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Formel 1


Gründer: santiagodiaz | Mitglieder: 116 | Beiträge: 60
06.05.2013 | 3522 Aufrufe | 2 Kommentare | 2 Bewertungen Ø 5.5
In those days: GP Spanien 2001
Fortunas Launen
Erinnert ihr euch?
"So grausam kann Motorsport sein", haderte Norbert Haug, nachdem das Unfassbare eingetreten war. Das eigentlich irrationale Desaster des Letztrunden-Dramas, welches in Barcelona vor zwölf Jahren neu kulminiert wurde.

Mika Häkkinen suchte eine Schulter zum Anlehnen. Michael Schumacher gab sie ihm. Der tatsächliche und der moralische Sieger des Grand Prix von Spanien 2001 trafen sich im Parc fermé, kurz vor der Siegerehrung, und sie begegneten sich dort nicht nur, sie widerlegten in diesen flüchtigen Momenten vielleicht endgültig die Mär vom feindseligen Rivalen der Rennbahn. Häkkinen musste getröstet werden. Er war am Boden. Und er war sensibel. Wenn man es nicht besser gewusst hätte, wäre man der festen Überzeugung gewesen: Zu sensibel für das knüppelharte Formel-1-Business, das keine Freunde kennt und erst recht keine Fehler. Viel zu sensibel.

Doch irgendwie konnte der Finne etwaige Störfaktoren stets fruchtbar kanalisieren, sobald er den Helm aufsetzte und ins Auto kletterte. Nichts schien leichter zu sein. Er war zweifacher Weltmeister.

Nun aber war kein Helm zur Stelle und auch kein Auto, womit er die Emotionen bändigen konnte wie überforderte Gegner. Nun war Häkkinen allein, im Stich gelassen von der Technik und dem Gutdünken höherer Mächte. Da legte Schumacher den Arm um seinen Lieblingsrivalen und flüsterte ihm warme Worte ins Ohr. Häkkinen lächelte, gequält. Er trat vor die Mikrofone, weil sein Vertrag es so verlangte. Im Grunde gab es für ihn keine lästigere Pflicht an Grand-Prix-Wochenenden. Sogar im Anschluss an Siege. Und in diesem Augenblick des Unfassbaren brauchte er für jeden Satz noch länger als sonst: "Ich bin mit den Nerven fix und fertig. Ich kann es nicht glauben. Es hätte heute ein Feiertag werden können. Ich musste nicht mal alles geben und bin zum Schluss spazieren gefahren." Häkkinen schüttelte den Kopf, halb nach Wörtern trachtend, halb nach Verständnis. Fündig wurde er nicht.

Wenigstens der Schumacher'sche Sportsgeist besaß das Vermögen einer kleinen Aufheiterung: "Das war eine tolle Geste von Michael", nickte Häkkinen. "Er hat mir gesagt, dass es ihm leid tut, unter solchen Umständen gewonnen zu haben und dass der Sieg mir gehört." Wieder stockte die Stimme. Häkkinen senkte sein Haupt. Big Boys Don't Cry.

Zwei Grandseigneure der Formel 1

Mika Häkkinen und Michael Schumacher hatten über die Jahre an ihrer Legendenbildung gefeilt. So leidenschaftlich sie auf der Strecke miteinander kämpften, so siegesbesessen sie ihre Hightech-Geschosse um die Kurse prügelten, nie zurücksteckend, bis ans äußerste Limit zirkulierend - genauso ehrwürdig und stilsicher verhielten sie sich im gegenseitigen Umgang. Also immer dann, wenn das Cockpit nicht mehr als eingekesselte Zelle des Wahnsinns bei 300 Sachen herhielt. Die beiden Doppelweltmeister waren zwei Grandseigneure der Formel 1.

Seit 1998 hatten der McLaren - und der Ferrari-Pilot die meisten Siege unter sich arrangiert. Die Titel sowieso. Zwei zu eins für Häkkinen lautete die Bilanz, 2000 war es dem unermüdlichen Deutschen endlich gelungen, der Scuderia ihren ersehnten Fahrerweltmeister zu bescheren, nach 21 unerträglichen Jahren der Dürre. Der GP Suzuka 2000 ging als leuchtende Sternstunde des Motorsports in die Geschichtsbücher ein, dieses brillante Rennen, das Häkkinen und Schumacher zu einem Duell unter Champions hochexerziert hatten, und das den Kerpener am Ende als glorreichen Weltmeister sah. Für die Saison 2001 hegte das silberne Lager Revanchegelüste. Häkkinen schmerzte der missglückte WM-Hattrick. Es sollte von Neuem beginnen, beim Punkt null, mit dem Kampf der Titanen.

