Zittern bis zur letzten Runde

Von Alexander Maack
Sebastian Vettel und Fernando Alonso sind die letzten Piloten mit Chance auf den WM-Titel
© Getty

Ein episches Saisonfinale steht bevor. SPOX schickt Fernando Alonso und Sebastian Vettel vor der ultimativen Entscheidung beim Brasilien-GP in Interlagos gegeneinander in den Boxring. Die Erkenntnis: Der WM-Kampf steht noch immer auf der Kippe.

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Runde 1, Ausgangslage: Vettel geht mit 13 Punkten Vorsprung ins Rennen. Das heißt, ihm reicht ein vierter Platz, wenn Alonso das Rennen gewinnt. Selbst wenn Vettel ausfallen sollte, müsste Alonso mindestens Dritter werden, um ihm die Weltmeisterschaft noch abzunehmen. Rein sportlich betrachtet, muss Vettel den Titel also nur noch locker nach Hause fahren.

Wertung: Klarer Punktsieg für Vettel - 2:0

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Runde 2, Fahrer: Während Vettel schon bei seinem Formel-1-Debüt 2007 in Indianapolis als riesiges Talent galt, musste Alonso nach seinem vierten Platz in der Formel-3000-Saison 2000 den harten Einstieg bei Minardi und ein Jahr als Testfahrer bei Renault durchmachen, um in der Königsklasse Fuß zu fassen. Als er in der Folgesaison zum Einsatzfahrer aufstieg, fuhr er Jarno Trulli in Grund und Boden.

Die Statistiken der Beiden sind sich mittlerweile ziemlich ähnlich. Beide sind bereits Doppelweltmeister. Alonso hat vier Rennsiege und schnellste Rennrunden mehr, dafür stand Vettel vierzehn Mal öfter auf der Pole Position. Das fahrerische Können beider Piloten ist immens. Hier einen Sieger festzulegen, ist nicht möglich.

Wertung: Unentschieden - 3:1

Runde 3, Team: Anfang der 90er war Ferrari der reinste Chaos-Rennstall. Das Team lag im Mittelmaß und die traditionell zur Scuderia gehörenden V12-Motoren kamen nicht an die Zehn-Zylinder der Konkurrenz heran. Mit dem Einstieg von Michael Schumacher, Jean Todt und Ross Brawn änderte sich dies aber. Das Team wurde zuverlässiger und innovativer. Nachdem Chris Dyer 2010 durch einen Fehler bei der Renntaktik die WM an Vettel abgab, wurde der Schwachpunkt ausgebessert und Pat Fry installiert

2012 fällt Ferrari durch extreme Konstanz auf. Ein kleiner Fehler beim Boxenstopp im USA-GP ist fast die einzige Auffälligkeit. Bei Red Bull verkalkulierte man sich dagegen in Abu Dhabi bei der Spritmenge im Qualifying. Andere sagen, es sei unabsichtlich zu wenig Benzin eingefüllt worden. Egal wie, auf diesem Niveau entscheiden kleinste Fehler. Und da hat Ferrari aktuell einen kleinen Vorteil.

Wertung: Punktsieg Ferrari - 3:2

Runde 4, Auto: In Australien schien der F2012 fast unfahrbar, die Scuderia weit von Topplatzierungen entfernt. Doch binnen kurzer Zeit bekamen die Italiener ihre Probleme in den Griff und gaben Alonso ein siegfähiges Auto. Derweil kämpfte Red Bull lange mit dem Verbot des Doppeldifusors, der den RB7 zum überlegenen Wagen 2011 gemacht hatte.

Die Genialität des Design-Teams von Adrian Newey brachte Red Bull schließlich nach der Sommerpause einen extremen Aufschwung, während die Entwicklung bei Ferrari stagnierte. Die Italiener haben ihren Windkanal in Maranello noch immer nicht im Griff und produzierten daher oft Teile, die im realen Einsatz nicht die erwünschten Verbesserungen brachten.

Dagegen läuft bei Red Bull seit der Einführung des Doppel-DRS nahezu alles perfekt. Das Auto war prompt überlegen. Besonders auf Kursen mit schnellen Kurven zahlt sich die aerodynamische Effizienz des Teams mit österreichischer Lizenz aus. Brasilien ist einer davon.

Wertung: Klarer Punktsieg Vettel - 5:2

Runde 5, Zuverlässigkeit: Käfer gegen Diva. Schon zwei Lichtmaschinen gingen bei Vettel in dieser Saison im Rennen kaputt. Bei Teamkollege Mark Webber streikte sie jüngst in den USA wieder. Die Anfälligkeit konnte Renault bis zuletzt nicht beheben. Beim Saisonfinale soll nun eine Neuentwicklung eingesetzt werden, die in Austin bei den anderen Teams des französischen Motorenherstellers zum Einsatz kam. Ein Hoffnungsschimmer.

Ferrari hat dagegen null Probleme. Zwar gingen im Training am Freitag öfter mal Motor oder Getriebe über den Jordan, doch das war geplant. Die Scuderia testete, wie lange ihre Teile maximal durchhalten. Der Lohn für den Verzicht auf einige Übungsrunden: Noch hat der F2012 im Rennen noch nie den Geist aufgegeben. Als einziger Ausfallgrund stehen bei Alonso zwei Kollisionen zu Buche.

