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"Lass uns in Ruhe, du hast keine Ahnung!"

Haruka GruberSPOX
06. Februar 201319:30
Sergey Karasev (l.): Das russische Supertalent von Triumph LyubertsyImago
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Als Vierjähriger verzückte er schon die Fans in Berlin. Jetzt ist Sergey Karasev 19 - und eines der heißesten Themen in Europa. Geht der Small Forward von Triumph Lyubertsy sofort in die NBA? Das Interview mit dem russischen Supertalent über den perfekten Wurf und eine Legende als Papa.

SPOXGetty

SPOX: Sie sind eines der heißesten Themen des europäischen Basketballs. Es wird gerätselt, wohin Sie als der vielleicht beste 19-Jährige des Kontinents nach dieser Saison wechseln. Wie gehen Sie mit dem Trubel um?

Sergei Karasev: Jeder sagt mir, dass ich ein guter Basketballer wäre. Nur: Ich kann das nicht so richtig glauben. Ich weiß selbst am besten, dass ich mich noch verbessern muss. Und um das zu schaffen, muss ich irgendwann wechseln. Es gibt viele Optionen, um in Europa irgendwo unterzukommen. Die NBA könnte ebenfalls möglich sein. Mein Vater spielte in vielen Ligen und entwickelte sich erst so zu einem herausragenden Point Guard, wie er mir sagt.

SPOX: Ihr Vater ist Vasili Karasev, einer der besten Spielmacher der letzten 20 Jahre. Wie oft werden Sie auf Ihn angesprochen?

Karasev: Fast genauso oft wie auf das Thema, wohin ich wechsele. (lacht)

SPOX: Wie schwierig ist es, einen derart bekannten Vater zu haben, der Sie bei Triumph Lyubertsy auch noch trainiert?

Karasev: Manchmal ist es sehr schwer für mich. Natürlich weiß ich rational, dass er im Training als Head Coach mein Vorgesetzter ist und nicht mein Vater. Aber hin und wieder spreche ich mit ihm, als ob er nur mein Vater wäre. Und dann muss er mich zurechtweisen. Ich muss lernen, das zu akzeptieren und ihn als Vorgesetzten zu akzeptieren, was nicht immer einfach ist. Wenn ich das nicht schaffe, kracht es schon richtig zwischen uns. Wenn wir direkt nach dem Training nach Hause fahren, diskutieren wir häufig am Essenstisch, ob ich wirklich was falsch gemacht habe oder nicht. Meine Mutter muss in der Regel zwischen uns vermitteln - was den Vorteil hat, dass wir beide auf sie böse werden, weil sie sich einmischt: "Lass uns das in Ruhe ausdiskutieren, du hast keine Ahnung von Basketball!", sagen wir gleichzeitig. Danach ist alles gut zwischen meinem Vater und mir. (lacht)

SPOX: Dabei hat Ihre Mutter gleichfalls eine illustre Sportler-Vita. Sie soll eine Weltklasse-Volleyballerin gewesen sein.

Karasev: Sie war wirklich nicht schlecht und gehörte mit 18, 19 Jahren zu den größten Talenten in Russland. Sie lernte allerdings relativ früh meinen Vater kennen, heiratete ihn, bekam mich und hörte mit dem Volleyball auf. Mir wurde erzählt, dass es damals eine ganz schöne Aufregung gab, weil meine Mutter einfach so zurückgetreten ist. Sie musste sich entscheiden und wollte lieber sofort eine Familie als eine Sportlerkarriere, obwohl der damalige Nationaltrainer darauf gedrängt hatte, dass sie weitermacht. Damals waren viele Leute sauer auf meine Mutter, dennoch ging sie ihren Weg. Das bewundere ich an ihr.

SPOX: Sie wirken wie die perfekte Kombination Ihrer Eltern: Sie bekamen von der Mutter die Größe und von Ihrem Vater die Basketball-Intelligenz. Richtig?

Karasev: Ich spüre, dass ich diesen Basketball-IQ von meinem Vater geerbt habe und er mich von klein auf gelehrt hat, ein Spiel zu lesen. Vermutlich wäre ich ebenfalls ein Point Guard geworden, wenn ich nicht dank meiner Mutter so gewachsen wäre.

SPOX: In Berlin erzählt man sich eine Anekdote: In der Saison 1997/98 gab es einen Spielersohn, der mit vier Jahren bereits den perfekten Wurf gehaben soll. Der Spielersohn waren Sie.

