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FC Bayern München


Gründer: Tobi | Mitglieder: 965 | Beiträge: 253
06.04.2011 um 05:00 Uhr
Geschrieben von Gotti1963
FCB-Augenblicke (VII)


Ich möchte euch heute aus einer Zeit erzählen, die heute soweit weg scheint, wie das Mittelalter...
Telefone standen im Flur, oder in Papas Arbeitszimmer, waren meist grau, und hatten Wählscheiben. Mobile Kommunikationseinheiten kannten wir nur aus der Ur Star Trek Serie, wenn Captain Kirk dem Chefingenieur Scotty mitteilte, daß das Außenteam von Rana IV auf die Enterprise zurückzubeamen sei, und last but not least, hieß das www damals Arpad Net, und war der 1., strenggeheime, bescheidene Versuch von US Miltärwissenschaftlern, Rechner, welche so groß waren wie 3 stöckige Häuser, miteinander zu vernetzen.
Ich erzähle vom 27.September 1980

An (k)einem Tag wie jeder Andere

An diesem Tag stand das absolute Spitzenspiel der BL an, der HSV reiste als Tabellenführer nach München, die beiden Teams standen mit jeweils 12:2 Punkten klar vorne, getrennt durch ein paar Törchen, außerdem war Oktoberfest, und alle waren elektrisiert.
Ich lebte damals noch in meiner unterfränkischen Heimat, und war gerade mal 17 Jahre alt. Wir hatten rechtzeitig 50 Karten geordert, einen Bus organisiert, und um 04.30 Uhr war take off.
Ich hatte beschlossen, die lange Busfahrt nach Minga zu nutzen, um noch eine Mütze voll Schlaf zu nehmen, und war so richtig am Pennen, als ich durch aufkommende Hektik im Bus geweckt wurde. Ein Blick auf die Uhr sagte mir, es war 06.09 Uhr. Der Busfahrer hatte sein Radio an, und die 6 Uhr Nachrichten des BR hatten etwas von einer Explosion am Oktoberfest gemeldet. Viel mehr war noch nicht bekannt. Eine Liveschaltung zum Ort des Geschehens wurde für 6:30 angekündigt. Der B3 Reporter vor Ort sprach dann von mehreren Verletzten, nahm das Wort "Anschlag" in den Mund, von einer Unterbrechnung der Wiesn war die Rede, und angeblich, wollten sich die Verantwortlichen des FC Bayern und des HSV um 7.30 im HSV Hotel treffen, um über die Austragung des Spiels zu sprechen.
Heute würde man per I POD mal schnell im www gucken, auf youtube wären schon Videos, und man könnte direkt mal bei der Bayerngeschäftsstelle anrufen, aber damals... Keine Hände, keine Kekse!
Inzwischen berichteten alle BR Radiosender nur noch vom Ort des Geschehens, das Radio war unsere einzige Informationsquelle, der Bus fuhr inzwischen weiter Richtung bayerischer Süden. Immer mehr schreckliche Details kamen zur Sprache, die Zahl der Opfer stieg quasi minütlich (letztendlich, waren es 13 Tote und 211 Verletzte!), die Hinweise auf einen rechtsradikalen Anschlag verdichteten sich immer mehr, aber gegen 9.00 Uhr kam die Nachricht, daß das Oktoberfest weitergeht, und auch das BL Spiel ausgetragen wird. "Wir weichen nicht der Gewalt..."
Was tun? Weiterfahren, zur Wiesn und zum Spiel gehen, als sei nix gewesen? Heimfahren? Allgemeine Ratlosigkeit... Es wurde abgestimmt, und eine ziemlich klare Mehrheit votierte für Weiterfahren!
Gegen 11.15 erreichten wir den damaligen Busparkplatz in der Hansastraße, und pilgerten Richtung Theresienwiese, der Anschlag war ganz in der Nähe des Haupteinganges gewesen, und zu diesem Zeitpunkt etwa 13 Std. her.
Als wir dort ankamen, hatte sich eine große Menschenmenge versammelt, viele beteten, manche weinten, fast alle schwiegen, in mir kämpften Trauer, Wut, Verzweiflung und Resignation miteinander.
