Exoten im Schatten des Camp Nou

Auch beim FC Barcelona wird Eishockey gespielt

Eishockey und der FC Barcelona, das ist kein Widerspruch. Seit über 40 Jahren unterhält Barca eine Eishockey-Abteilung, doch vom Glamour des Weltklubs ist dabei wenig zu spüren. Stattdessen spielen die Halbprofis in halbleeren Hallen, haben Nebenjobs und kämpfen im Eishockey-Entwicklungsland Spanien gegen viele Vorurteile an. SPOX hat mit den Beteiligten gesprochen und stellt sie vor, die Exoten im Schatten des Camp Nou.

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Gerade auf Kinder wirkt er wie ein Magnet.

Der Mannschaftsbus des FC Barcelona ist ein wahres Ungetüm, fast schon mes que un bus. Mit seiner gedrungenen Schnauze wirkt der in blau gehaltene und mit den Konterfeis von Messi, Iniesta und Co. verzierte Neoplan Starliner fast wie ein zum Angriff übergehender Stier. "Barca! Barca! Baaaarca!" erschallt es auf seiner linken Flanke, dahinter flackert das Wappen der stolzen Katalanen.

Kein Wunder also, dass der 40-Sitzer für Menschenmassen sorgt, wo auch immer er auftaucht. Die Fans verfolgen ihn, machen Fotos und hoffen, einen Blick auf ihre Idole erhaschen zu können. Die machen es sich derweil hinter getönten Scheiben bequem: Feinstes Leder, eine kleine Küchenzeile, überall Bildschirme, sogar Platz für eine Pokerrunde wird im Heck geboten. Und das Barca-Logo. Überall prangt das Barca-Logo.

Kommt das überdimensionale Gefährt schließlich zum Stehen und die Türen öffnen sich, sind die Handys längst gezückt, die Münder erwartungsvoll geöffnet. Darf Messi als Erster? Busquets? Pique?

"Aber dann ist es nur ein Haufen völlig unbekannter Spieler. Das ist schon eine große Enttäuschung: Sie sind es ja gar nicht."

Fast schon entschuldigend erzählt Marcus Fajardo im Gespräch mit SPOX von den enttäuschten Barca-Fans, die ihn erwarten, wenn er aus dem Bus steigt. Er spielt zwar ebenfalls für den FC Barcelona, aber mit dem F hat er nicht viel zu tun, hat sogar zwei linke Füße, was das angeht.

Er spielt auch nicht Basketball. Oder gar Handball.

Seit fünf Jahren ist Marcus Fajardo Teil der Eishockey-Mannschaft des großen FC Barcelona.

17 Hallen: Spanien ist Eishockey-Entwicklungsland

In puncto Eishockey ist Spanien mit dem heißen und trockenen Klima ein absolutes Entwicklungsland. Seit 1923 gibt es den nationalen Verband, doch der besteht über Jahrzehnte quasi nur auf dem Papier. Heute listet der IIFH offiziell 904 Spieler (187 Männer, 185 Frauen, 532 Junioren), die sich auf ganze 17 Eishallen verteilen.

Das reicht immerhin für Platz 30 der Weltrangliste (Frauen: Platz 27).

In Katalonien hat "Hoquei gel" aber fast schon Tradition, wenn man so will. 1971 wurde in Barcelona die Pista de Gel eröffnet, eine Eishalle gerade mal 100 Meter westlich des Camp Nou. Diese gehört zu 50 Prozent dem Klub, zu 50 Prozent der Stadt. Ein Jahr später hob Barca seine Eishockey-Abteilung aus der Taufe. "Viele wissen gar nicht, dass es ein Eishockey-Team gibt. Das ist für sie eine große Überraschung", erklärt Brian O'Hare gegenüber SPOX. "Sie kennen die Eisbahn, aber wissen nicht, dass das Team seit 1972 existiert."

Seit 26 Jahren lebt Geschäftsmann O'Hare in Barcelona, seine Leidenschaft fürs Eishockey hat er aus der Heimat Kanada mitgebracht. Acht Jahre gehört er nun schon zum auserlesenen Kreis um den Eisring herum. "Die ersten Jahre habe ich nichts gemacht, dann am Wochenende geholfen. Schließlich war ich dumm genug, meine Trainerlizenz zu machen", verrät er lachend.

