Ansichtssache - Die Kolumne von Michael Gigerl: Thiem und die Römische Eins

Von Michael Gigerl, Kommentator & PULS 4 Chefredakteur Sport
Michael Gigerl
© PULS 4

Was sagen Sie: War 2018 ein gutes Jahr für Dominic Thiem? Ich meine "ja"! Allerdings musste ich ehrlicherweise doch ein wenig nachdenken, um mich da fest zu legen. Es ist also ein leicht zögerliches "ja", keines, das so unwiderstehlich kraftvoll und überzeugend wie ein perfekt geschlagener Topspin-Vorhand-Winner Marke Thiem daherkommt. Und das, obwohl die Erinnerung an das Finale der French Open oder den epischen Fünfsatz-Schlagabtausch gegen Rafael Nadal im Viertelfinale der US Open noch so lebendig ist.

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Dazu kommen drei Turniersiege, die dritte Masters-Teilnahme in Folge und in der Weltrangliste beendet Thiem das Kalenderjahr auf dem starken achten Platz. Woher kommen also diese leisen Zweifel, ob es denn nun wirklich ein gutes Jahr für den mittlerweile 25-jährigen Lichtenwörther war?

Ich habe da für mich persönlich zwei Erklärungsmodelle gefunden. Das Eine begründet sich in der - aus meiner Sicht - noch zu mangelhaften Konstanz. Bei 22 Turnieren (exklusive Masters London) hat Thiem in diesem Jahr aufgeschlagen, bei fünf davon kam das Aus bereits unmittelbar nach seinem ersten Auftritt. Sprich bei fast jedem vierten Turnier musste sich Thiem bei erster Gelegenheit auch schon wieder verabschieden.

Darunter sehr bittere Niederlagen, wie zum Beispiel jene in Wimbledon oder Kitzbühel. In Wien schaffte es der Lokalmatador heuer zumindest bis ins Viertelfinale, in dem er allerdings gegen den späteren Turniersieger Kei Nishikori (JPN) chancenlos war. Unterm Strich bleibt also der von Thiem so geliebte heimische Boden auch bis auf weiteres nicht sein bester Belag...

Dominic Thiem in 2018: Es war ein gutes Jahr

Das bringt uns gleich zum zweiten Punkt: die Erwartungshaltung. Die ist nämlich klarerweise bei den beiden "Heimturnieren" in Wien und Kitzbühel besonders hoch. Umso enttäuschender schlägt sich dann so ein Erstrunden-Aus wie in Kitzbühel auf die rot-weiß-rote Tennisseele nieder.

Aber diese Erwartungshaltung gilt natürlich auch außerhalb unserer Landesgrenzen, denn Erfolg erhöht (fast) immer den Anspruch. Jüngstes Beispiel dafür ist das Masters in London. Bei der dritten Teilnahme in Folge geht´s längst nicht mehr nur ums dabei sein, da ist das - zugegebenermaßen große - Ziel (zumindest) das Semifinale, sprich das Überstehen der Gruppenphase. In dem Fall hat Thiem dieses Ziel auch selbst (vorsichtig) formuliert, in anderen Fällen entsteht die Erwartungshaltung ganz ohne sein (beabsichtigtes) Zutun.

Bestes Beispiel dafür ist die Weltrangliste: Vor rund einem Jahr belegte Thiem da den sensationell guten vierten Platz. Und ich behaupte, dass ab diesem Moment dieser vierte Platz im Ranking im "öffentlichen Anspruch" sofort auch als die neue Messlatte definiert wurde. Da wirkt der starke, aktuell gehaltene achte Platz ja fast schon mickrig. Aber so ist das eben nun Mal mit dem Erfolg und den daraus resultierenden (öffentlichen) Ansprüchen...

Abschließend möchte ich aber vor allem noch eines festhalten: Die Frage, ob es ein gutes Jahr für/von Dominic Thiem war oder nicht, darf so eigentlich gar nicht gestellt werden. Die Frage muss viel mehr lauten: war es ein gutes, oder gar ein sehr gutes Jahr von unserem Tennis-Aushängeschild? Und ich bleibe dabei: Es war ein gutes Jahr. Denn ich bin mir ganz sicher, dass Dominic Thiem in den nächsten Jahren das erfolgreiche 2018-er Jahr noch toppen kann. Das wäre dann wirklich sehr gut und würde sich eine römische Eins verdienen!

Sie erreichen den Autor unter: michael.gigerl@puls4.com

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