Lieber Mann,

heute möchte ich mal mit dir über ein Thema sprechen, das hier noch nicht so oft vorgekommen ist. Den Reitsport. Und ja, ich weiß, mit großer Wahrscheinlichkeit kommen dir jetzt folgende Kommentare in den Sinn:

- igitt

- Wendy

- Mädchensache

- Reiten ist kein Sport

Aber erklär mir doch mal bitte, warum du so denkst? Warum sind Fußball, Tennis und Co. für dich ernst zu nehmende Sportarten, während der Reitsport irgendwo am Rande deines Bewusstseins dahin vegetiert und am liebsten gemieden wird? Liegt es nur daran, dass dir, lieber Mann, irgendwann mal beigebracht worden ist, das Reiten unmännlich ist? Oder daran, dass Reiten tatsächlich kein besonders sauberer Sport ist, zumindest dann nicht, wenn man ihn richtig ausübt?

Hast du dir mal Gedanken gemacht, wie vielfältig der Reitsport sich darstellt, im Gegensatz zu vielen anderen Sportarten, die du liebst? Und was alles an diesem Sport hängt, was man in keiner anderen Sportart findet, vielleicht mal abgesehen von Hundeschlittenrennen?

Ich kann mit meinem Pferd über Stoppelfelder rasen, ich kann Sprünge mit ihm überwinden, ich kann schwere Lektionen im Dressurviereck reiten, so dass es beinahe aussieht, als würde ich mit meinem Pferd tanzen. Ich kann ins Gelände gehen und durch den Busch reiten. Und weißt du, was ich noch kann oder manchmal sogar muss? Ich bin gar nicht schlecht im Gewichtheben und sag nicht, dass das nicht stimmt, so lange du noch keine volle Mistkarre hochgestemmt hast, um sie auszuleeren. Wie bei Hunden auch ist alles, was die Pferde früh kennen lernen, später kein Problem, was tue ich also, um meinem jungen Pferd die Welt beizubringen? Genau, ich gehe spazieren, stundenlang, kilometerweit. Und da mein Pferd eine etwas größere Schrittgeschwindigkeit hat, als ich, bin ich oft genug im Stechschritt unterwegs. Mach das mal ein paar Stunden lang...

Ganz anders als bei anderen Sportarten hat man beim Reiten ein "Sportgerät", das Gefühle zeigen kann. Dein Fußball wird nicht krank, der verliert höchstens mal Luft und selbst dabei geht es ihm nicht wirklich schlecht. Dein Golfball verschwindet vielleicht mal im Wasser oder in irgendeiner Sandburg, aber er hat niemals von sich aus einen schlechten Tag. Genauso wenig freut sich dein Tennisschläger, wenn du ihn besuchen kommst und etwas mit ihm unternehmen willst.

Hast du dir mal überlegt, was alles zum Reitsport dazu gehört? Dass jeder Reiter auch gleichzeitig bereit ist, die Verantwortung für ein Lebewesen zu übernehmen? Dass ein Reiter nicht aufhört, ein Reiter zu sein, wenn er den Reitplatz verlässt, sondern dass dann die Arbeit erst richtig anfängt? Wir sind auch in unserer Freizeit Reiter, die Sorge um das eigene Pferd oder das Pflegepferd ebenso wie um das Lieblingsschulpferd kann einem niemand nehmen, auch nicht in der Freizeit. Einen Fußball kann ich liegen lassen, vor der Tür, auf dem Balkon, auf dem Platz. Bei einem Pferd geht das nicht. Und genau darum geht es doch.

Dein Fußball hat keine eigene Meinung und auch keine eigene Kraft. Mein Pferd hat beides. Ich muss also nicht nur ehrgeizig sein, um in meinem Sport etwas zu erreichen. Ich muss gleichzeitig auch konsequent sein, jeden Fehler, den ich in seiner Erziehung mache, den merkt sich mein Pferd sehr genau, denn es ist nicht dumm. Dein Fußball weigert sich nicht, sich ins Auto zu legen, nur weil du am Vortag einmal falsch gekickt hast. Mein Pferd hingegen weigert sich, und um 450 - 750 Kilo dazu zu bringen, doch in einen Hänger zu steigen, muss ich auch einfühlsam sein und Mindgames spielen. Ich muss schlauer sein, als das Pferd und das ist manchmal, wenn man gegen Urinstinke kämpft, gar nicht so einfach.