Früh aber deutete sich an, dass daraus nichts werden sollte. Der schweigsame Blonde durchlebte eine Odyssee des Schlamassels, die ihren Ursprung in der maladen Technik des ohnehin chronisch defektanfälligen McLaren-Mercedes hatte. Aus den ersten vier Rennen holte er kümmerliche vier Punkte, während Schumacher zwei Grand Prix für sich entscheiden konnte. Er reiste als Führender nach Spanien. Zwei Wochen zuvor hatte Bruder Ralf in Imola seinen Premierensieg in der Formel 1 gefeiert. In Brasilien war David Coulthard der Mann des Tages gewesen, und der langjährige Häkkinen-Abschirmjäger schickte sich plötzlich an, aus dem übermäßig wirkenden Schatten des vom Pech verfolgten Finnen zu treten.

Ungeachtet des Negativtrends trumpfte das Nordlicht im Qualifying auf wie zu besten Zeiten. Gerade 0,085 Sekunden fehlten ihm auf Schumacher, der die Pole Position eroberte. Die zweite Reihe zeigte ein spiegelverkehrtes Bild: McLaren vor Ferrari, Coulthard vor Rubens Barrichello. Ralf Schumacher klassifizierte sich als Fünfter, Jordan-Pilot Jarno Trulli komplettierte die Top Six.

Aufwachen, Herr Villeneuve!

In Barcelona wurden erstmals seit 1993 wieder elektronische Fahrhilfen zugelassen. Traktionskontrolle oder Startautomatik mischten sich als geheimnisvolle Variablen unter die Teams. Bei den Wintertests hatte McLaren vorzüglich abgeschnitten - ein Erfahrungswert, der am Sonntag in fieser Bumerang-Manier angeflogen kam und die Musterschüler mitten ins Gesicht traf. Als die 22 Wagen in die Formationsrunde rollten, blieb David Coulthard stehen. Motor abgewürgt, ein Problem mit der Software. "Es hätte viele treffen können, weil die Systeme nicht so funktionierten wie erwartet", zürnte der Schotte hinterher. Mika Häkkinen im Übrigen löste sich geschwind und geschmeidig aus den Startblöcken...

Außer "DC" forderte die heimtückische Elektronik den Skalp von Heinz-Harald Frentzens Jordan - beim Rennstart. Es war schieres Glück, dass die brenzlige Situation eines stehenden Autos im brüllenden Tohuwabohu keine Konsequenzen nach sich zog. Frentzen aber fiel weit zurück und meinte bald darauf eine Lücke zu erspähen, wo keine war. Der eliminierte Lokalmatador Pedro de la Rosa hatte Mühe, seine Freude im Zaum zu halten.

Dafür wussten andere zu gefallen. BMW-Williams-Novize Juan-Pablo Montoya zum Beispiel, der sich vom elften auf den sechsten Platz verbessert hatte. Besonders tollkühn gestaltete er ein Manöver gegen den nicht eben zimperlichen Jacques Villeneuve (BAR-Honda). Immerhin: Für den Kanadier war es ein Koffein-Ersatz zur rechten Zeit: "Das weckte mich auf. So war ich für den Rest des Rennens hellwach", grinste Jacques später.

David Coulthard hingegen gelangte vom Regen in die Traufe. Im Übermut rasierte er sich den Frontflügel ab, musste notgedrungen an die Boxen hechten und seine Aufholjagd von Neuem beginnen. Derweil setzten sich Schumacher und Häkkinen rasch von der Verfolgergruppe ab. Barcelona-typisch, riss es die Zuschauer allzu selten aus den Sitzen - der Grand Prix wies Wesensmerkmale einer Prozession auf. Da gereichte es zum erfreulicher Zufall, dass ein junger Spanier seine Landsleute vor der mittäglichen Siesta bewahrte. Ein weitgehend unbekannter Minardi-Pilot namens Fernando Alonso drängelte frech im Rückspiegel des etablierten Benetton-Fahrers Giancarlo Fisichella. Das Volk auf den Rängen johlte. David Coulthard beobachtete das Treiben im Logensitz und erquickte sich weniger daran.

