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Blogpokal 2012/13


Gründer: Rodnox | Mitglieder: 55 | Beiträge: 9
Von: Gnanag
05.06.2013 | 6688 Aufrufe | 58 Kommentare | 14 Bewertungen Ø 8.9
Ein Abgesang
In allem ein Gigant
Halbfinale Blogpokal
Seltsam, diese Zuneigung zu Menschen. Egal wie tief sie fallen, egal was sie getan haben, wenn man sie wirklich mag, lässt man sie nie los.

Er hat etwas getan, was niemand je von ihm erwartet hätte.

Und man fragt sich: Was hat er sich dabei gedacht? Wieso hat er es getan?

Das habe ich mir lange überlegt.

Ich weiß es nicht. Wusste er in seinem Zockerrausch nicht mehr, was er eigentlich tat? Wollte er es nicht wissen? Verdrängte er es? Viele unbeantwortete Fragen.

Und er schweigt. Muss schweigen. Darf zu einem laufenden Verfahren nichts sagen.

Ist Steuerhinterziehung moralisch gesehen ein Verbrechen? Vom juristischen Standpunkt her ja, aber vom moralischen? Für viele kommt es darauf an. Darauf an, wer hinterzieht. Der kleine Mann, der Mittelständler, kaum jemand würde den Stab über ihnen brechen. Aber der Großkopferte, der Reiche, er hat doch genug, bei ihm ist es fragwürdig und lässt einen mehr als schalen Geschmack zurück.

Und Uli Hoeneß? Wie wirkt sich dieser Fall eigentlich auf diejenigen aus, die ihn am meisten verehren. Die Bayern-Anhänger, die nur wegen ihm begannen, auch den Verein zu lieben.

Was denken sie?

Uli Hoeneß fasziniert mich trotz hinterzogener Millionen noch immer, obwohl er so tief und endgültig gefallen ist. Eigentlich fasziniert er mich nun nur noch mehr.

Warum fragt ihr, warum soll er immer noch faszinierend sein? Nach allem, was er getan hat? Wieso ihn immer noch unterstützen, ihn immer noch bewundern? Was soll an einem gewöhnlichen Steuerhinterzieher noch interessant sein?

Eines der großartigsten und überwältigendsten Bücher, die ich je gelesen habe, war Stefan Zweigs epochales Werk: Die Welt von Gestern. Ein Abgesang auf eine untergegangene Welt, auf ein vergangenes Zeitalter.


Der großartigste Satz in diesem Buch, dieser Rückschau seines unendlich dramatischen und reichen Lebens, findet sich auf der letzten Seite. Dort, wo er ein Fazit zieht, das Fazit eines Lebens, das begann in der Wärme und Sicherheit der habsburgischen Monarchie, durch die Lebenslust der großen europäischen Metropolen tanzte und Inflation und Krise und die zwei schlimmsten Kriege der Menschheitsgeschichte erfuhr um dann in einer der dunkelsten Stunden der Menschheitsgeschichte die Welt zu verlassen.

Er wurde vertrieben, hat viel und oft geliebt und sich ebenso oft getrennt, hatte Erfolg und wurde geschmäht, war gefeiert und geächtet, Zuhause und verbannt. Ihm wurde aus dem Füllhorn des Lebens alles, aber wirklich alles zuteil.

Und dennoch sagte er am Ende seines Lebens, als alles vorbei war, dennoch sagte er diesen einen, diesen faszinierenden Satz:

Nur wer Helles und Dunkles, Krieg und Frieden, Aufstieg und Niedergang erfahren, nur der hat wahrhaft gelebt.

Mich hat dieser Satz seit dem ersten Lesen bewegt und er hat mich seitdem immer begleitet. Und vor wenigen Wochen trat er mir nun erneut ins Bewusstsein.

Nein, Hoeneß ist kein Zweig, bestimmt auch kein Literat und er hat schon gar keine Kriege erlebt, keine Vertreibungen, keine Staatenlosigkeit. Aber das dahinterliegende Prinzip, das Moment der Aufwühlung, der Extreme, der gewaltigen, seismischen Veränderungen in einem Leben, der Punkt, der alles auf den Kopf stellt und sich für immer ändert, dieser Punkt scheint mir auch auf ihn, wenn auch unvergleichlich kleiner und geringer, zuzutreffen.

Hoeneß hat alles selber zu verantworten, es sind keine externen Gewalten, die ihm dieses Schicksal aufgezwungen haben. Und dennoch, und dennoch fühle ich mich bei ihm immer an diesen Satz von Zweig erinnert.