Es mag sein, lieber Mann, dass dir Pferde, die oft ziemlich groß sind, unheimlich sind. Sie haben vier harte Hufe, mit denen sie fantastisch treten können und ihr Biss ist ebenfalls nicht ohne. Ich kann manche deiner Vorbehalte gut verstehen, ganz ehrlich. Aber denk bitte immer daran, es ist wie bei Hunden, ein Pferd wird nicht als Monster geboren, es wird höchstens von Menschen dazu gemacht. Wenn du also auf ein Pferd triffst, dass sich vermeintlich nicht benehmen kann, gib dem Menschen die Schuld und nicht dem Pferd.

Wenn du so ein Pferd triffst, dann halt Abstand und sieh dir lieber andere Pferde an. Die Pferde, die bereit sind, eine Partnerschaft mit ihrem Reiter einzugehen. Die Pferde, die bereit sind, ihrem Reiter einen Gefallen zu tun und mit ihm über Sprünge zu springen, die oft so hoch sind, wie sie selbst.

Und genau das ist der Grund, warum Reitsport eben einfach anders ist, als andere Sportarten, richtig? Egal wie groß das Pferd ist, ich brauche sein Vertrauen, seine Freundschaft und seinen Willen zur Mitarbeit, um etwas zu erreichen. Das alles brauchst du von deinem Fußball nicht, schon klar. Aber hast du dir mal überlegt, was für ein großartiges Gefühl es ist, wenn du auf einem Pferd sitzt, es unter dir spürst und es dir zeigt, dass es Lust dazu hat, etwas mit dir gemeinsam zu erleben? Ich muss mit meinem Pferd eine Beziehung eingehen. Entweder eine kurzfristige, wenn ich ein Schulpferd nutze, oder eine lebenslange, wenn es um das eigene Pferd geht. Ich muss lernen, es zu verstehen, ich muss mich darum kümmern, dass es ihm gut geht und dafür sehr viele harte Lektionen in Kauf nehmen. Ich kann mein Reiter-Dasein nicht an der Stalltür abgeben, wenn ich nach Hause fahre. Ich kann nicht einfach in den Urlaub fahren und so tun, als wäre ich niemals in einem Stall gewesen. Ich muss mich um mein Pferd kümmern. Und das Kümmern ist ein weit größerer und aufwendigerer Teil des Reitsports, als das Reiten an sich.

Warum also ist der Reitport bei dir so etwas wie ein Tabu-Thema und wird oftmals mit einem Gähnen abgetan? Ich weiß es einfach nicht. Ich finde es aber schade, denn wenn du niemals bereit bist, richtig hinzusehen, wirst du auch niemals verstehen, welche Einzigartigkeit in diesem Sport liegt. Ein richtiger Reiter ist man nicht erst, wenn man mehr als zehn Mal vom Pferd gefallen ist oder sich ein paar Knochen gebrochen hat. Ein richtiger Reiter ist man dann, wenn man auch bei dem dreckigsten Wetter los fährt, um die Box des Lieblings sauber zu machen, wenn man die ersten Kilometer in der Nacht mit dem Pferd spazieren gegangen ist, weil es Bauchschmerzen hatte. All diese Dinge sind für einen richtigen Reiter selbstverständlich. Reiten ist so viel mehr als ein Sport, es ist eine Lebenseinstellung.

Also bitte ich dich nur um eins: Wenn du das nächste Mal etwas über Pferde oder Reitsport hörst, tu es nicht einfach ab. Überleg dir, was für denjenigen, der darüber berichtet, dahinter steht. Und wenn du eine Freundin hast, die ein Pferd hat, dann sag ihr einfach, dass ihr Pferd das Schönste im Stall ist. Ich garantiere dir, es ist ihr egal, ob das stimmt und auch, dass für dich alle Pferde gleich aussehen. Das weiß sie. Aber sie hört diesen Satz trotzdem gern und wird es als eine Wertschätzung deinerseits nehmen. Sie wird nicht erwarten, dass du dich in Zukunft extrem für ihren Sport interessierst oder gar begeisterst. Sie hofft nur, dass du in Zukunft dem Reitsport ein bisschen offener gegenüber stehst.