Der unglaubliche Lauf des Fernando A.

Von Alexander Mey
Fernando Alonso gewann das Rennen in Südkorea vor Lewis Hamilton und Felipe Massa
© Getty

Ferraris Saison 2010 ist kurios. Nach grandiosem Start und Selbstmitleid zur Saisonmitte ist die Scuderia nach dem Südkorea-GP mit Fernando Alonso zwei Rennen vor Schluss wieder ganz oben. Und das nach einem unglaublichen Lauf und einer bewegten Saison.

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Fernando Alonso ist zurück an der WM-Spitze und nach seinem fünften Saisonsieg in Südkorea der heißeste Tipp auf den Titelgewinn. "Ferrari an der Spitze der Welt. Fernando Alonso war der rote Hai im Regentanz", feierte der "Corriere dello Sport" das Rennen. Die "Gazzetta dello Sport" fordert nun den großen Wurf: "Das Glück macht nicht umsonst Geschenke und erträgt keinen Verrat. Alonso muss es jetzt auch zu Ende bringen."

Die Italiener sind in froher Erwartung des ersten WM-Titels seit Kimi Räikkönens Erfolg 2007 hellauf begeistert. Schließlich hatten sie in diesem Jahr bei weitem nicht immer Grund zur Freude. Ein Rückblick auf eine bewegte Saison.

Letzte WM-Führung im April

Wer weiß noch, wann vor dem Südkorea-GP zum letzten Mal ein Ferrari-Pilot die Fahrerwertung angeführt hat und wer das war? Es war nach dem dritten Saisonrennen in Malaysia - und es war Felipe Massa!

Zuvor hatte Ferrari in einem starken Auto in Bahrain einen Doppelsieg gefeiert, weil Sebastian Vettel - wie so oft in dieser Saison - mit technischen Problemen an seinem Red Bull zu kämpfen hatte und zurückfiel.

Ferrari war auf Augenhöhe mit Red Bull und McLaren, doch ab dem dritten Rennen begann der Abstieg. Fernando Alonso war mit einem Motorschaden ausgefallen und verlor die WM-Führung an Massa. Was folgte, waren ernste Schwierigkeiten.

Ferrari verzettelt sich beim F-Schacht

Ferrari verzettelte sich in dem Bemühen, so schnell wie möglich den F-Schacht nachzubauen, jenen technischen Kniff, der McLaren beim Top-Speed unschlagbar machte. Es klappte nicht, andere Entwicklungen am Auto wurden vernachlässigt. Anstatt Red Bull zu überholen, fiel man sogar hinter McLaren zurück.

Alonso war für lange Zeit nicht mehr siegfähig, schaffte es aber immerhin, durch gute Rennen in China, Spanien und Kanada den Anschluss an die WM-Spitze zu halten.

Dreistufen-Modell für neuen Diffusor

Die Wende zurück auf die Siegerstraße sollte ab dem Europa-GP in Valencia die Einführung des angeblasenen Diffusors bringen, jenes technischen Kniffs, der vermeintlich Red Bull so schnell machte. Ferrari hatte aus den Problemen beim F-Schacht gelernt und ging die Einführung des Systems, bei dem die Auspuffgase in den Diffusor geleitet werden, langsam an.

Ein Dreistufen-Modell brachte den Vorteil, dass die Scuderia bei weitem nicht so sehr mit der Hitze, die die Auspuffgase im Auto erzeugten, zu kämpfen hatte wie die Konkurrenz. Während McLaren und Mercedes die Karbonteile wegschmolzen, kam Ferrari stetig näher an Red Bull heran.

Ferrari-Tiefpunkt in Silverstone

Zumindest vom Speed her, nicht von den Ergebnissen. Denn trotz technischer Verbesserungen erlebte Ferrari in Valencia und Silverstone den Tiefpunkt der Saison.

In Valencia warf Pech mit dem Safety-Car, das beide Autos entscheidend einbremste, die Roten weit zurück. In Silverstone erlebte Alonso nach schwachem Start, Durchfahrtsstrafe und Reifenschaden ein Null-Punkte-Debakel. "Wir scheinen verflucht zu sein", jammerte Teamchef Stefano Domenicali.

Aber schon damals, mit 47 Punkten Rückstand auf den WM-Führenden eigentlich im Titelrennen schon abgeschrieben, sagte Alonso: "Vor Silverstone habe ich an den Titel geglaubt, brauchte aber eine Bestätigung, dass ich das Auto dafür habe. Nach Silverstone, wo das Auto geflogen ist, glaube ich trotz der verlorenen Punkte noch mehr an den Titelgewinn als vorher."

Aufholjagd beginnt mit Hockenheim-Teamorder

Die Aufholjagd begann dann ausgerechnet mit dem größten Aufreger der Saison. In Hockenheim wurde Massa von Ferrari in Führung liegend zurückgepfiffen und musste Alonso den Sieg überlassen. Teamorder, ein riesiger Aufschrei im Fahrerlager. Aber: Ferrari musste nur 100.000 Dollar Strafe zahlen und durfte alle Punkte behalten. Punkte, die jetzt im Endspurt noch entscheidend werden können.

Denn Alonso ließ dem Hockenheim-Sieg einen zweiten Platz gegen haushoch überlegene Red Bulls in Ungarn folgen und legte nach einem kurzen Zwischentief inklusive Fahrfehler in Spa erst richtig los.

Sieg in Monza mit der dritten und letzten Ausbaustufe des angeblasenen Diffusors. Tenor danach: "Jetzt sind wir auf jeder Art von Strecke konkurrenzfähig." Der Beweis beim Sieg in Singapur. Es folgte der dritte Platz in Suzuka und jetzt der Sieg in Südkorea. Drei der letzten vier Rennen gewonnen, 90 von 100 möglichen Punkten geholt. Dazu in sechs der letzten sieben Rennen auf dem Podium. "Konstanz ist der Schlüssel zum Titel", sagt Alonso schon seit einigen Wochen. Er selbst ist das beste Beispiel.

Domenicali warnt: "Füße auf dem Boden behalten"

Aber Konstanz ist auch weiterhin der Schlüssel zum Titel, immerhin ist die WM noch nicht vorbei. Ab sofort hat Ferrari nichts mehr zu gewinnen, sondern nur noch etwas zu verlieren.

Das weiß auch Teamchef Domenicali und mahnt: "Unsere Mission ist jetzt, cool zu bleiben, uns zu konzentrieren und diese großartige Phase der Saison nicht überzubewerten. Die Art und Weise, wie wir unsere Probleme in diesem Jahr überwunden haben, zeigt, wie mental stark wir die Rennen angehen. Jetzt müssen unsere Jungs aber die Füße auf dem Boden behalten. Wir dürfen uns keine Fehler leisten."

Zum ersten Mal wird diese Aufforderung in zwei Wochen in Brasilien auf die Probe gestellt. Dort hat Ferrari drei der letzten vier Rennen gewonnen. Nur 2009 nicht, da siegte ein gewisser Mark Webber - und der ist zufälliger Weise Alonsos engster Verfolger im Titelrennen.

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