Mittwoch, 11.42 Uhr Mittags, Ford-Arena zu Wolfsburg.

Die Mannschaften sind kurz vor dem Einlaufen. Aus den Stadionlautsprechern dröhnt Synthesizermusik von Lucas Oldfield, dem Enkel von Mike Oldfield, "Tubular Bells XXV." Im Stadiontunnel stehen die Protagonisten beider Mannschaften bereit, in zwei Reihen nebeneinander. Ein Kameramann geht langsam an jedem einzelnen Spieler vorbei. Der Spieler den die Kamera gerade einfängt hebt ein Bein, so dass sein Fußballschuh auch gut zu sehen ist. Zur selben Zeit sehen die Zuschauer in China, Australien, Katar und Kanada den futuristisch anmutenden Schuh mit der Bildunterschrift :

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So geht es die nächsten 5 Minuten weiter. Als die Kamera endlich bei Korittke angekommen ist, hebt dieser teilnahmslos seinen Fuss und hält seinen Metall-Yellow-Power-Dragon vor die Linse. während er gedankenverloren zum Ausgang des Tunnels schaut.
Es ist der 41. Spieltag. Mein Gott, der FC Powerlaser Worms kann heute hier in der Ford Arena die Meisterschaft klar machen. Dass wäre ausgerechnet in der 75. Bundesligasaison das erste mal seit ..seit.. dem FC Bayern München damals. Ein Verein gewinnt alles was es zu gewinnen gibt. Oh man!
Damals gab es sogar noch richtige Schiedsrichter auf dem Platz! Man kam ohne Flugdrohnen aus. Nicht mal der Einführung eines Videobeweises wollte man damals zustimmen. Unvorstellbar eigentlich. Korittke schüttelt gedankenversunken mit dem Kopf.

"Korittke!" Eine Stimme erklingt von hinten.. es ist der Zeugwart. " Hände her, du bekommst noch deine TouchingBallElectro-Schocker(tm). Korittke streckt seine Hände aus, Die zwei hauchdünnen,netzartigen Handschuhe werden ihm über die Hände gestreift, die dazugehörigen Kabel durchs Trikot gezogen, an Hals, Oberarm und linkem Ohrläppchen befestigt. "So, fertig Korittke. Ab jetzt den Ball nicht mehr mit der Hand berühren! Du weißt bescheid. "

Klar weiss er bescheid. Schliesslich gehen diese Touch-Dinger nun schon in die 3. Saison. Man muss wissen, dass es seit der Einführung der "Alarmhandschuhe" kein nachweisbar unentdecktes Handspiel mehr gab. Freilich wurde das "nichtabsichtliche" Handspiel abgeschafft. So etwas gibt es nicht mehr. Man muss einfach aufpassen dass man die Kugel nicht an die Hand bekommt. Am 4. Spieltag nach Einführung passierte Korittke genau dieser Fauxpas zum ersten mal und er bekam einen ziemlich starken Stromstoss. Der durchströmte ca. 2 Sekunden lang die von den Leiterkabeln kontaktierten Stellen. Am meisten kribbelte es am Ohrläppchen. Kleine Funken -deutlich von aussen zu sehen- sprühten aus den Kabelenden. Wow! Korittke war damals erschrocken...aber auch irgendwie fasziniert. Es gab Freistoß für die gegnerische Mannschaft -- ohne Auswirkungen auf den Spielstand. Aber auf Korittke hatte es Auswirkungen! Nach diversen Handspielen am 7. 10. 19. 23. und 27. Spieltag der Saison konnte man mit Fug und Recht behaupten: Korittke war süchtig nach diesen Stromstössen. Sie verschafften ihm ein Kribbeln, wie es ihm die heißeste Werbebreak-Cheerleaderin auf diesem Planeten nicht verschaffen könnte. Glücklicherweise konnte er diese Sucht in den nächsten Saisons erfolgreich verbergen. Ein Handspiel hier, eine versehentliche Berührung des Balles dort.. meist ging es ohne Gegentor oder Platzverweis ab. Was solls.

Noch 7 Minuten bis zum Einlaufen. Dann wird es still im Stadion werden. Die 6 Schiedsrichter-Flugdrohnen werden jeden Spieler noch einmal kontrollieren. Touchsensoren richtig befestigt? Keine elektronischen oder manuellen Sprunghilfen unter den Schuhen? Herz-Rhytmus-Überwachungschips ordnungsgemäss implantiert?
Dann wird Nakahiro Fukosaki auf der Hyperlaser Harfe die Vereinshymne vom VfL Biogas Wolfsburg spielen.