Auch ich habe gebetet, und mit einem Mal erschütterten mehrere, schrecklich laute Knallgeräusche die herrschende Stille... Oh mein Gott, der nächste Anschlag!? Neben mir stand eine mir völlig unbekannte, ältere Dame, in deren Gesicht ich pure Panik lesen konnte, und einen Eindruck bekam, wie ich wohl gerade ausgesehen habe, mir ist das Herz in die tiefsten Regionen gerutscht, viele Menschen haben fluchtartig den Ort verlassen, anderen standen wie angewurzelt an ihrem Platz...
Zum Glück kam schnelle Entwarnung, es war 12 Uhr Mittag geworden, und niederbayerische Böllerschützen hatten es krachen lassen... Es war eben business as usual! Seit diesem Moment weiß ich, was Angst, Schrecken und Panik ist.
Auf einen Wiesnbummel hatten wir dann keine Lust mehr, wir verzogen uns Richtung Innenstadt, und tranken im Augustiner am Dom ein paar Edelstoff, bevors Richtung Oly ging...
Das Spiel hielt alles, was man sich von einem Spitzenspiel erwarten kann, die Roten aus München, und die Rothosen aus Hamburg gehörten damals aber auch zur absoluten creme d'la creme des europäischen Vereinsfussballs.
Das Oly war pickepacke voll, und die Bayern gingen durch Kalle R. in der 62. in Führung. Diesen Megahammer aus etwa 20 M. hätten auch 3 Torhüter im HSV Kasten nicht gehalten. Eine Klassemannschaft wie es der HSV damals war, schüttelt sich da mal kurz, und spielt weiter nach vorne. Der Ausgleich in der 67. durch Dressel (ehemaliger Glubberer, ganz aus der Nähe meiner Heimat), war absolut verdient.
Die Roten standen aber den Hamburgern, was Klasse und Abgezocktheit anbelangt, in Nichts auch nur ein Jota nach... Das Spiel wollten beide definitiv gewinnen, und als Udo Horsmann in der 86. links auf und davon marschierte, von der Grundlinie eine Flanke zurück zum 11er zog, und Auge mit seinen fast 90 Kilo urbayerischer Kraft und Gewalt in diese Flanke flog, krachte der Ball ins rechte Eck von Steins Tor, und das Oly explodierte... (Dieses Wortspiel hätte ich mir schenken sollen...)
Fußball kann so schön sein!!! Der FC Bayern wurde am Ende der Saison auch klar vor dem HSV Deutscher Meister!
Für einen, kleinen Moment war es ein Tag wie jeder andere, die knapp 80000 im Oly hatten für 2 Std. alles andere ausgeblendet, man konnte kurz mal durchschnaufen, und nur Fußballfan sein.
Doch schon in der Ubahn holte uns die Realität wieder ein, auch die HSV Fans waren echt betroffen, und zum feiern und Party machen, war Niemandem zu Mute.
Wir wollten ursprünglich mal, um Mitternacht wieder Richtung Heimat starten, aber dieser Plan war schon längst nicht mehr aktuell. Auf Grund der Umstände, hatten wir vereinbart, daß Alle spätestens um 20 Uhr am Bus sind, ,und danach die Rückreise angetreten wird. Wir kamen auch mehr oder weniger pünktlich los...
Das Spiel, welches ich im Oly habe live erleben dürfen, war so toll, daß ich diesen Tag sowieso nie vergessen hätte, aber wenn ich heute mit dem Abstand von über 30 Jahren, an den 27.09.1980 zurückdenke, werde ich vorallem sehr melancholisch, die Ereignisse der Nacht zuvor, bestimmen meine Erinnerungen, und das wirklich tolle Spiel verblasst dagegen sehr. Aber trotzdem, wird dieses Spiel, und natürlich auch der Tag um dieses Spiel herum, für mich immer ein FC Bayern Augenblick bleiben.
Ich bin sehr froh, daß ich durch diese Blog Serie (vielen Dank Skim!) die Möglichkeit hatte, meine Erinnerungen an dieses Ereignis mit Euch zu teilen...

