"Ich möchte vom Motorsport leben können"

Von Interview: Alexander Mey
Rennfahrer Christian Vietoris fährt in der GP2-Serie
© Imago

Deutschland stellt den Formel-1-Weltmeister und die meisten Fahrer im Feld. Deutscher Motorsport steht für Qualität. Aber wie sieht es im Nachwuchs aus. SPOX hat mit drei hoffnungsvollen Talenten unterschiedlichen Alters und in unterschiedlichen Situationen gesprochen. Teil 3: Christian Vietoris (22).
 

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Deutschland ist weltweit im Moment das Motorsportland Nummer eins. Im Automobilsport ist die Fülle an Talenten kaum irgendwo höher. Sieben Piloten sind bereits im Umfeld der Formel 1 unterwegs, viele andere klopfen an die Tür.

Aber es ist trotz der vorbildlichen Nachwuchsförderung in Deutschland keineswegs selbstverständlich, dass die größten Talente auch den Sprung in die Königsklasse schaffen.

SPOX zeichnet am Beispiel der drei Hoffnungsträger Pascal Wehrlein (16), Daniel Abt (18) und Christian Vietoris (22) die unterschiedlichen Phasen nach, durch die ein Nachwuchsfahrer gehen muss.

Vom Überflieger in der Jugend über den Heranwachsenden, der trotz perfekten Umfelds zum ersten Mal das Verlieren lernen muss, bis zu demjenigen, der trotz zahlreicher Erfolge an dem Punkt angekommen ist, an dem die Formel 1 nicht mehr alles ist.

Christian Vietoris: Der realistische Zweifler

Im letzten Teil der Serie geht es um Christian Vietoris. Er fährt parallel GP2 und DTM und steht vor der Frage, welchen Weg er gehen will. Siegt der Traum von der Königsklasse oder die Vernunft, die ihm sagt, dass die DTM einen sicheren Lebensunterhalt garantiert?

Vietoris zeigt sehr gut, wie hoch gerade die letzte Hürde zur Formel 1 ist und dass man mit einer gewissen Lebenserfahrung auch an den Punkt kommen kann, an dem man seine Träume kritisch hinterfragt.

SPOX: Sie sind in dieser Saison in Motorsportkreisen für Ihren epischen Zweikampf gegen Jules Bianchi um die Führung im GP2-Rennen in Silverstone bekannt geworden. Rundenlang haben Sie sich in bester Hamilton/Button-Manier Rad an Rad bekämpft. Davon gibt es sogar Videos auf "Youtube". War das Ihr bestes Rennen bisher?

Christian Vietoris: Auf jeden Fall eines der besten. Ich kenne Bianchi ja noch aus der Formel 3. Auch da hatten wir schon tolle Fights. Wir respektieren einander und lassen uns gerade genug Raum zum Überleben, das hat man in Silverstone gesehen. In einer Runde haben wir viermal die Position gewechselt, glaube ich. Das hat schon richtig Spaß gemacht.

SPOX: Bianchi ist schon da, wo Sie hin wollen. Er ist Testfahrer bei Ferrari in der Formel 1.

Vietoris: Für solche Überlegungen ist es bei mir noch etwas zu früh.

SPOX: Verständlich, schließlich lief die GP2-Saison vor dem Rennen in Silverstone nicht gut. War es umso wichtiger, der Welt zu zeigen, was Sie drauf haben?

Vietoris: Klar. Ich musste ja zwei GP2-Rennen wegen einer Verletzung aussetzen und konnte im Winter auch die GP2-Asia nicht fahren. Da sind mir Erfahrungen entgangen, die die anderen als Vorsprung hatten. Mein ständiger Wechsel zwischen GP2 und DTM macht das Ganze auch nicht einfacher. Die wenige Trainingszeit an GP2-Wochenenden, die die anderen nutzen, um die Autos perfekt abzustimmen, brauche ich, um mich wieder ans Auto zu gewöhnen. Ich hinke also immer von vornherein einen Tick hinterher.

SPOX: Warum dann die Doppelbelastung GP2 und DTM?

Vietoris: Dass ich zwei Jahre lang GP2 fahren würde, war schon vor der Saison klar. Dann kam Mercedes und hat mir das Cockpit in der DTM angeboten. Als deutscher Fahrer ist es wohl für die meisten ein Traum, einmal für Mercedes zu fahren, von daher musste ich nicht lange überlegen, bevor ich zugeschlagen habe.