Noch einmal schweifen die Gedanken von Korittke zurück. Wie war das damals eigentlich, als die Bayern noch alles beherrschten in der Bundesliga.. 2013/14? Anstosszeiten um 12 Uhr gab es ja damals auch schon, alerdings nicht in der Bundesliga. In Spanien .Italien...da hatte man die Zeichen der Zeit schon eher erkannt. Schliesslich wollte der Markt, in China beispielsweise, zufriedengestellt werden.
Früher entschied ein menschlicher Schiedsrichter und seine Assistenten noch alles. Muss man sich mal vorstellen: Die sollten alles mit ihren eigenen Augen sehen und in sekundenschnelle Entscheidungen treffen. Wie soll das gehen? Nun ja, wenn Korittke genauer darüber nachdachte könnte das schon machbar gewesen sein. Schliesslich neigt der Mensch dazu bestimmte Dinge zu perfektionieren, wenn er sie nur lange genug betreibt. Das heisst im Umkehrschluss, dass er auch bestimmte Fähigkeiten wieder verliert sobald er diese nicht mehr in Anspruch nehmen muss. Korittke sucht verzweifelt nach einem Beispiel... Aaah! Jetzt hat er eins: Die Navigationsgeräte damals! Nach einem unheimlichen Siegeszug in den Fahrzeugen der Menschen wurden sie schliesslich von den Regierungen dieser Welt einstimmig verboten. Denn immer mehr Menschen verloren ihre Orientierungsfähigkeit. Damals, 2021 im Februar, gab es die Navi-Verbrennungen in jedem Land der Erde. "Tag der Zerstörung aller Naviagationsgeräte der Welt wegen Volksverdummung" wird der 07.Februar seither immer genannt. Korittke zog gedanklich ein Fazit: Heutzutage würden menschliche Schiedsrichter gar nicht mehr funktionieren, weil mangels Notwendigkeit ihre früheren Fähigkeiten total verkümmert sind. Genauso wie damals die Fähigkeit -selbst bei Berufskraftfahrern- von zu Hause bis zur nächsten Tankstelle ohne Navi zu finden.

Und was war damals eindeutig besser war als heute? Zum Beispiel die Spiellänge. Früher war ein Ligaspiel nach spätestens 110 Minuten (incl. Halbzeitpause) gegessen. Heute kommt man nicht unter 3 Stunden weg. 2 Halbzeiten gibt es zwar immer noch, allerdings gibt es eben zusätzlich die gesetzliche 10 minütige Werbepause vor den "Last 5" -- den jeweils letzten 5 Minuten einer Halbzeit. Dazu werden online Werbebreakzeiten noch während des laufenden Spiels versteigert . Und je nachdem wie spannend so ein Spiel sich entwickelt, steigen oder fallen die erzielten Preise.
Dann hat jedes Team mittlerweile 4 Auszeiten zur Verfügung, in denen zum Beispiel die Taktik neu besprochen werden kann. Jedesmal wenn im Spiel irgendwas passiert, wird die Zeit durch die Zeitdrohne angehalten. Videos werden eingespielt, so dass die Zuschauer im Stadion und an den Empfangsgeräten jede Entscheidung ganz genau nachvollziehen können.
Alles in allem dauert eine Halbzeit ca. 75 Minuten. Das macht so ein Fussballspiel natürlich zu einem nachmittag,- oder abendfüllendem Event. Dafür gibt es auch täglich mindestens ein Spiel. An den Wochenenden immer drei pro Tag - 12 Uhr, 16 Uhr und 20 Uhr.
Kein Tag mehr ohne Bundesliga. 22 Mannschaften wollen im Terminplan eben untergebracht werden.

Eine Drohne überfliegt den Kopf von Korittke. an den Greifarmen der Spielball. Es geht los. Unter den Klängen der Hyperlaser-Harfe betreten die Mannschaften den Rasen. Um den Mittelkreis schwebt noch ein metallic-grüner Ford Marsianus. Der Rasen im Mittelkreis fährt plötzlich auseinander und das Auto verschwindet bis zur Halbzeitpause in den Katakomben des Stadions. Nachdem die Mannschaftskapitäne die bunten Hologramme mit den Vereinslogos getauscht haben gibt es noch die Seitenwahl. Wer hat Anstoss? Wer spielt wo lang? Die Entscheidung wird - jetzt wirds wild - durch Münzwurf entschieden! Hier wurde im übrigen Tradition als Grund angegeben.
Dann eröffnet die Spielführerdrohne mit einem lauten, sirenenartigen Ton das Spiel.. Es geht los. Drei Punkte und Worms ist durch, Meister der Saison 2037/38! Was wäre das für ein Wahnsinn.