Wertung: Klarer Punktsieg Alonso - 5:4

Runde 6, Teamkollegen: Felipe Massa musste im ersten Teil der Saison massiv Kritik einstecken, als er mit der durchschnittlichen Performance des F2012 nicht gegen Alonso mithalten konnte. Im letzten Drittel drehte er jedoch auf, überzeugte die Scuderia, ihm einen neuen Vertrag zu geben und fuhr zuletzt in den USA mit einer furiosen Aufholjagd. Zudem stellt sich der Brasilianer seit seinem Wechsel zu Ferrari bedingungslos in den Dienst des Teams. Er akzeptiert seine Rolle als klare Nummer zwei ohne Murren.

Bei Vettels Helferlein Webber sieht die Situation anders aus. Der Australier, der Alonso übrigens 2000 in der Formel 3000 schlug, ist fahrerisch etwas besser als Massa, sofern er seine Spitzenleistung abrufen kann. Allerdings leistet er sich auch gerne mal ein paar Fehler, wie beim Abu-Dhabi-GP.

Wertung: Unentschieden - 6:5

Runde 7, Druck: Der Heppenheimer muss nur 12 Punkte holen, um die WM zu entscheiden. Wenn nur das Wörtchen "nur" nicht wäre. Alonso hat eigentlich seit mehreren Grands Prix keine realistische Chance mehr, den Titel noch zu holen. Trotzdem verlor er in den letzten drei Rennen nur drei Punkte auf den Deutschen. Mit 13 Punkten Rückstand ist er der Außenseiter, der entspannt auf Fehler seines Konkurrenten lauern kann. Ohne jeglichen Druck.

Wertung: Punktsieg für Alonso - 6:6

Runde 8, Erfahrung: Seine fünfte vollständige Saison fährt Vettel in diesem Jahr. Bei Alonso sind es zwölf. Schon auf den ersten Blick offenbart sich der Unterschied. Zwar hat Vettel mittlerweile einen großen Erfahrungsschatz vorzuweisen, doch sein Konkurrent ist mit sämtlichen Wassern gewaschen. Alonso kennt alle Situationen. Er weiß aus der Zeit bei Minardi, wie es ist, am Ende des Feldes zu fahren, er kennt das Mittelfeld-Gedränge und natürlich die Führungsarbeit.

Vettel dagegen ist nach seinem Debüt relativ schnell ins Top-Team gerutscht. Er weiß, wie er ein Feld anführt. Er bringt auf einer Runde im Qualifying fast immer die optimale Leistung. Aber was ist, wenn er zurückfällt und sein Auto nicht optimal für Überholmanöver abgestimmt ist?

Wertung: Knapper Punktsieg für Alonso - 6:7

Runde 9, Wetter: Interlagos. Brasilien. Dschungel. Regen. Chaos. In Sao Paulo kann prinzipiell alles passieren. Kleine Gedächtnisstütze: Beim Rennen 2008 stand plötzlich Nico Hülkenberg im Williams auf der Pole Position, als es erst dauerhaft regnete und die Strecke kurz vor Schluss plötzlich abtrocknete.

Die WM-Konkurrenten können zumindest beide mit Regen umgehen. Unvergessen bleibt Vettels Triumph im Toro Rosso beim italienischen Heimspiel in Monza 2008. In dieser Saison überzeugt vor allem Alonso. Der Spanier sicherte sich beim Regenchaos in Malaysia den Sieg und fuhr in Großbritannien auf die Pole.

Wertung: Unentschieden - 7:8

Runde 10, Reifen: Pirelli bringt in Sao Paulo wieder die beiden härtesten P-Zero-Mischungen an den Start. Medium- und harte Slicks stehen den Piloten zur Verfügung. Red Bull hatte in Austin deutlich weniger Probleme, die Pneus auf Temperatur zu bringen.

Das ist ein deutlicher Vorteil, gesetz dem Fall, dass es am Wochenende regnet. Der Grip der Cinturato-Regenreifen ist noch stärker von der Temperatur abhängig. Bleibt es trocken, wird sich der Vorteil nicht so sehr bemerkbar machen. In Brasilien sind deutlich höhere Temperaturen zu erwarten, als in Texas.

Wertung: Punktsieg Vettel - 8:8

Runde 11, Momentum: Vor der Sommerpause hatte Vettel in der Fahrerwertung 42 Punkte Rückstand auf Alonso. In Spa begann die Aufholjagd, die er mit dem Sieg in Korea abschloss: Er übernahm die Führung. Seitdem herrscht weitgehend Stillstand. Durch die Tankpanne bei der Abu-Dhabi-Quali konnte Vettel seinen Vorsprung nur um drei weitere Zähler ausbauen.

Wertung: Unentschieden - 9:9

Runde 12, Gesetz der Serie: In den letzten drei Jahren hat Red Bull jedes Rennen in Interlagos gewonnen. 2010 und 2011 fuhren Webber und Vettel jeweils einen Doppelsieg ein. Betrachtet man sämtliche Brasilien-GPs seit der Übernahme Jaguars durch den österreichischen Brausehersteller, steht es 3:3 unentschieden. Massa gewann 2006, Kimi Räikkönen 2007. Trotzdem: Die Tendenz in den letzten Jahren ist eindeutig. Red Bull hat die besten Karten.

Wertung: Punktsieg Vettel - 10:9

Schlussgong: Der Knock-out bleibt aus. Dafür gibt es einen knappen Sieg nach Punkten. Die Ausgangslage und das bessere Auto bleiben Vettels größte Pluspunkte für das kommende Wochenende. In den übrigen Kategorien kann Alonso wunderbar mithalten. Nimmt man den Titelkampf ganz genau unter die Lupe, sieht man also, dass Alonsos Chancen auf die Wende durchaus vorhanden sind. Auch wenn es eng wird.

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