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Blogpokal 2013/2014


Gründer: RoterBulle92 | Mitglieder: 58 | Beiträge: 25
05.01.2014 | 3851 Aufrufe | 17 Kommentare | 7 Bewertungen Ø 7.4
Eine andere Perspektive
Jeff vom Takatuca-Clan
Wenn eine andere Sichtweise unsere Wahrnehmung verändert.












Samstagabend irgendwo in Deutschland. Am Mittag startete das Flugzeug aus Windhuk in Namibia. Wir sind zurück im kalten Deutschland. Mit an Bord: Jeff. Sein wirklicher Name ist unaussprechlich, deshalb beschränken wir uns einfach auf die Kurzform und der Tatsache, dass er Stammeshäuptling des Takatuca-Clans ist. Vollkommen isoliert von der Außenwelt lebte er seine bisherigen 40 Lebensjahre im entlegensten Winkel Namibias. 40 Jahre lang nichts außer Wüste. Vorgestern hat er das erste Mal weiße Menschen gesehen, gestern ist er das erste Mal in seinem Leben in ein Auto gestiegen und heute ist er auf einem anderen Kontinent, in einem anderen Land, in einer anderen Welt. Er ist hier, weil er die Faszination Fußball kennenlernen will. Genau genommen, war das nicht sein Wunsch. Es war mein Wunsch.







Warum gerade Jeff aus dem Takatuca-Clan?

Er hat keine Vorurteile. Er ist völlig voreingenommen. Viel mehr noch: Er wird es nicht begreifen können, warum 22 Menschen gegen einen Ball treten, Tausende dabei zuschauen und Millionen vor einem Kasten mit bunten Bildern sitzen und Getränke aus dunkelgrünen Flaschen trinken. Wie erlebt er wohl dieses Spektakel der 90 Minuten, das so viele Menschen in seinen Bann zieht?

Holen wir einmal kurz aus.

Lasst uns ehrlich sein: Wir sind doch alle manipuliert von den Einflüssen, die jeden Tag auf uns einströmen. Ich rede nicht nur von den fetten Bild-Überschriften. Wir sind geprägt von der westlichen Kultur, von unseren Eltern, vom Umfeld in dem wir uns bewegen. Von den Gesprächen, die wir jeden Tag führen und von den Artikeln, die wir jeden Tag lesen. Wir sind geprägt von der Zeit in der wir leben, vom Verein, dem wir beistehen und von der Einstellung, die wir vermeintlich in uns tragen. Auch wenn wir es nicht wahrhaben wollen: Wir sind alle völlig voreingenommen und höchst subjektiv. Keiner hat einen Anspruch auf die richtige Meinung - es ist alles nur eine Frage unserer Erfahrungen, der Perspektive und unserer Wahrnehmung. Welche Wahrnehmung Jeff - unser Stammeshäuptling des Takatuca-Clans - wohl hat.

Wie durch ein Wunder hat er binnen kürzester Zeit die deutsche Sprache erlernt.

Jeff: Also was hat es denn jetzt mit diesem Fußball - wie du es nennst - auf sich?
Ich: Fußball ist eine Sportart. Wir machen Sport, um uns mit anderen zu messen. Guck mal, ihr macht doch immer diese Hühnerkämpfe, oder?
Jeff: Ja. Selbst von weit entfernten Stämmen machen sich regelmäßig die Massen auf, um dem Spektakel beizuwohnen.
Ich: Siehst du. So ein Ereignis ist auch der Fußball für die Menschen hier. Genau wie eure Hühnerkämpfe. Mit dem Unterschied, dass wir nicht jedes Mal auf ein anderes Huhn setzen, sondern wir sozusagen ein Lieblingshuhn haben.
Jeff: Das wäre bei uns gar nicht möglich. Die Hühner werden ja nach den Wettkämpfen rituell geopfert.
Ich: Hier ist das ein wenig anders. Jeder hat sein Lieblingshuhn. Das wäre so, als wenn ihr in Wettkämpfen die Hühner eures Stammes gegen die Hühner eines anderen Stammes antreten lassen würdet. Aber es ist noch komplizierter. Stell dir vor, alle Besucher müssten 1 Sack Getreide mitbringen, um die Hühnerkämpfe besuchen zu dürfen.
Jeff: Warum sollten wir das verlangen? Das ist doch ein Ereignis für die Gemeinschaft. Außerdem haben viele gar nicht so viel Getreide.
Ich: Ja, das ist hier ähnlich. Manche bringen sogar eine ganze Kamelladung Getreide mit, um sich dieses Ereignis aus einer besseren Position anzuschauen. Oft sind diese Menschen von einem Oberclan, die vor allem andere Menschen aus noch anderen Oberclans treffen wollen, um Geschäfte zu machen.
Jeff: Um noch mehr Getreide anzubauen?
Ich: Jaja, so ähnlich. Aber das würde jetzt auch zu kompliziert werden. Weißt du was? Wir gehen einfach mal zu so einem Fußballspiel hin.
Jeff: Haben wir denn genug Getreide dafür?
Ich: Ja, das habe ich schon vorher alles online - ähm, ja - das Getreibe wurde schon da hingeliefert.

