels: Von außen haben alle Druck auf mich ausgeübt. Glücklicherweise hat mich meine Familie in all meinen Entscheidungen unterstützt. Danach habe ich noch versucht, dass möglichst wenige und schon gar keine Journalisten etwas von dem Vorfall mitbekommen. Ich habe mich zurückgezogen und weiterhin insgeheim darauf gehofft, bei der anstehenden U17-Weltmeisterschaft dabei sein zu können - obwohl ich eigentlich schon wusste, dass mein Traum bereits geplatzt war.

Wie war es überhaupt zu der Verletzung gekommen?

Engels: Wir hatten ein Heimspiel gegen den VfB Stuttgart, mit dem wir damals um die Deutsche Meisterschaft gekämpft haben. Da habe ich mich in einer Zweikampfsituation bei einem Ausfallschritt unglücklich verletzt.

Haben Sie gleich gemerkt, dass es etwas Ernstes ist?

Engels: Ja und nein. Da ich zu dieser Zeit so gut drauf war und die Deutsche Meisterschaft vor Augen hatte, habe ich noch bis kurz vor Schluss weitergespielt. Gleichzeitig habe ich schon gespürt, dass ich mich wohl ernsthafter verletzt habe. Zunächst wollte das keiner glauben, auch nach dem Spiel sah eigentlich alles gut aus, aber am nächsten Tag fing der Fuß plötzlich an zu schmerzen. Beim MRT kam dann eben heraus, dass ich mir das Syndesmoseband gerissen hatte.

Was sofort klar, dass eine OP notwendig sein würde?

Engels: Das haben mir die Ärzte ganz klar vermittelt. Ich wollte das nicht alleine in Karlsruhe durchstehen, weshalb ich die Anfrage gestellt habe, mich in meiner Heimat operieren zu lassen. Ich bekam dann grünes Licht und wurde noch in derselben Woche operiert. Es ging total schnell, weil alle wussten, dass ich Junioren-Nationalspieler war und die Weltmeisterschaft anstand. Mir war natürlich bewusst, dass ich die anstehenden Spiele in der EM-Qualifikation verpassen würde, aber ich habe zu diesem Zeitpunkt komplett daran geglaubt, es noch zur WM zu schaffen.

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