Die heimlichen Architekten der Arena

Von David Kreisl
Die Vorstände des "Rollwagerl 93 e.V." Uli Hofmann (r.) und Andreas Ruhl in der Allianz Arena
© spox

Die Vereine im deutschen Profifußball werden jedes Wochenende von unzähligen Fanclubs unterstützt, alleine der FC Bayern München zählt 3219 organisierte Gruppen. Der "Rollwagerl 93 e.V." sticht aus dieser Masse nicht nur heraus, weil er der erste Rolli-Fanclub des Rekordmeisters ist, sondern auch weil für ihn die Allianz Arena umgebaut wurde. Und welcher Fanclub kann das schon von sich behaupten?

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Es ist viel los an diesem Abend in München-Fröttmaning. Das Spiel der Bayern gegen BATE Borisov ist noch keine Viertelstunde abgepfiffen und schon strömen tausende dick eingepackte Fans laut diskutierend, grölend und fachsimpelnd aus der Allianz Arena hinaus in die rot erleuchtete und verschneite Dezembernacht.

Von dem ganzen Trubel bekommt man hinter der großen Eisentür neben Aufgang A, Block 105 nichts mit. Draußen leuchtet blass ein weißes Schild über dem unscheinbaren Eingang: "Rollwagerl SHOP". Im Inneren sieht es eher nach einem Vereinsheim aus, die Wände des kleinen Raumes sind fast lückenlos von Postern, Urkunden und Wimpeln bedeckt, ganz hinten steht ein weihnachtlich geschmückter Biertisch. An dem sitzt Uli Hofmann, seit sieben Jahren Vorsitzender des "Rollwagerl 93 e.V.", dem ersten Rolli-Fanclub des FC Bayern München und Anlaufstelle für alle fußballbegeisterten Rollstuhlfahrer.

"Das wird mir bis an mein Lebensende stinken"

Sieben Freunde hatten den Verein vor fast 20 Jahren aus der Wiege gehoben, das Projekt "wurde getragen von Idealismus und super Ideen. Doch als es ernst wurde und es zum Beispiel um das Verteilen von Rolli-Tickets ging, ist man brutal an seine Grenzen gestoßen", erzählt der jetzige Vorstand, damals selbst Leidtragender dieser Situation.

Im Olympiastadion wurden die Rolli-Tickets noch am Eingang verteilt, bis alle weg waren. "Es war die Saison 93/94, 34. Spieltag, Bayern gegen Schalke, das letzte Spiel von Franz Beckenbauer als Trainer", erinnert sich Hofmann noch ganz genau. "Und ich war der erste, der keine Karte mehr bekommen hat. Das wird mir bis an mein Lebensende stinken", schimpft er. Es war der Moment, in dem Hofmann beschloss, dem Verein beizutreten. "Ich dachte mir, dass es da vieles gibt, das man besser machen kann."

Kartenverkauf für den FCB

Und seitdem Uli Hofmann Vorstand ist, ist viel passiert. Die kleine Fangruppierung ist zu einem Klub mit fast 600 Mitgliedern gewachsen, wurde als gemeinnützig anerkannt und ist in die städtische Förderung gekommen. Geld kriegt der Fanclub aber nicht nur von der Stadt. "Audi ist auch ein offizieller Sponsor von uns", sagt Hofmann grinsend und zeigt auf die Urkundensammlung an der Wand.

Auch ein Teil der Einnahmen aus Kartenverkäufen der Rolliplätze geht an den Fanclub, schließlich verkauft der "Rollwagerl 93 e.V." offiziell die Hälfte aller Rollstuhlfahrer-Karten für den FCB. "Am Anfang waren die Rollikarten umsonst", erzählt Hofmann. "Das wollten wir aber nicht. Weil wenn etwas gar nix kostet, ist es für die Leute auch nix wert. Und dann lassen sie jedes Wochenende die Karten verfallen." Also setzten sich die Rollstuhlfahrer selbst dafür ein, auch zahlen zu müssen. Man einigte sich am Ende auf fünf Euro, Begleitperson inbegriffen.

Mit dem generierten Geld kümmern sich die Verantwortlichen des Fanklubs vor allem um Auswärtsfahrten. "Der Herr Rummenigge hat persönlich dafür gesorgt", erklärt Uli Hofmann stolz, "dass wir für drei Auswärtsfahrten das komplette Rolli-Kontingent bekommen."

Mithilfe beim Stadionbau

Das Außergewöhnlichste in der Geschichte der Rollwagerl ist aber das Mitwirken beim Bau der Allianz Arena. Der größte Erfolg des Fanclubs, wie es Uli Hofmann ausdrückt.

"Wir haben uns da schon aufgedrängelt", gibt der Vorsitzende zu. Seit 1993 machten die Rollis Erfahrungen im Olympiastadion, die alles andere als gut waren. "Man hatte zwar einen tollen Kontakt zu den Spielern - die haben einem auch immer mal wieder ein Trikot geschenkt - aber sonst war vieles schlecht." Trainerbänke, Fotografen und Werbetonnen standen den Rollstuhlfahrern im Weg. Als dann noch zusätzliche Werbebanden aufgestellt wurden, "hat man den Ball nur noch gesehen, wenn er in der Luft war", erzählt er.

Deshalb schrillten bei ihm auch die Alarmglocken, als im Sommer 2001 Fröttmaning als Standort der neuen Arena bekanntgegeben wurde. "Ich hab' zu unserem zweiten Vorstand gesagt: Entweder wir kommen an den Tisch mit den Entscheidungsträgern, oder es geht in die Binsen." Also blieben die Rollis hartnäckig an der Sache dran, suchten immer wieder den Kontakt zu den Oberen und wurden tatsächlich zu Planungsgesprächen eingeladen. Hofmann war erleichtert, erwartet hätte er das damals nicht.