Gar nicht so einfach, Dinge zu erklären, die man für selbstverständlich hält. Aber das war ja noch relativ einfach. Wie soll ihm denn erst klar werden, was es mit den Riten im Fußballstadion auf sich hat? Wie soll ich ihm erklären, warum so viele Menschen Einfluss auf den Fußball nehmen wollen? Wie soll ich all die Dinge erklären, die aus unserer Wahrnehmung selbstverständlich sind?

Jeff: Vor langer Zeit kam ein alter Mann auf einem Kamel zu uns angeritten und hat von großen, prächtigen und überdimensionalen Bauten erzählt. Er nannte es Pyramiden. Kein Bauwerk sei größer. Sind das hier die Pyramiden?
Ich: Nein, Jeff. Das hier sind nicht die Pyramiden. Das, was du vor uns siehst, nennen wir Stadion. Aus den großen Türmen kommt das Licht, damit alle Menschen das Ereignis auch bei Dunkelheit sehen können. Jeff, ich bin hier jedes zweite Wochenende. Das ist sozusagen mein Lieblingshuhn.
Jeff: Was ist ein Wochenende?
Ich: Achja, klar. Also immer wenn Halbmond und Vollmond sich abwechseln ungefähr. Wir gehen jetzt hier durch, lassen uns kontrollieren und suchen unsere Plätze. Das Spiel geht bald los.

Wenige Minuten später im Sicherheitsbereich des Stadioneingangs: Jeff hält die Karte vor das Lesegerät, wie ich es ihm gezeigt habe. Er geht auf die Ordner zu und folgt den Anweisungen der Sicherheitsleute. Ihm ist die Verwirrung deutlich anzumerken, aber er hat augenscheinlich Spaß an dem fremden Ritual.

Jeff: Der nette Mann findet mein Häuptlings-Stab so interessant. Ich glaube, er möchte auch so einen haben. Er hat mich die ganze Zeit gefragt, wo ich den her habe und was ich damit hier mache. Ich glaube, er wollte einfach auch nur einen längeren Stab haben. Der in seinem Gürtel war ja viel kleiner. Ich hab ihm einfach meinen gegeben, aber so richtig zufrieden sah er trotzdem nicht aus.
Ich: Das hätte ich dir vielleicht vorher sagen sollen. Wir dürfen keine Sachen mit ins Stadion nehmen, die eine Gefahr für die Sicherheit darstellen könnten.
Jeff: Ich weiß. Viele denken, ich könnte mit dem Stab Leute verfluchen, aber das stimmt ja gar nicht. Der Stab ist völlig sicher.
Ich: Nein, so meine ich das nicht. Der Stab könnte als Wurfgeschoss benutzt werden.
Jeff: Werfen? Warum sollte ich meinen Stab denn wegwerfen?
Ich: Lass gut sein, Jeff. Das ist eine sehr spezielle Sache hier. Ich bin mir sicher, der Sicherheitsmann wird sich sehr gefreut haben über deinen Stab.
Jeff: Vielleicht können wir ihn ja mal zu unseren Hühnerkämpfen einladen.
Ich: Jaja, sicher Jeff. Komm, wir gehen weiter.

