"Die Realität lautet: Mein echter Name ist Joe, und ich lebe seit elf Jahren mit Leukämie. Und unglücklicherweise ist die Krankheit wieder da."

Selten hat eine Aussage für derartige Stille während einer WWE-Show gesorgt. Zuvor nahm noch alles seinen gewohnten Lauf: Der eine Teil der Fans feierte den WWE Universal Champion, der andere tat alles, um seinen Auftritt zu torpedieren und buhte ihn lautstark aus.

Doch mit seiner Promo, in der Roman - oder bleiben wir lieber bei Joe - seinen Titel abgab und sich vorerst aus der WWE zurückzog, um sich seiner wiederaufgetretenen Leukämie-Erkrankung zu stellen, die bei ihm erstmals als 22-Jährigem diagnostiziert wurde, zählt zu den schockierendsten und traurigsten Momenten der WWE-Geschichte.

In meinen SPOX-Artikeln außerhalb der Head-2-Heads schreibe ich üblicherweise nicht in der Ich-Form. Aber dieser Text erhebt keinerlei journalistischen Anspruch. Ich weiß nicht, was ihr gerade gemacht habt, als Leati Joseph Anoa'i Raw eröffnete - vielleicht habt ihr es nachts live geschaut, vielleicht erst am nächsten Abend nach der Arbeit? Oder vielleicht saßt ihr, wie ich, gerade beim Frühstück und wolltet euch noch kurz von der WWE unterhalten lassen, bevor ihr euch auf den Arbeitsweg machtet?

Ich hatte vieles erwartet, aber sicher nicht, gleich in Tränen auszubrechen. Ich hatte auch nicht erwartet, Colby Lopez und Jon Moxley (aka Seth Rollins und Dean Ambrose) auf der Raw-Rampe stehen und erfolglos mit den Tränen kämpfen zu sehen, bevor sie ihren langjährigen Weggefährten und Freund in die Arme schlossen. Es war furchtbar und auch einen Tag später ist es das noch.

Wrestling ist nur eine Sportart, richtig? Oder, wenn man dem obligatorischen Post unter jedem WWE-Artikel glauben darf, nicht einmal das. Aber was ist Wrestling dann eigentlich und wieso geht es einem erwachsenen Mann am anderen Ende der Welt, der leider noch nie das Vergnügen hatte, persönlich mit Joe zu sprechen, eigentlich so verdammt nah?

In meinen vielen Jahren als Wrestlingfan habe ich viel (passiv) miterleben dürfen und müssen, darunter neben zahlreichen schönen Momenten auch den Tod sämtlicher Helden meiner Kindheit, wie des Macho Man Randy Savage oder des Ultimate Warrior. Den viel zu früh erfolgten Tod von Eddie Guerrero, die bis heute unfassbare Doppelmord/Suizid-Affäre um Chris Benoit und die völlig aus dem Nichts kommenden Karrierenden von Edge und Daniel Bryan.

Jedes dieser Ereignisse hat geschmerzt. Sehr sogar. Weil Wrestling eben mehr ist als nur eine Sportart. Oftmals abgetan als Mix aus Action und Soap Opera für Männer, ist es eben genau dieser Aspekt, der einem Wrestling so nahebringen kann: Die Schmerzen und Emotionen sind echt - nicht nur für die Athleten, sondern in solchen Momenten auch für uns Fans. Ohne Empathie geht es nicht.

Man erlebt dank NXT mittlerweile mehr denn je diese Männer und Frauen von ihren Anfängen bis zu ihrem Karriereende und manchmal auch darüber hinaus. Man entwickelt durch die unzähligen Promos, Interviews, Backstage-Segmente, Hintergrundberichte etc. eine persönliche Bindung, die sich mit keiner regulären Sportart oder TV-Serie vergleichen lässt.

Das Konzept der WWE ist, einem die Superstars so nahe wie möglich zu bringen. Nur so kann ein Produkt, das dermaßen viel Content Woche für Woche, Monat für Monat, Jahr für Jahr produziert, funktionieren.

Und der Punkt ist: Es funktioniert tatsächlich! Das hat es immer und tut es noch, selbst wenn man vom Gesamtprodukt enttäuscht ist. Selbst wenn der Kader aktuell nicht die absoluten Lieblinge beinhaltet oder man generell Wrestling-Verdrossenheit entwickelt hat.

Die Wrestler sind stets präsent, manche sind sympathischer und andere weniger. Aber jeder regelmäßige Zuschauer hat seine Lieblinge, denen er an den Lippen hängt, zu denen er auch eine persönliche Zuneigung entwickelt hat und denen er nur das Beste wünscht.

Für mich war ein solcher Fall Daniel Bryan. Als er sein Karriereende verkünden musste und wenig später in Interviews schilderte, wie heftig die Folgen seiner zahlreichen Gehirnerschütterungen sich Tag für Tag zeigten, war ich am Boden zerstört und kurz davor, mit dem Thema Wrestling komplett abzuschließen.

Als Bryan überraschend in den Ring zurückkehrte, war es einer der schönsten Tage in meinem Leben als Wrestlingfan. Weil dieser unfassbar sympathische Mann es einfach verdient hat, gesund und glücklich zu sein. So empfinde ich es jedenfalls.

Gestern hingegen war einer der traurigsten Tage, ohne jede Frage. Joe hat im Laufe der Jahre auch von uns viel einstecken müssen, weil man Roman Reigns durchaus kritisieren kann, oder vielmehr: dessen Booking. Die Kritik war teilweise fair, aber teilweise auch nicht. Auch von letzterem Punkt kann ich mich mit Sicherheit nicht freisprechen.

In solchen Momenten realisiert man, worum es wirklich geht im Pro Wrestling. Wrestlingfans wollen immer diskutieren, immer alles haarfein bis ins letzte Detail analysieren und teilweise schießt man dabei über das Ziel hinaus. Denn Momente wie der am vergangenen Montag erinnern einen daran, was wirklich wichtig ist.

So viel Kritik Roman Reigns auch immer wieder einstecken musste - ich kann mich nicht erinnern, jemals etwas Negatives über Joe gelesen oder gehört zu haben. Er wird stets als ruhig, freundlich und hilfsbereit beschrieben, als harter Arbeiter, der immer versucht, besser zu werden. Was ihm auch ohne Frage Jahr für Jahr gelungen ist.

Dieser Eindruck wird unterstrichen durch die vielen Reaktionen seiner Kollegen und Freunde auf den Social-Media-Kanälen, die über das übliche "Get well soon" weit hinaus gehen. Wer dafür ein Beispiel sucht, braucht sich nur die Geschichte durchzulesen, die Aleister Black gestern Abend auf Facebook geteilt hat.

Wenn ich momentan an Joe denke, denke ich nicht an das Powerhouse im Ring, das Superman Punches und Spears verteilt, sondern an den Mann, der in einem Werbeclip zusammen mit seiner kleinen Tochter spielte und sang. Dieser Mann stellt sich nun zum zweiten Mal dem Kampf gegen die Leukämie. Für seine Familie. Für seine Freunde und Kollegen. Und auch ein wenig für seine Fans.

Daher bleibt mir nicht mehr, als abschließend zu schreiben: Gib dein Bestes, Champ! Ich kann es nicht erwarten, dich wieder zu sehen!