GEGEN TERRORISMUS; EGAL AUS WELCHER ECKE; EGAL AUS WELCHER IDEOLOGIE; EGAL AUS WELCHER RELIGIÖSEN VERBLENDUNG!!!
Aufrufe: 9475 | Kommentare: 23 | Bewertungen: 33 | Erstellt:06.04.2011
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KOMMENTARE
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phil29
10.04.2011 | 19:04 Uhr
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phil29 : Erinnerung
10.04.2011 | 19:04 Uhr
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phil29 : Erinnerung
Sehr guter Beitrag, der mir ans Herz ging. Ich war an jenem Abend auf der Wiesn und habe auf dem Rückweg die Krankenwagen gehört und gesehen. Bekomme immer noch Gänsehaut, wenn ich mir vorstelle, ich hätte den anderen Eingang genommen. Zum ersten Mal seit Jahren haben meine Eltern zu Hause auf mich gewartet, weil sie wussten, wo ich den Abend verbracht habe.
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ryknow
09.04.2011 | 19:37 Uhr
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ryknow : 
09.04.2011 | 19:37 Uhr
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ryknow : 
Ein Augenblick der gut zeigt, wie nah Extase und absolute Tiefpunkte zusammen liegen können!

Aber schön das ihr wenigstens in den 90Min, auf sie sich alle so gefreut haben, einfach nur Fußballfans sein konntet!
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Gotti1963
08.04.2011 | 19:50 Uhr
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Gotti1963 : 
08.04.2011 | 19:50 Uhr
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Gotti1963 : 
Moment, Moment, die Wiking Jugend pflegt(e) nur Traditionen, Michael Kühnen war nur ein Patriot, und Werwolf hat es eigentlich ja nie gegeben.
Die Kameradschaften und die jungen Nationaldemokraten tun nur etwas für die politische Bildung. Und Dr. Frey ist ein angesehener Verleger der Nationalzeitung. Die NPD und die DVU sind die Stimme des guten deutschen Bürgers, und die Republikaner sind eine demokratische Partei am rechten Rand.
Und by the way: Die Erde ist eine Scheibe...
Diese ganze rechten Brunnenvergifter sind so was von harmlos...
Ich kann gar nicht soviel trinken, wie ich kotzen möchte!!!
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giovane
08.04.2011 | 12:16 Uhr
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giovane : 
08.04.2011 | 12:16 Uhr
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giovane : 
@gotti: ja, tatsächlich. iwi hatte ich´s mal wieder verdrängt, aber jeder wies´n-besuch (über den haupteingang) oder blog wie deiner weckt ein gewisses unwohlsein.

bzgl. hoffmann. ist echt unglaublich, daß man ihm nichts nachweisen konnte. dann flieht er plötzlich in den libanon (warum nur?) und darf jahrzehnte später bei uns vorträge halten.......

unser rechtssystem mutet manchmal schon seltsam an.

apropos "Seine Wehrsportgruppe war angeblich nur eine Trainingsmöglichkeit für junge Leute, um bei Krisensituationen zu überleben...": wie zb werwolf m. kühnen oder die wikingjugend, gell.
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Donovan
08.04.2011 | 08:56 Uhr
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Donovan : 
08.04.2011 | 08:56 Uhr
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Donovan : 
Unser Telefon war grün

An das Spiel kann ich mich nicht erinnern, lag da noch in der Fruchtblase. Man konnte mich erst 6 Tage nach dem HSV-Spiel dazu bewegen das Licht der Welt zu erblicken.