Die Spieler laufen ein, das Spiel beginnt. Jeff schaut sich erstaunt um und beachtet das Spiel nur peripher. Ich wüsste gerne, wie das alles auf ihn wirkt.

Jeff: Warum tragen die Menschen eigentlich alle die gleichen Gewänder?
Ich: Jeff, stell dir vor, jeder eurer Zuschauer hätte ein Lieblingshuhn und eure Frauen würden extra für den Kampf Lendenschürzen mit dem Symbol eures Lieblingshahns verteilen. So ähnlich läuft das auch hier. Man bezieht Stellung, in dem man ein bestimmtes Gewand trägt.
Jeff: Und warum laufen hier so viele Menschen mit Ganzkörperschutz herum? Ist denen kalt? Und warum dürfen die einen Stab tragen und ich nicht?
Ich: Denen ist nicht kalt. Das sind Polizisten, die für die Sicherheit im und außerhalb des Stadions sorgen. Im Ernstfall müssen diese Polizisten eingreifen und Streitereien auflösen. Das hier ist nämlich ein Hochsicherheitsspiel, bei dem wir uns befinden. Stell dir vor, es würden zwei Hähne aufeinandertreffen, die sich gar nicht mögen. Hier gibt es das auch. Also wie ein Hochsicherheitshühnerkampf im Prinzip. Und weil so ein Hochsicherheitshühnerkampf ein gewisses Risiko birgt, hat der Oberhäuptling entschieden, dass hier viel mehr Polizisten sein sollen, als sonst.
Jeff: Und wofür sind nun diese Stäbe gut?
Ich: Damit wird den Menschen im Notfall der Frieden eingeprügelt.
Jeff: Warum befürchten die Häuptlinge denn, dass die Sicherheit gefährdet sein könnte? Die Menschen kommen doch hier hin, weil sie das Ereignis so schön finden, um mit anderen Menschen zusammen zu sein und die Menschen auf den Rasen zu unterstützen.
Ich: Schau mal da rüber, Jeff.

Ein Pyro wird gezündet. Jeff schaut freudig in die Fankurve.

Jeff: Sind das Rauchzeichen, um mit den anderen Menschen zu kommunizieren?
Ich: Ja, so könnte man es sagen. Doch den Oberhäuptlingen und Polizisten gefällt das gar nicht. Das ist nämlich verboten.
Jeff: Aber die Leute wollen sich doch nur ein bisschen wärmen. Alle Menschen rund um das Feuer freuen sich auf einmal - viel mehr als eben noch. Wenn wir in unserem Dorf ein Feuer machen, sitzen wir alle ganz nah dran, singen dabei Lieder oder erzählen uns Geschichten.
Ich: Das Singen wird hier mit dem Feuer auch immer lauter, aber man darf es nicht mehr. Früher war es sogar lange Zeit erlaubt, aber man hat die Befürchtung, dass Menschen durch das Feuer Schaden nehmen könnten.
Jeff: Wenn ich Geschichten von den fernen Ländern weitab unseres Dorfes gehört habe, ging es immer um Furchtlosigkeit, Macht und Größe. In Wirklichkeit habt ihr ganz schön viel Angst hier.
Ich: Ja, Angst ist ein großes Thema hier. Alle Menschen gucken sich die Rauchzeichen an, die jeden Tag in den Himmel geblasen werden. Da geht es hauptsächlich um Angst. Angst vor Terror, Angst vor krebserregenden Stoffen, Angst vor Banken, Angst vor Gewalt, Angst vor allem. Die Menschen fühlen sich nicht mehr sicher, obwohl sich nicht viel verändert hat. Deswegen müssen wir alles, was nur im entferntesten eine Gefahr ausstrahlt, glattschleifen.
Jeff: Ich sage meinen 12 Söhnen immer: Kinder, wenn ihr im Busch einem Raubtier begegnet, zeigt ihm bloß nicht eure Angst. Tiere spüren das.
Ich: Danke für das Bildnis, Jeff. Genauso ist es auch hier. Angst ist kein guter Ratgeber. Und das, was als Sicherheit verkauft wird, verstärkt meist nur die Angst. Ich glaube, die Häuptlinge, Oberhäuptlinge und die anderen Menschen da hinten in der Kurve solltest du alle mal zu einem eurer Hühnerkämpfe einladen. Die könnten noch ganz schön viel von euch lernen.
Jeff: Ich und meine Dorfbewohner würden ein großes Fest veranstalten. Mit Schlangenaugensuppe, Hühnerdärmen und allem was dazu gehört.
Ich: Sehr schön, Jeff. Ich glaube, es ist jetzt auch Zeit zu gehen. Die Leute hinter uns gucken schon so komisch.

