...liegt häufig nur ein schmaler Grat. Oder eben ein Spiel.

In Mailand revanchierten sich meine Bayern auf eindrucksvolle Art für das verlorene CL Finale, gewannen verdient 1:0 im San Siro. Und drei Tage später lässt eine hochverdiente 1:3-Heimniederlage gegen Tabellenführer Borussia Dortmund einen ganzen Verein in Schock erstarren...

Doch ist Dortmund so viel besser als Inter? Ich denke nein. Wir waren schlechter. Vor allem jedoch traf Dortmund unser Herz: Sie kontrollierten das Zentrum, und vom Zentrum ausgehend kontrollierten sie alles. Unser Sturm hing in der Luft, Robbery waren größtenteils auf sich allein gestellt, wurden effizient gedoppelt/getrippelt. Unser Flügelspiel war in Ketten gelegt, während Dortmund selbst aufgrund ihrer Kontrolle des Zentrums immer wieder recht ungestört auf unsere Viererkette zulaufen konnte und sich viele Chancen erspielte. Wieso konnte jedoch Dortmund im Zentrum die Kontrolle erlangen?

I. Aufstellung

Wenn man unsere Aufstellung betrachtet, erkennt man keine Unterschiede zur Startformation gegen Inter Mailand, Pranjic im ZM, Gustavo auf LV. Doch eine Umstellung nach ein paar Minuten wie gegen Inter, als Gustavo zur Bewachung Sneijders ins DM abgestellt wurde und mit Pranjic tauschte, erfolgte diesmal nicht.
Wir traten auf in unserem gewohnten 4-2-3-1, während Dortmund ebenso vor ihrer Viererabwehrkette auf eine Doppel-Sechs/Acht Sahin/Bender setzte, die Flügel mit den schnellen Großkreutz und Götze besetze, im Sturm Barrios und als hängende Spitze Lewandowski.
Rein von der Aufstellung her waren die Formationen sehr ähnlich, Dortmund hatte keine nominelle Überzahl im Mittelfeld.

II. Grundlegender "Matchplan"

Zu erwarten war, dass Dortmund aus einer sicheren Defensivorganisation heraus agieren würde, läuferisch extrem aufwendiges Offensivpressing betreiben würde, hierdurch zu Ballgewinnen kommen würde, hiernach blitzschnell umschalten, mit ihren schnellen Offensivspielern ausschwärmen und zu Torchancen kommen würde. Während Bender sich im Wesentlichen auf die Defensivaufgaben konzentrieren würde, war von Sahin zu erwarten, dass er das Dortmunder Kreativspiel lenkt und die Spitzen mit Vertikalpässen füttert. Die offensive Dreierreihe Barrios - so war zu erwarten - würde die Aufgabe haben, bei gegnerischem Ballbesitz unser Aufbauspiel konsequent zu stören, früh Druck auf die als wacklig verschriehene Abwehr auszuüben, mit Schweinsteiger unseren Regisseur zu bedrängen - kurz Offensivpressing in Reinkultur zu betreiben.

Was wollte van Gaal dem entgegensetzen? Bayern würde deutlich mehr Ballbesitz bekommen, Positionsspiel betreiben, versuchen, das Dortmunder Pressing zu umspielen (vulgärdeutsch: "Querpassorgie"), und wenn dies gelungen ist, durch schnelles Spiel über die Flügel oder den zwischen den Linien für Unruhe sorgenden Müller zu Torchancen zu kommen.
Voraussetzung hierfür war nicht nur die ballbesitzprozentuale Kontrolle des Gegners, sondern die tatsächliche Kontrolle des Zentrums, etwas was uns völlig abging.
Van Gaal begann mit Pranjic im ZM und Gustavo auf LV, häufig musste ich heute lesen, dies sei ein Fehler gewesen.
Jedoch ist Pranjic spielerisch deutlich besser, während Gustavos Defensivkünste links hinten gegen Götze gebraucht wurden und im Zentrum leergelaufen wären, da Dortmunds Offensivorganisation einerseits auf Sahin als deeplying playmaker beruhte, andererseits auf schnellem Umschalten nach Ballverlusten in unserem Aufbauspiel, die mit Gustavo - so die Theorie - in höherer Anzahl zu befürchten gewesen wären.

