Ich stehe vor einem sehr schwierigen Sonntag.

Da schenke ich einem Hannoveraner Urgestein und 96-Fan aus frühesten Tagen der Kindheit doch tatsächlich zum Geburtstag ein Ticket für das Spiel gegen den Effzeh ... auf dem Platz neben mir ...

Sein Geburtstag ist heute ... noch weiß er nichts von seinem Unglück ... natürlich weiß er im Unterbewusstsein längst, dass es abseits seines Jahrestages nichts zu feiern geben würde ... aber er war ja schon beim 4:0 gegen Lüttich im Niedersachsenstadion - da wird er eine verdiente 0:3-Niederlage schon hinnehmen können ... Dass er sie aber auch noch live von der Haupttribüne in epischer Breite erleben muss - das ahnt er dann doch nicht ...

Niemand würde auf die Idee kommen sich an seinem Schlüpftag in Müngersdorf an einem Heimspieltagsnachmittag auf einen Kaffee zu treffen ... zumindest nicht ohne die völlige Sicherheit, dass es direkt danach Kölsch, Fussball und Kölsch gibt ...

In Hannover ist das anders. Da trifft man sich zentral in der Stadt, umarmt und beglückwünscht sich ... ich ihm zum Purzeltag, er mir zu drei Punkten ... ich spreche meine Glückwünsche aus, seine empfange ich als Schwingung ... man trinkt wie vereinbart einen Kaffee, geht ein paar Schritte durch den Park und am Maschsee entlang ... und ist vollkommenst ungeplant urplötzlich direkt an der AWD-Arena, aus der irgendein Lärm erklingt ... Hannover ist anders ...

Seinen Wusstest-Du-dass-heute-96-gegen-Köln-spielt-Blick, gepaart mit dem Wollen-wir-uns-das-Spiel-in-irgendeiner-Kneipe-anschauen-Gesichtsausdruck, beantworte ich wortlos.

Sekunden des Schweigens, wie nur Männer es können, beende ich mit einem Griff an mein Halfter und ziehe ... zwei Karten ... Haupttribüne ... Mitte ... Blicke treffen sich ... Ausdruck wahrer Männerliebe ...

... auf den fairen Wettkampf ... auf einen tollen, gemeinsamen Abend ... auf ein gutes Spiel ... und Hannovers Niederlage ...

Immerhin werden nur drei von vier Halbsätzen ausgesprochen. Es ist ja sein Geburtstag ...

Hoppla, da ist ein FC-Trikot unter meiner Jacke! Auch ein FC-Schal kommt wie aus dem Nichts zum Vorschein. Man könnte meinen ich sei vorbereitet ... Worüber er sich freut, als er vom Ordner abgetastet wird, ist mir zunächst schleierhaft. Dann wird mir klar, dass er die Schwingungen versteht und sich mit mir über Platz 10 nach dem Spieltag freut. Männer müssen nicht jeden Gedanken verbalisieren, damit der andere ihn versteht ...

Das Bier hier ist besser als gar kein Bier ... Mit dem zweiten Becher sind wir uns einig, dass Fortuna Düsseldorf nichts in der Bundesliga verloren hat ... Bier schafft Einigkeit ... Das dritte Sportgetränk schafft es mit uns bis zum Sitzplatz ...

ERSTER FUSSBALL CLUB KÖLN ... hallt es von rechts zu uns rüber ... dieses Gefühl der Einigkeit im Stadion ... immer wieder aufs Neue einmalig ...

Diese gemeinsame Gewissheit des Sieges ... von - nun ja - 45.000 Menschen ... erhält die erste Bestätigung, als Rensing mit seinen getreuen Abwehrrecken gezielt den Ball in den eigenen Fünfmeterraum abtropfen lässt und wartet, bis ein 96er kommt, um noch größere Freude im Gesicht meines Kumpels auszulösen ... gut, die Kölner Hintermannschaft hätte die Geschenkeübergabe etwas professioneller aussehen lassen können - aber das wäre dann wohl doch zuviel verlangt ...

Natürlich weiß ich, dass "Der Mann mit der eisernen Maske" sein Lieblingsfilm ist ... Geschmacksverirrung zieht sich manchmal durchs ganze Leben und hört nicht bei der Wahl der präferierten Ball-Kick-Truppe auf ... meine Güte kennt keine Grenzen und zeigt den Director's Cut in der Szene, wie Ludwig der XIV. seinem Volk Frieden und Wohlstand brachte ... neudeutsch ein 1:1 zur Halbzeit ...

Vier Bier balanzierend mache ich mich wieder auf zum Sitzplatz und stelle auf dem Weg dorthin fest, dass es unsagbar viele FC-Fans auf der Haupttribüne gibt, die alle mit mir anstossen wollen ... also ... mit dem Pils in meinen Händen ... Echte Fründe ... Kölsch Jeföhl ... und so ... schon klar!

Zur vollen Spielstunde überlegt Nova noch, ob er denn wirklich ins leere Tor schießen dürfe, wenn die Eintrittskarte doch ein Geburtstagsgeschenk ist - und entscheidet sich folgerichtig für ein schauspielerisch hochwertiges Totalversagen ... Auch das Schiedsrichtergespann möchte sich an den Präsenten beteiligen und erschafft aus dem Nichts einen Elfmeter, der den versprochenen Drei-Tore-Vorsprung einleitet ...

Objektiv ein schönes Spiel ... subjektiv einer der schönsten Geburtstage des bisherigen Lebens - also für ihn ... noch subjektiver ist der Tag heute irgendwo falsch abgebogen ...

Noch ein Bier? Bevor ich mich schlagen lasse ...