Wer ist hier das schlechte Vorbild?

Nico Rosberg wurde beim Ungarn-GP Zweiter hinter Mercedes-Kollege Lewis Hamilton
© getty

Formel-1-Weltmeister Lewis Hamilton hat seinem Mercedes-Teamkollegen Nico Rosberg nach dem Großen Preis von Ungarn öffentlich vorgeworfen, kein gutes Vorbild zu sein. Der Deutsche verteidigte sich und bekam unerwartete Unterstützung. Mercedes steht weiter unter Spannung - das Sternenschiff hat Schlagseite.

Anzeige
Cookie-Einstellungen

Eigentlich hatten alle Beteiligten mindestens einen Grund zur Freude nach Mercedes' Doppelsieg in Budapest. Hamilton hatte Michael Schumacher auf seinem geliebten Hungaroring den Titel des Rekordsiegers abgenommen. Rosberg war auf seiner Problemstrecke dem Teamkollegen 70 Runden lang gefolgt.

Doch schon Minuten nach der Siegerehrung knisterte es wieder zwischen den Silberpfeil-Piloten. Hamilton hatte eine wichtige Botschaft an seinen Teamkollegen. Die wollte er allerdings nicht intern verkünden. Er wählte die offizielle FIA-Pressekonferenz dafür. Eine Bühne, die sonst hauptsächlich zum Abfeuern der PR-Aussagen dient.

"Der Fakt, dass er nicht bestraft wurde, bedeutet, dass wir vorsichtig sein müssen. Die Botschaft, die wir an die Fahrer hier aber auch in den unteren Kategorien aussenden: 'Es ist jetzt möglich, nur eine Zehntelsekunde in einem Bereich mit doppelt-geschwenkten Gelben Flaggen zu verlieren', was das Szenario mit der größtmöglichen Gefahr ist."

Die Aussage zur Entscheidung der Stewards nach dem Qualifying, so allgemein sie Hamilton auch verpackte, traf Rosberg. Hamilton hatte mit dem Brett maximal ausgeholt und es seinem Teamkollegen vor den Kopf gehauen.

Rosberg verteidigt sich

Rosberg ein schlechtes Vorbild? Dieser Vorwurf ausgerechnet von Hamilton? Das wollte der Deutsche nicht auf sich sitzen lassen.

"Was man bei Doppelt-Gelb tun muss, ist die Geschwindigkeit signifikant zu reduzieren", verteidigte er sich: "Ich bin 20 km/h langsamer in die Kurve gefahren. 20 km/h sind in der Formel 1 eine Welt. Das ist angemessen langsam. Alles war sicher."

Die Untersuchung durch die Rennleitung am späten Samstagnachmittag? "Es war ein ziemlich eindeutiger Fall für die Stewards. Deshalb habe ich keine Strafe bekommen", so Rosberg. Er habe den Fuß 30 Meter früher vom Gas genommen als zuvor.

Ein Vergleich mit den vorherigen Runden sei ohnehin "irrelevant". Er verbiete sich, weil die Strecke nach den heftigen Regenfällen abtrocknete und so immer schnellere Zeiten möglich waren.

Mercedes-Schlachtschiff mit Schlagseite

Und trotzdem: Auf den ersten Blick scheint sich die Situation bei Mercedes nach den Kollisionen in Barcelona, Kanada und Österreich mit den Rennen in Silverstone und Budapest entspannt zu haben. Doch stimmt der Eindruck?

Das Mercedes-Schlachtschiff hat Schlagseite. Mit 43 Punkten Vorsprung ging Rosberg in den Europaauftakt bei Barcelona. Doch seit dem teaminternen Crash beim Start zum Großen Preis von Spanien hat sich alles verändert. 49 Punkte mehr holte Hamilton in den letzten sechs Rennen, fünf davon gewann der Weltmeister. Nur in Baku, als Hamilton im Qualifying in die Mauer knallte und im Rennen mit der Technik kämpfte, konnte Rosberg ihn hinter sich lassen.

Rosberg fehlt der Wind in den Segeln

Hamilton hat den Wind in seinen Segeln, Rosberg bekommt im Windschatten kaum Vortrieb. Nur weiß jeder Segler: Irgendwann dreht der Wind. Hamilton erwarten Strafversetzungen wegen Motorenwechseln.