Das Spiel plätschert vor sich hin. In Halbzeit eins wird die Taktik von beiden Trainern andauernd über den Haufen geworfen, verändert, wieder geändert. Alle 4 Auszeiten sind schon nach 29 Netto Spielminuten verbraucht. Und auch in den folgenden 11 Minuten bis zum ersten Mega-Werbebreak passiert nichts mehr. Als die ersten "Last 5" anbrechen steht es noch 0:0. Kein aussergewöhnlicher Spielstand im allgemeinen in der Liga. Einige Kritiker behaupten ,es läge an den viele Unterbrechungen : Kein Spielfluss - wenig Tore. Nun ja, reine Spekulation findet Korittke. Wie oft hat er nach einer Auszeit schon ein überraschendes Tor erzielt. Er war schnell und konnte phasenweise aufkommende Konzentrationsmängel der gegnerischen Spieler schonmal ausnutzen.
Aber in dieser ersten Halbzeit sollte nichts mehr passieren. Und auch Halbzeit 2 entpuppte sich als ziemlich langweilig. Die Werbespots zur letzten "Last 5 Pause" gingen für schlappe 40.000 cr./30 Sekunden über den Tisch. So wenig wie lange nicht mehr.
Dann brachen die letzten 5 Minuten endlich an. Korittke hatte schon seit einer halben Stunde keine richtige Lust mehr. Würden sie eben die Meisterschaft im letzten Heimspiel am nächsten Dienstag klar machen.
20 Sekunden noch auf der Zeitdrohne, Korittke steht am eigenen Elfmeterpunkt und erwartet eine hohe Flanke der Wolfsburger. Der Ball kommt auf ihn zugeflogen. Genau auf ihn zu..: "Nur wegköpfen!" denkt er. Aber er weiss, dass er das nicht tun wird. Zu groß ist die Sehnsucht nach dem Kick..diesem Kribbeln wenn der Stromstoss kommt. Er hatte das schon seit 5 Spieltagen nicht mehr. Er MUSSTE die Hand einfach ausstrecken und den Ball berühren. .............JETZT!

Mit hängenden Köpfen verlassen die Wormser das Spielfeld. Korittke ist als erster im Spielertunnel und auch unter der Dusche.
Das letzte Saisonspiel wird er von draussen verfolgen müssen. Sofort nachdem er den Ball absichtlich mit der Hand berührte, sprühten die Funken aus den Verbindungskabeln seines Touch-Melde-Handschuh"s. Die Sirene erklang und die Spielleitererdrohne änderte ihre Farbe augenblicklich von silbergrau in leuchtendes rot. Ein elektronisches Schriftband erschien auf den großen Anzeigetafeln des Stadions: Nr.09 , Korittke , Platzverweis wegen Handspiels, min. 89:51!
Zu alle Überfluß wurde der fällige Elfmeter auch noch verwandelt.

Jetzt muss man das letzte Spiel aller Voraussicht nach wirklich gewinnen. Und er, Korittke wird nicht dabei sein. Und alles nur weil er süchtig nach diesem Stromstoss ist. Nach diesem aufregenden Kribbeln.
Immer noch unter der Dusche stehend - die anderen sind fast alle schon auf dem Weg zum Mannschaftsgleiter - huscht ihm ein zufriedenes Lächeln übers Gesicht. "Egal wie es heute ausgegangen ist, das war es wert"

Geföhnt, die Vereinsuniform angezogen und alles in allem im reinen mit sich und der Welt begibt sich Korittke zusammen mit Peschel, der auf ihn noch gewartet hatte, auf den Weg zum Gleiter.
"Oh verdammt.... ich muss nochmal zurück!" Er gibt Peschel einen Klaps auf den Rücken. "Geh schon mal vor, ich muss den Ball noch holen. Kein Ball - kein Fernsehen heute abend." Ja, seit sich die Studenten der Future-Universität das mit dem Ball als Stromspeicher haben einfallen lassen , können Fussballer sich selbst ein gutes Gefühl bescheren, indem sie nach einem Match oder nach dem Training den Spielball per Kabel an den Fernseher oder den Herd anschliessen und den gespeicherten Strom verwenden. Gyroskopischer Mechanismus der die Energie speichert und dann in Elektrizität umgewandelt werden kann.. Genial! So spart man eben Strom. Da sagt mal noch einer früher war alles besser... tzzzzz....