Eishockey-Nachwuchs in Barcelona: Ohne Freiwillige geht nichts

Dann ging es Schlag auf Schlag. Mittlerweile ist er Assistenzcoach der U16 und arbeitet mit der Jugend: "Wenn der Head Coach nicht da ist, übernehme ich auch die U14." Es gibt die U10, U12, U14 und U16, dazu Junioren und Senioren. Bis zur U16 gehen Jungen und Mädchen gemeinsam auf das Eis. Sein Sohn ist Kapitän der Junioren, außerdem spielen O'Hares Töchter in der U14 und der U10.

Der Belegungsplan der Eisfläche ist streng durchgetaktet: Am Wochenende ist die Halle von 10-14 Uhr und 17-20 Uhr ganz normal geöffnet, unter der Woche gehört sie vormittags den Eiskunstläufern. Trainingseinheiten gibt es für den Nachwuchs dienstags, mittwochs und Samstag oder Sonntag. Der ist auf Freiwillige angewiesen, ob nun für Training, Organisation oder einfach nur Fahrdienste: "Das nächste Team ist von Barcelona eineinhalb Stunden entfernt. Danach über drei Stunden, dreieinhalb, dann sechs Stunden. Das ist die größte Herausforderung für die Kids", sagt O'Hare. "Ab der U16 kümmert sich der Klub um den Transport, bis dahin sind die Eltern gefragt.

Barcelona: Eishockey oder doch Inline-Hockey?

Abends gehört die Eisfläche dem Herrenteam und Spielern wie Marcus Fajardo. Der Vater des gebürtigen New Yorkers kommt aus Spanien, er hat also die spanische Staatsbürgerschaft. Nachdem er auf dem College Eishockey spielte, zog ihn aber ursprünglich eine andere Sportart nach Europa.

Sieht man vom eisigen Untergrund ab, wird in Spanien nämlich durchaus Hockey gespielt. "Ich kam als Inline-Hockeyspieler nach Barcelona. Das ist hier sehr groß, in meiner Jugend habe ich beides gespielt" sagt Fajardo. Nach fünf Jahren als Inline-Hockeyprofi sattelt er schließlich um und spielt Eishockey. Das dann aber nur noch als Halbprofi: Der 33-Jährige arbeitet nebenher als Englischlehrer.

Was nicht heißt, dass er und seine Kollegen den Sport nicht ernst nehmen: In der Vorbereitung wird fünfmal die Woche trainiert, in der rund sechs Monate dauernden Saison gibt es von Dienstag bis Donnerstag Einheiten von 22-23.30 Uhr. Samstag ist Gameday. Krafttraining gehört ebenfalls dazu. "Wir nehmen das sehr ernst, alle hängen sich richtig rein, obwohl sie auch noch andere Jobs haben", berichtet Fajardo.

Eishockey-Spieler in Spanien: Ein bunter Mix

Was sich im Niveau widerspiegelt: "Das Talent ist zwar nicht so hoch wie in der NCAA, aber die Spieler sind älter und deswegen schneller und körperbetonter." Dazu kommen Zugezogene wie er, die teilweise selbst auf hohem Level gespielt haben." Es handelt sich jedoch nicht nur um ein Hobby der Eishockey-Diaspora aus Nordamerika oder Skandinavien: "Die meisten Spieler sind Spanier. Pro Team sind vier Ausländer erlaubt."

Auch der Nachwuchs ist laut O'Hare zu 85 Prozent einheimisch, dazu kommen Rumänen, Tschechen, Nordamerikaner und Franzosen: "Sie ziehen mit ihren Eltern hierher und haben bereits Eishockey gespielt. Dann erfahren sie, dass es hier ein Team gibt und melden sich an." Für die U10 muss man keinerlei Erfahrung mitbringen, die Kinder lernen schnell. Danach steigen die Anforderungen: Den Platz in der U18 oder U20 muss man sich erkämpfen, nicht alle schaffen es.

Aber wie kommt man als waschechter Iberer überhaupt auf den Eishockey-Geschmack? Manchmal über Familienangehörige. Andere gehen am Samstag Schlittschuhlaufen und haben Spaß, weiß O'Hare. Er erzählt von einem U10-Turnier in Andorra, bei dem er sich mit den Eltern dort unterhalten hat. "Wir sind Eislaufen gegangen", sagten die. "Unserem Sohn hat es gefallen, also nahm er Unterricht. Dann hat er die Hockey-Spieler gesehen und gesagt: Mama, ich will auch."

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