Sein Weg hat tief unten begonnen, im Nichts der schwäbischen Provinz, der Gewöhnlichkeit der einfachen Leute. Dann ist er aufgestiegen wie ein Komet, aus eigener Kraft, aus eigenem Geschick, durch außergewöhnliches Wissen, Ehrgeiz und Kraft. Er erschuf ein Imperium, sein Name wurde zum Donnerhall. Sein Weg mit dem FC Bayern war ein Weg voller Dornen, Rückschlägen und manchmal existenzbedrohenden Kämpfen. Aber er führte ihn in unerreichte Höhen, in den Olymp zu den Bedeutenden unserer Welt. Und dann, dann nach unzähligen Jahren, als alles gekrönt ist, als ihm die Welt, die Mächtigen, als ihm alle zu Füßen liegen, fällt er.

Fällt tief.

Unendlich tief.

Stürzt von seinem eigenen, hohen Sockel ins Bodenlose.

Und während die Menge seinen Sturz mal geifernd, mal gehässig, mal gleichgültig und nur selten mitleidig begleitet, stehe ich als großer Freund, als tiefer Bewunderer dieses Mannes ratlos dabei, sehe dem Stürzenden zu und denke, denke trotz allem:

Ecce Homo, siehe, was für ein Mensch!

Was für ein Mensch in seiner Größe, was für ein Mensch in seinen Fehlern. Ihm war es nicht nur bestimmt zum Giganten zu werden, sondern auch gigantisch zu scheitern. Ihm wurde alles gegeben, was er gefordert hat durch Willen und Kraft und mit dem Schnipsen eines Fingers, in dem Hauch eines Augenblickes hat er sich kurz vor dem größten Triumph, vor der Krönung des Werkes, selbst alles genommen.

Wie kann er ihn immer noch verteidigen, dieser verblendete Fan, denkt ihr euch? Wie kann er sein Idol immer noch glorifizieren, blind ob der dunklen Seiten?

Ich entschuldige ihn nicht, ich spreche ihn nicht frei von seinen Taten. Und doch, so absurd es auch klingen mag, verdammen könnte ich ihn deswegen nie.

Denn er ist so groß in seiner Menschlichkeit und zwar in jedem Sinne des Wortes. Menschlich in der Wärme, in der Emotion, in Wut und Vergebung und so unendlich menschlich in den Fehlern. Rechthaberisch und aufbrausend, laut und unüberlegt und den Fallen und Tiefen des menschlichen Lebens so nah. So außergewöhnlich und gleichzeitig so wie jeder andere auch.

Er hätte thronen können, für viele Jahre, unantastbar, unerreichbar, umschwänzelt von Honoratioren, von den Speichelleckern und falschen Freunden.

Aber ihm geschieht das Gewöhnlichste, das Allerbekannteste, ihm geschieht das, was wir alle kennen, in irgendeiner Form. Wer von uns ist noch nicht gefallen? Irgendwo? Irgendwann? Irgendwie? Wer hat noch nicht mal das verloren, was ihm alles bedeutet hat, ist in eine Situation gelangt, die ausweglos schien, wer von uns hat sich noch nicht durch eigene, verantwortungslose Fehler Schuld aufgeladen und musste reumütig zu Kreuze kriechen? Wer von uns ist noch nie gefallen?

Nur ist es bei ihm riesig, so wie er riesig ist, und wie unter einem Brennglas stürzt er tausendmal vergrößert, für alle zu sehen. Riesig waren seine Worte, seine Rechthaberei und der mahnende Finger, riesig ist nun der Hohn und tief der Fall.

Und er leidet. Er leidet. Wie er leidet. Selbstverschuldet. Selbsteingebrockt. Aber er leidet. Bitter und hart.

Und ich würde am liebsten zu ihm, ihm die Hand geben und ihn wissen lassen, dass sein Monument, sein Vermächtnis immer noch steht. Das im diffusen Nebel der Anschuldigungen, der zerbrochenen Bilder und Illusionen das Wichtigste, der Kern seines Lebens, nicht vergessen, nicht verloren wird.


Er ist kein Heiliger, auch wenn er das oftmals vorgab, er ist fern jeder Perfektion, weil er fern jeder Gewöhnlichkeit ist. Er ist das Exemplarbeispiel eines Menschen, der alles erlebt, erfühlt, erträumt, erstrebt hat. Der vor den Toren der Götter stand und dann wie Ikarus unendlich fiel.