Unser Matchplan war gegen den BVb nicht vorneherein zum Scheitern verurteilt.

III. Das verlorene Zentrum

Warum aber waren wir im Zentrum unterlegen?
Für mich eine Mischung aus individuellen Unzulänglichkeiten, fehlendes eigenes Pressing der Offensivreihe und fehlende Umstellungen des Trainers während dem Spiel.

1. Individuelle Unzulänglichkeiten

Unfassbar viele Ballverluste im Aufbauspiel, in persona Schweinsteiger mit einem katastrophalen Fehler vor dem 1:0, Gomez mit einem Pass in den Fuß des Gegners vor dem 2:1. Und das waren leider nur die gravierenden Ballverluste, die bestraft wurden von Dortmund. Ansonsten Pranjic nicht existent im Mittelfeld, zweikampfschwach, Schweinsteiger katastrophal. Die Viererkette sah natürlich sehr unglücklich aus, das wäre bei einem nicht vorhandenen Zentrum jedoch ausnahmslos jede Abwehr der Welt.

Im Offensivspiel viele ungenauen Pässe, Ribery, der sich ständig festdribbelt, Robben, der teilweise von drei Gegnern bewacht werden kann, weil wir im Zentrum keine Gefahr aufbauten und Dortmund dort alles unter Kontrolle hatte.

2. Fehlendes eigenes Pressing der Offensivreihe...

...dürfte der zentrale Grund sein, wieso wir verloren haben. Während Dortmunds Götze, Lewandowski, Großkreutz, Barrios es vorgemacht haben, wie man das Zentrum des Gegners wirkungsvoll unter Druck setzt, unterließen Müller und vor allem Gomez jegliches Arbeiten gegen den Ball, jegliches Unterdrucksetzen des Dortmunder Zentrums. Wir standen in der Zentrale zwar nominell 2/3 gegen 2/3, jedoch waren in der Realität die sowieso schon leistungsschwachen Schweinsteiger und Pranjic alleine gestellt auf sich. Müller weniger und Gomez mehr ließen Sahin schalten und walten, wie er wollte, obwohl es ihre Aufgabe gewesen wäre, bei gegnerischem Ballbesitz den deeplying playmaker zu stören, während auf der anderen Seite Barrios und Lewandowski ackerten und rackerten, bis zum Ballverlust. Lediglich Ribery zeigte ansprechenden Defensiveinsatz auf unserer Seite.

3. Louis van Gaal während des Spiels

Auch van Gaal hatte leider nicht seinen glücklichsten Tag gestern. Während er in Mainz, nachdem Tuchel auf Raute umstellte und wir in der Folge wegen damals numerischer Unterlegenheit im Zentrum ins Schwimmen geraten sind, in der Halbzeit Gomez und Müller erfolgreich zu mehr Defensivarbeit anleitete, unterblieb dies entweder gestern, oder wurde von Müller/Gomez nicht umgesetzt (wahrscheinlicher). Dann muss van Gaal aber wechseln, und mit Kroos statt Gomez einen dritten zentralen Spieler bringen. Eine Umstellung bei Rückstand, die bei Misserfolg zwar in Stücke zerrissen worden wäre, aber das muss van Gaal egal sein.
Ebenso hätte Schweinsteiger frühzeitig ausgewechselt werden müssen.

Ausblick: Gegen Hannover ist jetzt ein Spiel, das über unsere Zukunft entscheidet. Mit 5 Punkten Rückstand auf Platz 3 bei noch 9 Spieltagen wäre in München kein Trainer zu halten, ein Umstand, der in meinen Augen - obwohl ich ein großer Befürworter unseres holländischen Systemscoachs bin - dennoch nachvollziehbar ist. Hoffen wir, dass es nicht soweit kommt, sondern dass wir vielmehr an unsere Leistung gegen Inter anschließen können - das in meinen Augen in Relation zur Stärke des Gegners - beste Spiel des FC Bayern München seit 2001. Aber allein, dass es in der Bundesliga so weit kommen musste, dass ein Spiel gegen Hannover über Wohl und Wehe des Vereins entscheidet, stimmt traurig.