Silberner Servierteller

Michael Schumacher behielt seine Führung auch nach dem ersten Boxenstopp-Reigen, baute sie in der Folge auf vier Sekunden aus und nahm offenbar einen weiteren souveränen Sieg ins Visier. Hätten nicht ein Ausfall von Ralf und ein paar spärliche Positionswechsel in der Tempo-80-Zone für Unterhaltung gesorgt, das Rennen wäre kurz vor dem Erlahmen gewesen. So aber hielten die Schlusssequenzen eine Portion Action bereit, die keiner mehr erwartet und, um ehrlich zu sein, in dieser Form der Dramaturgie auch niemand benötigt hätte.

Um die flankierende Zierde vorweg zu nehmen: Montoya sollte seinen ersten Podiumsplatz erringen und Zweiter werden. Villeneuve würde als Dritter erstmals seit dem GP Ungarn 1998 auf dem Treppchen stehen. Wer als Erster durchs Ziel huschte? Diese Frage beantwortete Fortuna mit einem mürrischen Schwenk der Laune.

Zunächst schlitterte der vermeintlich unantastbare Leader Schumacher in Schwierigkeiten. Kurz nach seinem zweiten Stopp brachen seine Rundenzeiten drastisch ein. Wie sich herausstellte, wurde der Weltmeister von heftigen Vibrationen am Vorderreifen geplagt: "Ich dachte, der explodiert gleich!" Bis zu fünf Sekunden büßte er pro Runde ein. Ein silberner Servierteller für Häkkinen, der mühelos die Spitzenposition erbte. Der Finne genoss das abstinent gewordene Gefühl des ersten Ranges, die frohlockende Aussicht auf die Zieldurchfahrt, den Pokal, den Champagner, die WM-Punkte. Er war Zentimeter davor, seiner achtmonatigen Sieges-Durststrecke ein Ende zu setzen.

"Ehrlich, so willst du nicht gewinnen..."

Es war die letzte von 65 Rennrunden, die allerletzte, und Häkkinen hatte einen Puffer von 40 Sekunden. Schumachers Bestreben beschränkte sich nurmehr darauf, den angeschlagenen Ferrari nach Hause zu manövrieren. Doch plötzlich schlug die Mercedes-Crew in der Box entsetzt die Hände über den Köpfen zusammen. Der McLaren wurde langsam. Es qualmte aus dem Heck, Funken sprühten. Durfte das denn wahr sein? Welches Spiel führte das Schicksal nun wieder im Schilde? Mika Häkkinen versuchte verzweifelt, den Wagen abseits der Ideallinie um die Biegungen zu steuern, die Flucht nach vorne anzutreten. Er hoffte, er bangte, er betete.

Vergebens. Häkkinen registrierte die Sinnlosigkeit seines Unterfangens. Und rollte ins Gras. Kupplungsschaden. Beschwörend riss er die Hände gen Himmel. Die Fans erhoben sich, applaudierten in sympathischer Zuneigung und mitleidender Attitüde. David Coulthard gabelte den Untröstlichen auf und brachte ihn zurück ins Fahrerlager. Dort empfing ihn Michael Schumacher.

"Ehrlich, so willst du nicht gewinnen", bekannte der Ferrari-Pilot, und er erweckte dabei nicht den Eindruck von heuchlerischem Hohn. "Mika", japste indes Norbert Haug, "Mika hat heute alles richtig gemacht. Aber so grausam kann Motorsport sein."

Bildquelle: spox.com
KOMMENTARE
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RoyRudolphusAnton
09.05.2013 | 17:22 Uhr
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09.05.2013 | 17:22 Uhr
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Vielen Dank fürs Lob. Das Video hab ich mir auch reingezogen Ich war und bin Schumacher-Fan, aber so etwas wünscht man natürlich keinem. Weil Häkkinen auch so ein untadeliger Sportsmann war. Habe ihn immer sehr gemocht. Sein Rücktritt am Ende der Saison 2001 riss eine große Lücke
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Skillionaire
08.05.2013 | 09:28 Uhr
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08.05.2013 | 09:28 Uhr
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Sehr schöner Blog, hat mir sehr gut gefallen. Lässt einen wunderbar in Erinnerungen schwelgen! Ich musst mir direkt das Video anschauen. Hier der link: https://www.youtube.com/watch?v=W97rNDB0x6U
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