Toto Wolff: Der Anti-Haug

Von Christoph Köckeis
Toto Wolff (l.) und Niki Lauda wollen Mercedes in eine erfolgreiche Zukunft führen
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Über Williams zur exzellenten Reputation

Im November 2009 erwarb er schließlich Minderheitsanteile an Williams. Ein Engagement, in welches der gebürtige Wiener laut eigenen Angaben hineinstolperte. Im Business-Modell Formel 1 vermisste er nämlich das Visionäre. "Zwar scheint und glitzert es, aber es wird vom Promoter zum Glitzern gebracht. Nicht, weil die handelnden Personen Top of the Edge sind. In Österreich gibt es 1.000 Firmen, die größer, professioneller organisiert sind und höhere Gewinne erwirtschaften."

Zuvor schlug Wolff deshalb eine HWA-Übernahme Toro Rossos aus. Das Umfeld sei "komplett sinnlos". Man hätte die Großen schlicht und ergreifend nicht gefährden können.

Wolff ist eben Realist, kein Fantast. Vom Schein ließ er sich nie trügen. Meetings mit Bernie Ecclestone und Co. gehören für ihn zur Tagesordnung. Der 41-Jährige genießt eine exzellente Reputation. Frank Williams höchstpersönlich züchtete ihn als legitimen Erben heran, wollte sein Lebenswerk in Wolffs Hände legen.

Bis er den unwiderstehlichen Lockruf aus Stuttgart erhörte. Gleichwohl schlotterten dem sonst abgebrühten Geschäftsmann mächtig die Knie. "Ich muss gestehen, mein Sportlerherz schlug weit stärker als mein Investorenherz. Mit einer Weltmarke zu arbeiten, ist allemal interessant."

Wolff mit "skin in the game"

Bisweilen sein eigener Herr, trägt er plötzlich die Entscheidungshoheit bei einem Branchenprimus. Für ihn keine Bürde. Mit 15 Jahren verlor Wolff seinen Vater, wuchs gewissermaßen in die Rolle des Bruders, Papas und Ehemanns. Früh reifte jene Persönlichkeit, die bei Mercedes neue, "vor Erfolg triefende Strukturen" konstituieren möchte.

Motorsport-Legende Hans-Joachim Stuck hegt keinerlei Bedenken an dieser Mission. "Mir fällt niemand ein, der das Geschäft von der Pike derart hervorragend gelernt hat", attestierte er bei SPOX. Überdies sei mit Lauda ein begnadeter Networker in den Aufsichtsrat berufen worden. Er kennt die Tücken des Geschäfts, hat den Blick auf das große Ganze.

40 Prozent der Anteile liegen jetzt in rot-weiß-roter Hand, drei Viertel davon beim neuen Motorsportchef. Gezielt suchte der Daimler-Vorstand nach einer Person mit "skin in the game". Und wurde in Wolff fündig. Wie viel man sich dies kosten ließ, ist nicht bekannt.

Wolff verriet in der "FAZ" nur: "Sie wollten jemanden, der unternehmerisches Risiko eingeht, der mitleidet, wenn es nicht funktioniert. Natürlich würde ich im Erfolgsfall profitieren." Bis Erwähnter eintritt, wartet noch eine Mammutaufgabe. Dafür griff er sogar auf den unermesslichen Erfahrungsschatz des Vorgängers zurück.

Bewegen zwischen den Ebenen

"Wenn man wie Norbert das System Motorsport in exponierter Position 22 Jahre lang überlebte, hat man begriffen, wie es läuft. Ein Großkonzern funktioniert auf verschiedenen Ebenen. Er hat mir erklärt, wie man sich zwischen den Ebenen bewegt."

Im Gegensatz zu Haug bezog Wolff sein Büro in Brackley. Nach eindringlichen Bestandsaufnahmen wurde das alte Modell und das Entwicklungstempo als Schwachstellen identifiziert. Er möchte demnach in England omnipräsent sein. Bewusst wird die Nähe zu den Mitarbeitern gesucht. Ihnen soll die Daimler-Philosophie eingeimpft, ein neues Wir-Gefühl geschaffen werden. Jenes wurde zuletzt oftmals torpediert.

Erst predigte BAR eine ruhmreiche Zukunft, gefolgt von Honda. Nach dem abrupten Rückzug der Japaner rettete Brawn die Fabrik. Seit 2010 tragen die rund 500 Angestellten Uniformen mit dem Stern. Die immer wiederkehrenden Existenzängste schürten Intrigen. Haug scheiterte beim Versuch, Transparenz zu schaffen.

Wolff zog die persönlichen Lehren. Einzelne Personen zu diskreditieren, davon hat er Abstand genommen. "Die Leute müssen begreifen, dass sie das Schaufenster eines 100-Milliarden-Konzerns sind. Es ist eine ehrenvolle Aufgabe."

Aufgepasst, sensible Engländer

Täglich lebt er dieses Privileg vor, versucht sich zu "kalibrieren und verifizieren", das Profil stets zu schärfen. Beispielhaft die Causa Brawn. Eigentlich schien dessen Abgang beschlossene Sache, nachdem Paddy Lowe von McLaren abgeworben wurde. Ob hoffnungsvoller Ergebnisse nahm man sich zurück. Die fragile Statik solle gestärkt werden. Ein Abgang des Principals mit Saisonende würde die Glaubwürdigkeit erschüttern.

Wolff, der noch Williams-Aktien hält, um mögliche Interessenkonflikte zu vermeiden aber einen integren Käufer sucht, muss behutsam operieren. Zu sensibel die Racing-DNA der Engländer. Zu schnell fühlt man sich im Mutterland des Motorsports im eigenen Stolz gekränkt. Die Verantwortlichen wären gut beraten, keine Drohkulisse entstehen zu lassen.

Dennoch, proklamierte Wurz, gilt es negative Strömungen hinter den Kulissen sofort im Keim zu ersticken: "Sie müssen die Kontrolle bewahren, nur so kommt viel Effizienz am Boliden an. Die Herausforderung ist, Mercedes zu strukturieren. Nicht restrukturieren."

Wolff weiß das. Ebenso ist ihm bewusst, dass er keinen Raum hat, zu versagen. Trotz ambitionierter Ziele mimt er den besonnenen Mahner, verfällt nicht den "Terminator-Methoden". Malaysia ließ allerdings ein neues, belebendes Element erkennen: die loyale Streitkultur.

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