Ein letzter Blick in den Spiegel. Die Krawatte zurechtrücken. Der Anzug sitzt. Das einstudierte Lächeln noch einmal erproben. Und durch den Vorhang hinaus auf die Bühne.

Mein Pressesprecher Siegfried Lorbeer eröffnet mit den Worten:
"Heißen Sie den SPOX Blogpokalsieger 2012 2013 auf das Herzlichste willkommen - hier ist GE-RO-SI-MO!!!"

Mit Siegergeste bewege ich mich zum Pult und stelle fest, dass es nicht nur muxmäuschenstill im Raum ist sondern erkenne auch noch, dass keine einzige Fernsehkamera auf mich gerichtet ist. Damit nicht genug: Fast alle Stühle sind leer - nur ein paar wenige, weit außerhalb meines Sichtfeldes, sind überhaupt besetzt.

"Meine Fans, die Journalie sowie die erwarteten TV-Teams stecken sicherlich noch im Stau", geht es mir durch den Kopf.

Siegfried, der sich keinen Moment von der absoluten Ruhe irritieren lässt, fährt fort:
"gerosimo wird zunächst frei von seinen Eindrücken der letzten Monate sprechen und steht danach für offene Fragen zu Ihrer Verfügung. gerosimo, meinen herzlichen Glückwunsch zu Deinem außerordentlichen Erfolg! Was geht Dir durch den Kopf?"

Während ich sicher bin, dass ich nicht sagen möchte, was mir grad durch den Kopf geht, sprudeln auch schon die ersten Worte aus mir heraus: "Vielen Dank für Ihr zahlreiches Erscheinen. Der Gewinn des diesjährigen Blogpokals kommt vollkommen unerwartet für mich. Ich bin total überwältigt und möchte mich zunächst einmal bedanken ... bei all den User, die für mich gevotet haben ... bei meiner Familie, die mich immer unterstützt hat ... bei all den Menschen, die mich trotz meiner großen Klappe nie zu sehr verprügelt haben ... bei..."

"Jetscht halte endlisch Deine verdammte Maul!!!", werde ich wüst und abrupt unterbrochen. "Isch bin nure hier, um mir meine Gelde abbezuholen. Die Gelde für der Pizzaschneider, den Du caputo gemachte und nicht bezahlte hast."

Während ich den Wirt aus dem Italienischen Restaurant in Berlin erkenne, spreche ich klar, sachlich und mit Contenance: "Es freut mich Sie hier zu sehen. Die Rechnung hätte ich schon lange beglichen - allerdings konnte ich mich aufgrund meines damaligen Alkoholpegels nicht an die Adresse Ihres Restaurants erinnern.", während ich aus meiner Geldbörse großzügig einen Fünfzig-Euro-Schein fingere, den ich im nächsten Moment hochhalte.

Der Mann stürmt zu mir nach vorne, entreißt mir das Geld und ist im nächsten Moment entschwunden.

Während ich überlege, bei wem ich mich noch bedanken wollte, spricht eine mir bekannte Stimme:
"gerosimo, Du warst mein Freund! Ich habe für Dich in der SuperBowl-Nacht Deinen Beitrag geschrieben. Und was hast Du getan? Mich in den Knast gebracht! Dankt man so einem langjährigen Weggefährten? Dein effzeh wird ab sofort jedes Spiel mit 0:3 verlieren! Euer Weg wird direkt in die Kreisklasse führen. Wenn Du glaubst, dass ich keine Macht mehr habe, dann täuscht Du Dich aber gewaltig!",erzürnt sich Ewald Kowalski und verlässt wütend den Raum.

"Der Tag scheint nicht ganz so zu laufen wie ich mir das gedacht hatte", schießt es mir durch den Kopf. Ganz der Profi, der ich bin, beuge ich mich zum Mikrophon vor: "Entschuldigen Sie bitte die Störungen. Fahren wir doch fort. Ich bedanke mich bei..."

... und werde sofort wieder unterbrochen ... dieses Mal von einer Frau, die ich als die Psychologin Sabine Gertner erkenne:
"Ist Ihnen bewusst, dass Sie gegen das Patientengeheimnis verstossen haben? Ohne ausdrückliche und schriftliche Genehmigung ist das ein eindeutiger und schwerer Verstoss gegen Paragraph 203 Strafgesetzbuch. Hierauf steht eine Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren. Die Klageschrift gilt hiermit als zugestellt."

Nach diesen Worten, die in meinem Kopf adhoc starke Schmerzen verursachen, sammele ich mich selbst ein weiteres Mal und fahre ungebremst fort:
"Ich bedanke mi..."

"Nieder mit gerosimo! Steckt ihn in das Männerklo!", schallt es in diesem Augenblick durch das offene Fenster. Eine Wilde Horde hat sich dort versammelt. "Wir wollen Hennes! Wir wollen Hennes!", ist der nächster Schlachtgesang der Kölner Fussballfans.

Während mein Pressesprecher das Fenster schließt, nickt er mir ermutigend zu, so dass ich schnell weiterspreche:
"Ich beda..."

"Wann habe ich Dir eigentlich erlaubt ein Bild von mir zu verwenden?", spricht ein Bayern-Fan mit Sonnenbrille im nächsten Augenblick. "Dir ist ja wohl bewusst, dass die Fotosession am Hoover Damm rein privaten Interessen diente. Und jetzt tu mal nicht so, als hätte Dich nicht brennend interessiert, wie das Champions League Finale ausgegangen ist. Dein ganzer Urlaubsbericht ist eine pure Lüge! Gegen Dich laufen sowohl in Nevada als auch in Arizona Verfahren wegen Bild- und Identitätsmißbrauchs. Du kannst am Ende zwischen Giftspritze und elektrischem Stuhl wählen. Aber vorher nehme ich Dir all Dein Geld ab. Das garantiere ich."

Meine feste Stimme hat sich in ein Stammeln gewandelt, so dass mir beim nächsten Ansatz über das Mikrophon lediglich ein leises Keuchen entweicht und stelle fest, dass der Raum inzwischen menschenleer ist.

In diesem Moment schwebt von der Decke etwas herunter. Aufgrund der blendenden Scheinwerfer brauche ich einen Moment, um die Fee Felicitas zu erkennen.

"Wofür hältst Du Dich eigentlich?", fragt sie und ergänzt ohne eine Antwort abzuwarten: "Du glaubst, dass Du ganz oben bist. Quasi der primus inter pares? Nichts bist Du! Rein gar nichts! Du hast alles mit Füssen getreten, was sich Dir anvertraut hat. Du magst den Blogpokal gewonnen haben. Ja. Aber um welchen Preis? Du hast keine Freunde mehr. Dein effzeh steigt in die Bedeutungslosigkeit ab. Du hast kein Geld mehr. In Deutschland droht Dir Gefängnis, in den USA gar die Todesstrafe. Meinen Glückwunsch!"

In ihr aufkeimendes, fieses Lachen erwidere ich:
"Aber ich sehe immer noch verdammt gut aus!"

Die Zeile ist noch nicht ganz verklungen, als sich - wie aus dem Nichts kommend - ein gewaltiger Schwall roter Farbe über mich ergießt.