Karasev: Weil mein Vater bei so vielen Klubs unter Vertrag stand, kann ich die einzelnen Städte oft nicht auseinanderhalten, in denen wir lebten. An die Zeit bei Alba, vor allem an einen besonderen Tag, erinnere ich mich jedoch sehr gut. In der Halbzeitpause eines Spiels, als die Mannschaften im Locker Room waren, durfte ich auf den Court und einfach werfen. Erster Schuss - drin. Zweiter Schuss - drin. Von den Zuschauern, die auf den Sitzen geblieben waren, gab es vorsichtigen Applaus. Dritter Schuss - drin. Der Applaus wurde lauter. Noch ein Wurf, noch ein Wurf - und am Ende klatschten alle. Dieser Moment markiert den Startpunkt meiner Basketball-Karriere. Es war das erste Mal, dass ich vor Zuschauern Basketball gespielt habe und es ihnen gefiel und sie applaudierten.

SPOX: Ihr Wurf ist wie aus dem Lehrbuch. Wie lernten Sie eine derart perfekte Technik?

Karasev: Damals wusste ich gar nicht, dass ich für einen Vierjährigen gut werfen konnte. Vermutlich schaute ich das unterbewusst von meinem Vater ab. Als ich später richtig mit dem Basketball-Training anfing, nahm ich mir viel Zeit für den Wurf. Vor und nach jedem Training gab es extra Catch-and-shoot-Übungen aus allen Positionen oder aus dem Dribbling heraus. Normalerweise hat ein Basketballer einen Favorite Spot, zum Beispiel in der Dreierecke. Ich hingegen möchte mich auf jedem Zentimeter des Courts wohlfühlen.

SPOX: Was Ihnen außerdem zupass kommt: Sie sind Linkshänder.

Karasev: Das stimmt, es ist ein großes Plus. Man ist es gewohnt, gegen Rechtshänder zu verteidigen und diese am Wurf zu behindern. Wenn es plötzlich gegen einen Linkshänder geht, muss man plötzlich spiegelverkehrt denken.

SPOX: In jedem Scouting-Report wird Ihr exzellentes Shooting erwähnt. Artlands Trainer Stefan Koch, gegen den Sie in den letzten Jahren mehrmals gespielt haben, sagt hingegen: "Karasev ist ein sehr guter Allrounder - das bekommen die meisten nur nicht mit." Fühlen Sie sich auf die Rolle des reinen Werfers reduziert?

Karasev: Das kann sein. Jeder sagt zu mir, dass ich ein Shooter bin, ich selbst sehe mich als Allrounder. Trainer lieben Allrounder, die im idealen Fall jede Position übernehmen können. Ich bin zwar ein klassischer Flügelspieler, trotzdem kann ich auch für einige Minuten als Point Guard den Ball nach vorne tragen und die Offense lenken. Solche taktischen Varianten sind im modernen Basketball extrem wertvoll, egal ob in Europa oder in der NBA.

Teil II: "Es gab mich und ein russisches Mädchen"

SPOX: Vor dem Eurocup-Spiel bei den Artland Dragons gingen in Quakenbrück Ticket-Anfragen von sechs NBA-Teams ein, um Sie zu beobachten. Wussten Sie das?

Karasev: Davon höre ich zum ersten Mal, aber es ist schön. Wenn sich Scouts extra den langen Weg machen, kann es nur ein Zeichen von Anerkennung sein.

SPOX: Trauen Sie sich die NBA zu?

Karasev: Grundsätzlich: ja. Ich hatte vor zwei Jahren ein Spiel gegen Dynamo Moskau. Wir standen schon als Playoff-Teilnehmer fest und es war die Endphase der Regular Season, daher sollte ich als Jungspund 10 bis 15 Minuten spielen. Stattdessen stand ich 39 Minuten auf dem Court und erzielte 34 Punkte. Danach wusste ich: Ich kann es schaffen und ein richtig guter Basketballer werden.

SPOX: Kurz darauf nahmen Sie, obwohl erst 17 Jahre jung, mit Russland an der U-19-WM teil und besiegten in einem denkwürdigen Viertelfinale die hochkarätig besetzten USA mit dem heutigen NBA-Profi Jeremy Lamb sowie den College-Stars Tim Hardaway Jr. sowie Doug McDermott. Später gewann ihr Team Bronze.

Karasev: Das war fantastisch. Gegen die USA zu gewinnen, ist für Russland ohnehin etwas Besonderes. Vor allem, weil die Amerikaner eine Topmannschaft nominiert hatten. Sehr athletisch, sehr talentiert. Es wurde ein tolles Duell, das wir für uns entscheiden konnten, weil wir als Kollektiv und mit Köpfchen zusammenspielten.