"Ein Riesentriumph für uns"

Der Fanclub war fortan in den Bau der Arena involviert. "Als der Unterrang fertig war, hatten wir einen Termin auf der Baustelle", erinnert sich Uli Hofmann zurück. "Sie hatten bei unseren Plätzen nicht bedacht, dass wir mehr Sicht und Platz brauchen. Und dass wir auf eine Wand aus Rücken schauen, wenn alle aufspringen wenn ein Tor fällt oder es spannend wird." Er schlug deshalb eine Zwei-Stufen-Lösung vor, die den Rollstuhlfahrern eine erhöhte Position und immer freien Blick aufs Spielfeld bietet.

Auch hier blieb man hartnäckig und schließlich bekamen die Rollis ihre erhöhten Sitzplätze, die Dankbarkeit darüber hört man in Uli Hofmanns Schilderungen heute noch. "Das war natürlich ein Riesentriumph für uns."

Kein Wunder also, dass die Rollwagerl die Allianz Arena als das behindertenfreundlichste Stadion der Liga ansehen. "Die Sicht auf das Feld ist überall genial", erzählt Hofmann über die 239 Rolli-Plätze. Von der U-Bahn oder dem Parkhaus aus gelangt man mit dem Aufzug auf die Esplanade, von dort kann man barrierefrei direkt an seinen Sitzplatz fahren. Das "einzige Problem": Die Sicht auf die Video-Leinwand ist durch den überhängenden Mittelrang eingeschränkt.

Auszeichnung der FIFA

Die Bemühungen des Fanclubs wurden bei der Weltmeisterschaft 2006 sogar von der FIFA gewürdigt. Uli Hofmann gibt sich im Bezug auf die Urkunde des Verbands aber bescheiden: "Ja mei, da steht halt drauf, dass wir bei der WM dafür gesorgt haben, dass alles für die Rollis passt. Aber die Unterschriften vom Blatter und vom Beckenbauer sind drauf. Und das kann ja nicht schaden", grinst er und schielt zur Wand.

Die komfortable Situation in der Allianz Arena lernen die Rollwagerl-Mitglieder immer wieder auf Auswärtsfahrten zu schätzen. "Das einzige andere Stadion in Deutschland mit dieser Zwei-Stufen-Lösung ist in Berlin, aber nur für die Heimfans", erklärt Hofmann.

"Hoffenheim ist eine absolute Katastrophe. Die haben so ein modernes und neues Stadion, aber es nicht hingebracht, das zu managen." Auch im Signal-Iduna-Park gäbe es Verbesserungspotential. "Das sind so trübe Tassen da oben. Die haben über 81.000 Zuschauer und gerade mal 72 Rollstuhlfahrerplätze. Das ist ein Armutszeugnis", lautet sein Fazit zum Stadion des amtierenden Meisters.

"Das war die Hölle auf Erden"

Mit ernster Miene berichtet er, dass es auf den Auswärtsfahrten auch abseits der Sitzplatzsituation immer wieder negative Erlebnisse gibt. Zum Beispiel am letzten Spieltag der vergangenen Saison, als nach dem 1:4 der Kölner gegen die Bayern plötzlich eine riesige schwarze Rauchwolke aus dem Block der FC-Fans aufstieg. "Das war heftig", schildert Hofmann die dramatischen Szenen aus der Sicht der Rollis. "Wir hatten unglaublich viel Glück, dass der Wind günstig für uns stand. Das war die Hölle auf Erden."

Beim VfB Stuttgart war die Mercedes-Benz-Arena gerade in der Umbauphase, die Mitglieder der Rollwagerl wurden einfach unter die Kurve der Stuttgart-Ultras gesetzt. "Da wurden wir dermaßen schwach angeredet, das kann man gar nicht wiedergeben", berichtet Hofmann kopfschüttelnd. Nach dem Spiel wurde auch noch ihr Bus zerkratzt.

Keine Angst vor "Grenzbereich"

Trotz solcher Erlebnisse haben laut Uli Hofmann die meisten Rollstuhlfahrer keine Bedenken, ins Stadion zu fahren: "Klar, es ist ein Grenzbereich, den man betritt. Aber wir sind uns bewusst, dass was passieren kann und wir das Risiko tragen." Außerdem überwiegen die schönen Momente auf Tour mit dem Fanclub: "Es ist mittlerweile sogar eine Art Lifestyle, den ich auf gar keinen Fall missen möchte."

Innerhalb der Rolli-Szene pflegen die Bayern viele gute Kontakte und zusammen mit den VfB-Rollis wird der "Rollwagerl 93 e.V." nächstes Jahr sein 20-jähriges Jubiläum feiern. Der vorläufige Höhepunkt einer außergewöhnlichen Geschichte, wahrscheinlich verknüpft mit einem weiteren Jubiläum. "Ich kann ziemlich sicher sagen, dass wir nächstes Jahr die 600-Mitglieder-Marke knacken."

Uli Hofmann hat viel zu erzählen über "seinen" Verein. Es ist mittlerweile spät geworden, die Arena ist menschenleer und es hat aufgehört zu schneien. Im Schein des rot leuchtenden Kolosses macht er sich als einer der Letzten auf dem Weg nach Hause. Schließlich ist es ja auch ein bisschen seine Arena.

Der Spielplan des FC Bayern