ø 7.4
Tags:
Jeff
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KOMMENTARE
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dreihundertsechzig
06.01.2014 | 14:47 Uhr
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06.01.2014 | 14:47 Uhr
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Ok, war mir sicher, dass ich in den Regeln gelesen habe, dass das erlaubt ist. Trotzdem ist es natürlich auch jedermanns eigene Sache, wie er dazu steht und es bewertet. Urlaub und Feiertage ließen leider keine komplette Neukreation zu.
Im übrigen ist es auch kein 1:1 Copy-Paste. Ende Dezember 2012 habe ich es anlässlich der Veröffentlichung des neuen Sicherheitskonzepts geschrieben - aus diesem Grunde auch abgewandelt.
Wer sich davon überzeugen möchte, findet es hier:

http://fankultur.com/blog/360-pass/item/1035-jeff-vom-tacatuca-clan-eine-andere-perspektive

Also Arbeit steckt da schon drin ;)
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Voegi
MODERATOR
06.01.2014 | 14:36 Uhr
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Voegi : 
06.01.2014 | 14:36 Uhr
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Voegi : 
absolut gelungen, schöner seitenblick. aber mich stört's schon ein bisserl, dass der blog ja nicht neu und schon anderweitig veröffentlicht ist... blogpokal sollte schon irgendwie exklusiv sein... von daher... leider:

mein urteil:
gnanag 2 punkte
karrramba 1 punkt
dreihundertsechzig 0 punkte
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dreihundertsechzig
06.01.2014 | 13:23 Uhr
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06.01.2014 | 13:23 Uhr
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Danke! Ich hätte es auch gerne noch erweitert, aber da mir die Länge im letzten Triell beinhe zum Verhängnis geworden wäre, habe ich mich mal etwas kürzer gehalten.

Im besten Fall gibt's aber noch einmal etwas von Jeff und seinen Kollegen zu lesen ;)
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ausLE
MODERATOR
05.01.2014 | 20:02 Uhr
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ausLE : 
05.01.2014 | 20:02 Uhr
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ausLE : 
Ein ganz starkes Ding 360°!!!
Ich hätte aber gerne noch weitergelesen.
Halbzeit, Tore, Foulspiele, gelbe oder rote Karten usw.

im Notfall der Frieden eingeprügelt.

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Karrramba
MODERATOR
05.01.2014 | 19:04 Uhr
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Karrramba : 
05.01.2014 | 19:04 Uhr
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Karrramba : 
Haha.. Klasse.
Meine Gladbacher waren ja auch fein ziemlicher Hühnerhaufen noch vor wenigen Jahren. Aber schon da waren sie mein "Lieblingshuhn"
Schöne Idee dreihundertsechzig - und gut umgesetzt.
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dreihundertsechzig
05.01.2014 | 18:26 Uhr
1
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05.01.2014 | 18:26 Uhr
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Frohes Neues!
Das Dingen hier ist mein Beitrag zum Blogpokal.
Meine Gegner sind folgende:

Karramba: http://www.spox.com/myspox/group-blogdetail/Korittke-s-Sehnsucht-nach-dem-Ball,204841.html

und

Gnanag: http://www.spox.com/myspox/group-blogdetail/Alleine,204902.html

Auf ein spannendes Triell!
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Lahm hat vollkommen recht. Mal wieder. Ähnliches las man damals ja schon als
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