SPOX: Wie verlief das direkte Duell mit Lamb, der 2012 an Nummer 12 gedraftet wurde und nun bei den Oklahoma City Thunder unter Vertrag steht?

Karasev: Lamb ist groß, wirft und dribbelt gut. Dass er jetzt in der NBA ist, kommt nicht von ungefähr. Ihn zu verteidigen, war entsprechend schwierig. Aber obwohl ihm 20 Punkte gelangen, stoppten wir ihn als Gemeinschaft und kontrollierten den Rest des US-Teams.

SPOX: Sie selbst erzielten 17 Punkte und zeigten sich ebenbürtig. Ist ein sofortiger Wechsel in die NBA denkbar?

Karasev: Ich schaue mich vor allem in Europa um und spiele Szenarien durch. Es ist genauso möglich, im Sommer in die Summer League zu gehen, um ein Gefühl zu bekommen, wie es in der NBA zugeht und woran ich noch arbeiten muss.

SPOX: Passt Ihr Spielstil mehr zum europäischen oder amerikanischen Basketball?

Karasev: Ich glaube, das ist egal.

SPOX: Ihr Landsmann Alexey Shved wechselte vor dieser Saison vom russischen Überverein ZSKA Moskau in die NBA nach Minnesota. Benötigen Sie womöglich einen Zwischenschritt? Triumph gehört nicht zu den allerersten Adressen des europäischen Basketballs.

Karasev: Zunächst einmal war es für Alexey wichtig, es mit 23 Jahren überhaupt in die NBA zu schaffen. Ein, zwei Jahre später hätte er die Chance vielleicht nie bekommen. Jetzt macht er einen guten Job und liefert 11 Punkte im Schnitt. Wobei: Ob sein Weg der einzig richtige ist und ich erst mal zu einem absoluten Spitzenklub in Europa wechseln muss, weiß ich noch nicht. Wenn ich ehrlich sein soll: Wenn schon, will ich ohne Zwischenschritt direkt in die NBA. Ich denke, dass ist die beste Lösung für mich.

SPOX: Zumal Sie anders als viele ausländische Spieler kaum Anpassungsprobleme haben dürften. Sie beherrschen fließend englisch.

Karasev: Die ersten Wochen würden bestimmt seltsam sein, das sollte sich allerdings schnell legen. Ich bin wegen der vielen Wechsel meines Vaters in so vielen Ländern aufgewachsen und zu so vielen Schulen gegangen, dass ich keine Angst habe. Ich weiß noch, wie ich damals für die erste Klasse in einer internationalen Grundschule in Thessaloniki eingeschrieben wurde. Es gab mich und ein russisches Mädchen, alle anderen sprachen englisch. Die ersten drei Monate liefen furchtbar, weil ich nichts verstand und ein Außenseiter war. Ich bin weinend nach Hause und bettelte meine Mutter an, dass sie immer mit in die Schule kommen soll, damit ich in der Pause jemanden habe, mit dem ich reden kann. Sie lehnte natürlich ab und blieb hart. Naja, am Ende des Schuljahres konnte ich ordentlich englisch und als wir mit der Familie nach Russland zurückzogen, machte ich mit dem Englisch lernen immer weiter.

SPOX: Welche Ratschläge gab Ihnen NBA-Star Andrei Kirilenko während den Olympischen Spielen in London?

Karasev: Er sprach viel mit mir. Am Ende lautete der entscheidende Satz: Wenn ich weiter so arbeite, lande ich spätestens in zwei, drei Jahren zu hundert Prozent in der NBA.

SPOX: Wie behalten Sie die Olympischen Spiele in Erinnerung? Russland gewann Bronze, Sie selbst kamen jedoch im gesamten Turnier nur 6 Minuten zum Einsatz.

Karasev: Es war eine ungewohnte Situation, die ich so nicht kannte. Aber ich musste akzeptieren, dass ich so lange auf der Bank sitze und Coach David Blatt anderen mehr vertraut. Ich war dennoch nie sauer. Vielleicht, weil ich wusste, wie wichtig die Wochen für meine Entwicklung sein könnten. Ich verbrachte so viel Zeit mit großartigen Basketballern wie Andrei, Alexey, Viktor Khryapa, Sergei Monia. Sie gaben mir alle unbezahlbare Tipps. Und dann bekam ich noch die Bronzemedaille umgehängt. Am Ende bleibt London eine wundervolle Erinnerung.

Der komplette Spielplan der Euroleague-Saison

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