SPOX: Kommen Sie nicht zwangsläufig an den Punkt, an dem Sie sich zwischen dem Formel-1-Traum und der DTM entscheiden müssen?

Vietoris: Noch muss ich mich nicht entscheiden, denn es ist ja das erste Jahr, in dem ich beide Optionen habe. Das nächste Jahr wird in dieser Hinsicht schwerer werden. Ich denke, ich habe in dieser Saison die Zeit, mir eine Meinung zu bilden, was für mich besser ist, und mich dann im Winter zu entscheiden. Denn es gibt wohl nur ganz wenige Fahrer, die sowohl Formel- als auch Tourenwagensport auf allerhöchstem Niveau gleichzeitig praktizieren können.

SPOX: Wie groß ist die Gefahr, die Formel 1 aus dem Auge zu verlieren?

Vietoris: Es gab einige in meinem Umfeld, die mir gesagt haben, dass ich mir den Weg in die Formel 1 durch mein Engagement in der DTM schwerer gemacht habe. Paul di Resta hat aber gezeigt, dass der Weg vom Tourenwagen- zurück in den Formelsport möglich ist. Ich kann in der DTM viel für meine Zukunft lernen, denn sie ist sogar noch professioneller als die GP2. Für mich kann das alles nur gut sein. Außerdem macht mir das Fahren in der DTM sehr viel Spaß.

SPOX: Klingt, als könnten Sie sich auch ein Leben ohne Formel 1 mittlerweile ganz gut vorstellen.

Vietoris: Ich schätze die Sache realistisch ein. Klar ist die Formel 1 der große Traum eines jeden Rennfahrers, aber das hängt gerade im Moment von sehr vielen Faktoren ab. Es ist kein guter Zeitpunkt, um in die Formel 1 zu gehen. Man muss sich nur mal anschauen, wie viele Pay-Driver dort gerade unterwegs sind. Selbst Pastor Maldonado als GP2-Champion muss ganz tief in die Tasche greifen. So etwas ist nicht unbedingt mein Ziel, denn ich möchte schließlich vom Motorsport leben können. Mein Traum war es, einmal in meinem Leben für Mercedes zu fahren. Ob das nun in der Formel 1 oder der DTM ist, ist für mich zweitrangig. Stand heute sehe ich in der DTM bessere Zukunftsperspektiven für mich.

SPOX: Obwohl es sportlich auch da noch nicht optimal läuft.

Vietoris: Klar war es nicht das Ziel, nach der Hälfte der Saison noch null Punkte auf dem Konto zu haben. Vom Speed her sind wir immer gut dabei, aber ich mache im Moment noch zu viele Fehler. Das Fahrerfeld in der DTM liegt so eng beieinander, da ist es für uns junge Piloten nicht leicht, alles perfekt zusammen zu bringen.

SPOX: Was wäre denn, wenn Sie im schlimmsten Fall Ihr Geld nicht mit Motorsport verdienen könnten?

Vietoris: Dann hätte ich noch immer meine Lehre als Groß- und Einzelhandelskaufmann. Die habe ich gut abgeschlossen. Das ist zwar nicht mein Traumberuf, aber es ist zumindest eine Ausbildung als gute Basis. Allerdings gehe ich im Moment davon aus, im nächsten Jahr weiter Rennen zu fahren und nicht am Schreibtisch zu sitzen. Wenn man einmal im Motorsport ist, will man da nicht mehr raus.

SPOX: Was machen Sie, wenn Sie nicht über Rennstrecken jagen?

Vietoris: Ich mache sehr viele andere Sportarten. Badminton, Squash, Golf. Ich mag alles, wo man einen Konkurrenzkampf hat. Aber ich gehe auch gerne klettern.

SPOX: Warum spielen so viele Leistungssportler Golf?

Vietoris: Es ist eine der wenigen Sportarten, die man auch alleine machen kann und bei der man trotzdem immer den Anreiz hat zu kämpfen. Man kann immer an seinem Handicap arbeiten. Und Golf ist gar nicht so einfach, muss ich sagen. Auf jeden Fall kein Rentnersport. (lacht)

SPOX: Gibt es auch Hobbys, die nichts mit Sport zu tun haben? Kino oder so?

Vietoris: Was war denn mein letzter Kinofilm? Keine Ahnung, wahrscheinlich irgendein Frauenfilm mit meiner Freundin. (lacht)

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