Bis dahin will Rosberg nicht warten. "Der Heim-Grand-Prix ist ein Highlight. Und es ist noch immer eng zwischen uns", versuchte sich der bisherige WM-Führende nach der neuerlichen Niederlage auf dem Hungaroring in Optimismus. Ist er angebracht?

Die Livestream-Revolution: Alle Infos zu Performs Multisport-Streamingdienst DAZN

Die eigene Vertragsverlängerung, der Unfall von Hamilton am Freitag samt der verpassten Longruns, die Bestzeiten im 2. und 3. Freien Training, die glückliche Pole Position, nachdem er Hamilton in jedem Quali-Segment hinter sich gelassen hatte - Rosberg hatte ein fabelhaftes Wochenende erwischt.

Bis das Rennen losging. "Schon am Start habe ich es verloren", gab Rosberg zu, der genauso gut losgekommen war wie sein Teamkollege, in Turn 1 zwischen Hamilton auf der Innen- und Red Bulls Daniel Ricciardo auf der Außenbahn aber eingeklemmt wurde: "Das war's dann. Es ist jetzt so, ich muss es akzeptieren."

Hamilton: Drei Siege fehlen zu Prost

Drei Siege noch, dann hat der Brite 51 Grands Prix gewonnen und zu Alain Prost aufgeschlossen. Zweiter in der ewigen Bestenliste wäre er dann hinter Rekordweltmeister Michael Schumacher. "Das ist toll, ich habe ihn ja schon als Kind bewundert", hatte Hamilton bereits geäußert, als er auf die Ablösung des Ungarn-Rekordsiegers angesprochen worden war.

Auf dem Weg dahin verdeutlichte er einmal mehr, dass er mit 31 Jahren bei weitem nicht mehr der Hitzkopf ist, der seinen ersten Weltmeister-Titel im Kiesbett wegschmiss. Hamilton kontrollierte das Rennen um den Großen Preis von Ungarn.

Der dreimalige Weltmeister hielt sich selbst so sehr im Zaum, dass schon die ersten Verschwörungstheoretiker hellhörig wurden. Bremste Hamilton absichtlich, damit Ricciardo mit einem Undercut beim zweiten Stopp an Rosberg vorbeikommt? Mercedes wies den Führenden an sein Tempo zu erhöhen. Sonst dürfte der Deutsche zuerst zum Reifenwechsel fahren.

Hamilton war alles andere als begeistert und teilte das seinem Team deutlich über Funk mit. "Er hatte alles unter Kontrolle. Er wusste, dass Nico hinter ihm war. Er hat aber nicht realisiert, dass der Zug dahinter sich schnell nähert", verteidigte Motorsportdirektor Toto Wolff die langsame Fahrt.

Hamilton stimmte ein: "Ich habe den Motor hoch- und runtergedreht, es gemanagt, wie es nötig war." Er hatte Angst um seine Reifen, ihm fehlte schließlich die Longrunerfahrung am Freitag. Nach der Mitteilung des Teams habe er direkt mehr Gas gegeben. Rosberg freute sich sogar über das niedrige Tempo, weil er so den Eindruck gewann, Druck auf seinen Teamkollegen auszuüben.

Gutierrez kanzelt Hamilton ab: Respektlos

Ob Hamilton das ebenso empfand? Nur in einem Moment schien er wirklich um seinen Sieg zu bangen: Als der zu überrundende Esteban Gutierrez ihn mehrere Kurven aufhielt und erst auf der Zielgeraden Platz machte, schien der Weltmeister dem Mexikaner bei der Vorbeifahrt den Mittelfinger zu zeigen.

Gutierrez mischte sich danach unbeabsichtigt in die Vorbild-Debatte der Mercedes-Piloten ein. "Nur weil du Weltmeister bist, hast du nicht das Recht, respektlos mit deinen Gegnern umzugehen, mein Freund Lewis Hamilton", teilte er ihm über Twitter mit.

"Ich hab nur gewunken", bekundete Hamilton schelmisch und kritisierte sämtliche Konkurrenten, sie hätten nicht ordentlich Platz gemacht. Dabei vergaß er zu erwähnen, dass das auf dem kurvig-kurzen Hungaroring gar nicht mal so leicht ist. Vielleicht ist einfach keiner ohne Fehler.

Formel 1: Kalender und WM-Stand 2016 im Überblick

Artikel und Videos zum Thema