Sein Leben ist ein Beispiel der Intensität, des Gefühls, der reinen Emotion. So wie Stefan Zweig es vor langer Zeit formulierte, so gilt es noch heute. Nicht kalt und angsterfüllt sondern mit großem Mut und voller Inbrunst hat er gelebt. Sich gestürzt in die Arena des Lebens und alles, die Höhen und Tiefen, alles erfahren.

Seine Kämpfe waren zahllos, seine Niederlagen zerschmetternd, seine Siege unendlich, die Triumphe glorios. Seine Freundschaften tief, seine Feindschaften bitter. Und seine Fehler, seine Fehler, sie waren viele. Es waren viele und es waren große, so wie er groß war.


Noch weiß niemand, wo der Fall endet, noch weiß niemand, welche Triumphe und Abgründe das Leben für ihn noch bereithält.

Nur eines ist sicher.

Am Ende, wenn der Vorhang fällt, dann wird auch für ihn, neben all der Häme, der Bewunderung, der Verachtung und Belobigung der Satz gelten, den Stefan Zweig vor vielen Jahren im dunkelsten Moment seines Lebens schrieb und er wird sich einreihen in den Kreis derer, die alles, aber wirklich alles erfahren haben:

Nur wer Helles und Dunkles, Krieg und Frieden, Aufstieg und Niedergang erfahren, nur der hat wahrhaft gelebt.
KOMMENTARE
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Gnanag
11.06.2013 | 22:38 Uhr
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Gnanag : 
11.06.2013 | 22:38 Uhr
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Gnanag : 
Ich hatte heute übrigens eine Epiphanie!

Mit dieser Musik wird Spox, sämtliche Blogs und Artikel schlichtweg episch. Erst heute habe ich damit den 187 Lewandowski Artikel gelesen und beinahe bei jedem Kommentar vor Ergriffenheit geweint
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Gnanag
11.06.2013 | 22:31 Uhr
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Gnanag : 
11.06.2013 | 22:31 Uhr
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Gnanag : 
Kein Problem

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gerosimo
11.06.2013 | 21:28 Uhr
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gerosimo : 
11.06.2013 | 21:28 Uhr
-1
gerosimo : 
Ich werde das S(chn)äbel-Rasseln mit Dir zum jetzigen Zeitpunkt nicht fortsetzen, da ich mich erst Voegi-frei schreiben muss ...

Irgendwann hatte ich in den Kommentaren versehentlich geschrieben, dass Du es verdient hättest, ins Finale zu kommen ... sorry dafür ...
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Gnanag
11.06.2013 | 20:27 Uhr
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Gnanag : 
11.06.2013 | 20:27 Uhr
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Gnanag : 
@gerosimo: Vorsicht! Bei Enten mit gelben Schnäbeln handelt es sich um eine bedrohte Tierart!

Außerdem werde ich sogar eigenhändig mit den Panzerknackern fertig, also sieh dich vor
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Schnumbi
11.06.2013 | 19:45 Uhr
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Schnumbi : 
11.06.2013 | 19:45 Uhr
-3
Schnumbi : 
@ Gnanag: ich helfe dir

aber alles hat seinen preis
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gerosimo
11.06.2013 | 19:44 Uhr
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gerosimo : 
11.06.2013 | 19:44 Uhr
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gerosimo : 
Es wäre mir eine große Freude, Dir nächste Woche in Deinen vorlauten Bürzel zu treten ...
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MikeInBrazil
11.06.2013 | 19:37 Uhr
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11.06.2013 | 19:37 Uhr
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Frontal 21
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Gnanag
11.06.2013 | 18:06 Uhr
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Gnanag : 
11.06.2013 | 18:06 Uhr
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Gnanag : 
Bei dem Kölner mache ich mir keine Sorgen, der hat erst gerade in Las Vegas seine Ersparnisse mit leichten Damen und Koks verjubelt und der Community-Chef, eeieieie, wenn ich da Bestechlichkeit wittere rückt aber ruckzuck Frontal 21 an
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MikeInBrazil
11.06.2013 | 18:02 Uhr
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11.06.2013 | 18:02 Uhr
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Vielleicht zahlt dein Gegner auch einfach mehr, dann bringen dir auch die Chinesen nix
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Gnanag
11.06.2013 | 17:58 Uhr
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Gnanag : 
11.06.2013 | 17:58 Uhr
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Gnanag : 
Dieser verdammte Pokal wird von Runde zu Runde teurer

Ich schau mal auf Ebay was die Chinesen für ne Stimme verlangen, wenn ich Glück habe kann ich den Mike outsourcen
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