oder:

Die Sünden der Vergangenheit

Ihr kennt das ja. Als neurotischer Fußball-Fan hat man so seine Phasen. In denen man ganz unerklärliche Dinge tut. Dinge, die man im Nachhinein so gar nicht mehr verstehen kann und mit einem verschämten Kopfschütteln ob der eigenen Wunderlichkeit zur Kenntnis nimmt. Die einen sympathisieren aus einer geradezu mystischen Laune des Augenblicks mit dem an sich so verhassten Erzrivalen. Die anderen beginnen plötzlich damit ganz seltsame Statistiken über die Ergebnisse des Hallenpokals zu führen. Und wieder andere melden sich dem eigenen Spieltrieb verfallend für gefühlte 30 Tippwettbewerbe im Internet an.

Nun kann es gut sein, dass Ihr die beschriebenen Phänomene gar nicht so gut kennt, wie ich es eingangs vorausgesetzt habe. Genau genommen wäre das auch nicht sonderlich erstaunlich. Schließlich habe ich die beschriebenen Auswüchse des Fandaseins keinesfalls in meinem eigenen Umfeld erlebt, sondern schlicht und einfach an mir selbst. Was den naheliegenden Schluss zulässt, dass es um meine geistige Reife – zumindest in Sachen Fußball – nicht sonderlich gut bestellt ist. Ich will dieser These auch gar nicht entgegentreten, sondern sie – im Gegenteil – mit einem weiteren Anschauungsbeispiel zu untermauern versuchen.

Denn dass ich aus einer Art euphorischem Aktionismus zu ganz sonderbaren Taten neige, zeigt auch das Beispiel aus dem Frühjahr 2004. Damals hatte meine Leidenschaft für meinen Lieblingssport mal wieder einen neuen Höhepunkt erreicht. Warum, weiß ich selber nicht so genau. Für meine Bayern lief es zu diesem Zeitpunkt nicht gerade besonders. Und so richtig spannend war das Meisterschaftsrennen, welches die Bremer am Ende recht souverän für sich entscheiden sollten, eigentlich auch nicht. Vielleicht war es einfach die Vorfreude auf die bevorstehende Europameisterschaft, die meiner Fußballbegeisterung in diesen Tagen zusätzliches Leben einhauchte. Vielleicht war es auch irgendetwas anderes. Vielleicht gab es auch einfach keinen Grund. Ich weiß es nicht. Was ich weiß, ist jedoch, dass mich eben jenes neu entfachte Fußball-Feuer dazu veranlasste, ein Fußball-Forum im Internet zu gründen. Welches denn auch passenderweise unter dem Arbeitstitel "Wir leben Fußball" stand und als Treffpunkt für alle leidenschaftlichen Fußball-Fans dienen sollte.

Zusammen mit einem Kumpel aus dem Schwabenland (man beachte die kulturelle Toleranz meinerseits) eröffnete ich dann im April 2004 das sagenumwogene Rudelbildung-Forum. Ein Schmelztiegel fußballerischer Emotionen, Erinnerungen und Empfindungen. Ein Anziehungspunkt für alle Freunde gelebter Fußball-Leidenschaft. Ein Sammelbecken an Anekdoten und Seitenblicken rund um die schönste Hauptsache der Welt.

Nun litt das gut gemeinte Projekt unter einem kleinen, aber doch so schwerwiegenden Geburtsfehler: Es interessierte keine Sau. Nun ja, um der Wahrheit die Ehre zu geben, sollte man nicht verschweigen, dass das Vorhaben zu Beginn recht gut lief. Bedauerlicherweise dauerte unser Beginn allerdings nur so zwei, drei Wochen. Dann war es mit der Herrlichkeit auch schon wieder vorbei und die ganze Geschichte entwickelte sich so allmählich in Richtung Rohrkrepierer. Was möglicherweise auch damit zusammenhängte könnte, dass die Idee eines Fußball-Forums ja nicht wirklich neu war. Auch im Jahre 2004. Denn schon damals sollen sich Fußballfreunde aus dem ganzen Land auf den diversen Plattformen der virtuellen Welt über Kick & Bolz ausgetauscht haben. Auch unser wohlmeinender Ansatz, im Sinne des Fußballkultur-Magazins 11 Freunde mehr auf die Randaspekte und die Geschichten neben dem Platz zu schauen, verlieh uns nicht die nötige Trennschärfe zu den etablierten Fußballseiten im World Wide Web. Und so war das schöne Rudelbildung-Projekt schnell zum Scheitern verurteilt, wurde aber gleichwohl erst im Jahre 2006 eingestellt.

Womit sich jetzt die Frage stellt, wieso ich Euch diesen ganzen nostalgischen Nonsens in epischer Breite präsentiere. Möglicherweise als Art autogene Psychotherapie zur Verarbeitung unbewältigter Enttäuschungen der Vergangenheit. Vielleicht. Vor allem aber wollte ich dieses ganze Rudelbildung-Projekt noch einmal wiederbeleben. Nein, keine Angst. Ich mache den gleichen Fehler nicht zweimal und werde hier nicht in hemmungsloser Fußball-Euphorie ein weiteres Forum eröffnen.

Aber ich habe – und das ist das Schöne an der Sache – besagtes Forum seinerzeit nicht gelöscht, sondern lediglich in ein Archiv umgewandelt. Was den unabweislichen Vorteil mit sich bringt, von Zeit zu Zeit nochmal ein wenig in den literarischen Ergüssen der Vergangenheit schwelgen zu können. Zugegeben, mein übereifriges Projekt aus dem Jahr 2004 lässt mir dann und wann die Schamesröte ins Gesicht steigen. Aber als Fußball-Fan muss man eben schmerzfrei sei und so etwas ganz einfach aushalten. Und so habe ich dieser Tage wieder ein wenig in meinem alten Forum geblättert. Bin auf so schöne Rubriken wie "Kommentatoren-Kokolores" gestoßen, in der wir die unzähligen Verbalinjurien der Reporterzunft zu archivieren versucht haben. Habe an den zum Teil kaum lösbaren Aufgaben des von mir selbst entworfenen Rudelbildung-Meisterschaft-Quizzes genknobelt, an dem seinerzeit natürlich keine Sau teilgenommen hat. Ließ mit argwöhnischem Naserümpfen das skurrile Trikotnummer-Spiel Revue passieren, in dem seltsame Grundschulaufgaben mit Hilfe der Rücknummern mehr oder minder bekannter Bundesligaprofies gestellt wurden. Bewunderte die Anfänge unseres herrlich schwachsinnigen Bulischianti-Tippspiels. Und dachte mir dabei dann: Irgendwie war's doch schön. Bescheuert, aber schön.

Als altersmilder Fußball-Fan will ich Euch damit folgendes mit auf den Weg geben:
Schämt Euch nicht! Steht zu Euren peinlichen Fehlautritten der Vergangenheit. Insbesondere wenn sie aus der Euphorie des Augenblicks geschehen sind. Das gehört dazu. Und irgendwie macht es uns bekloppte Fans doch noch menschlicher, als wir ohnehin schon sind.
Und ja, wenn Ihr Lust habt, schaut Euch dieses obskure Forum doch einmal an. Vielleicht findet Ihr ja noch etwas Schönes. Man weiß ja nie…

www.rudelbildung-forum.de.vu