Von mir gibt´s 10 Punkte, ich liebe alte Geschichten... auch wenn diese nicht grad positiv ist...
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Büchsenmacher
08.04.2011 | 07:17 Uhr
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08.04.2011 | 07:17 Uhr
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Starker Blog Gotti !

diese Sache mit dem Anschlag war mir komplett neu !
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Gotti1963
08.04.2011 | 06:35 Uhr
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Gotti1963 : @giovane
08.04.2011 | 06:35 Uhr
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Gotti1963 : @giovane
Hi
Du warst noch viel mehr dabei und davon betroffen, wie ich...
Mannomann!
Habe übrigens rein zufällig diese Woche Herrn Hoffmann im Fernsehen gesehen. Er hat in der Nähe von Nürnberg über irgendein ein Thema bei irgendeiner Organisation einen Vortrag gehalten.
Er behauptet immer noch, daß der Wiesnanschlag von Geheimdiensten verursacht worden sei... Seine Wehrsportgruppe war angeblich nur eine Trainingsmöglichkeit für junge Leute, um bei Krisensituationen zu überleben...
Ich finde es zum Speien, daß solchen rechtsradikalen Mördern immer noch jemand eine Bühne bietet!!!
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giovane
08.04.2011 | 00:25 Uhr
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giovane : 
08.04.2011 | 00:25 Uhr
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giovane : 
erschütternde erinnerungen, schön geschrieben rübergebracht. die 10p hast du dir redlich verdient!

bis vor 2 minuten war bei mir gänsehaut - nicht der angenehmen sorte - angesagt, denn ich habe an diesem tag meine eigenen erfahrungen gemacht:

circa um 20:30 habe ich die wiesn´n verlassen, sternhagelvoll. zur anderen seite raus. in der bavariastrasse nahe der lindwurmstrasse stand mein auto, in dem ich gepflegt meinen rausch ausschlafen wollte.

gegen 23:00 war´s damit vorbei, beamte polterten an mein auto. meine personalien wurden notiert und ich durfte nicht mehr weiterschlafen - begründung gab´s keine. die vielen aufgeregten leute um mich herum negierend (kann in dem zustand schon mal passieren) und nach einem taxi ausschau haltend, stolperte ich und.....wachte gegen 8:30 in der rinecker-klinik am tierpark hellabrunn mit einer genähten platzwunde am kopf auf.

in dieser nacht starben 2 männer an den folgen ihrer explosions-verletzungen in genau dieser klinik.

nicht wirklich dabei und doch mittendrin. wie das leben manchmal so spielt.....


#wehrsportgruppe hoffmann#
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DiktaThor
07.04.2011 | 16:43 Uhr
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DiktaThor : 
07.04.2011 | 16:43 Uhr
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DiktaThor : 
Sehr, sehr guter Blog!
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donluka
07.04.2011 | 14:43 Uhr
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donluka : 
07.04.2011 | 14:43 Uhr
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donluka : 
Ich kann mich natürlich an das Spiel nicht erinnern, denn ich war damals 2. Aber wenn man Deine Zeilen liest, fühlt man sich mitten in dieses Horrorszenario versetzt, weil der Blog sehr gut geschrieben ist (Allein das Intro ist stark, wenn auch stilistisch bzw. atmosphärisch etwas völlig Anderes, als das, was da noch kommen sollte).

Jedenfalls kreist ja die Hauptaussage um ein sehr wichtiges und auch aktuelles Thema: Wie macht man weiter, wenn es eigentlich nicht mehr weiter geht? Darf man weitermachen? Soll man weitermachen? Geht es hier um Respekt und Mitgefühl oder ist Innehalten dann falsch, weil es ja irgendwie weitergehen muss? Und: Muss es das überhaupt?
Schon im kleinen Kreis gibt es ja dieses Problem: Wie geht man richtig mit jemandem um, der einen Verlust erlitten hat? übergeht man seinen Schmerz, um ihm die Rückkehr ins "normale" Leben zu ermöglichen oder bietet man ihm eine Fläche, um seine Gefühle auszuleben. Spricht man leiser, wenn jemand gestorben ist?

Ich finde diese Frage extrem schwierig und sie durchzieht unser Leben wie ein roter Faden. Sei es Enke, sei es Japan.

Sicher gibt es für ein Weitermachen mindestens genauso viele gute Argumente wie für ein Abbrechen. Ich hoffe, dass ich niemals in die Lage kommen muss, wo ich so etwas zu entscheiden habe.

10P!
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