Das saftige Grün der Wiesen am Militärring verhieß Gutes: Weit konnte es nicht mehr sein bis zum Rasen des Müngersdorfer Stadion. Meine Aufregung wuchs. Nach vier Jahren würde ich gleich endlich wieder ein Fußballspiel im Stadion mitverfolgen können. Und zwar so nah wie noch nie. Als Rollstuhlfahrer würde ich das Geschehen aus Spuckdistanz von der Tartanbahn aus beobachten können und mich dabei irgendwie auch wie ein Teil des Ganzen fühlen dürfen. Der dritte Stadionbesuch meines Lebens sollte etwas ganz Besonderes werden, auch wenn die Begegnung an diesem Samstagmittag eher rustikal klang: 1. FC Köln gegen Karlsruher SC.
Doch im Mai 1993 war diese Partie, die zukünftig wieder die Zweiliga-Gemüter erfreuen wird, ein kleines Drama. Der abstiegsbedrohte Effzeh wollte sich mit einem Sieg gegen die Badener aus dem Tabellenkeller schießen und damit den damals undenkbar scheinenden Abstieg in die 2. Liga vermeiden. Knisternde Spannung lag über dem Müngersdorfer Stadion, in das sich aus heutiger Sicht nur lächerliche 31.000 Zuschauer einfanden. Doch ich war einer von ihnen. Und ich wollte das Gefühl, ganz nah am Fußball dran sein zu können, genießen.
Der Verkehr wurde immer zähflüssiger. Meine Angst, es auch rechtzeitig zum Stadion zu schaffen, wurde mit jeder roten Ampel größer. Doch nach dem Einbiegen auf die Junkersdorfer Straße und dem Erblicken der mir übermächtig erscheinenden Flutlichtmasten verschwand jeder Zweifel: Ich würde dabei sein können. Bei Köln gegen Karlsruhe. Ein läpsches Bundesligaspiel bedeutete für einen Augenblick das Glück auf Erden.
Das Spiel selbst war kein Leckerbissen. Torlos und ohne echte Höhepunkte ging es in die Pause. Doch mir was das egal. Jede Sekunde des wabernden Stadionlärms sog ich wie Sauerstoff in mich auf, voller Spannung ob dem, was als Nächstes geschähe. Und wie es sich anfühlen würde, ein Tor aus nächster Nähe, mitten im Geschehen, miterleben zu dürfen.
Kurz nach der Pause erlebte ich es, das magische Gefühl des kollektiven Jubels, dessen Anlass sich wenige Meter vor meinen Augen zugetragen hatte. Ralf Sturm, in den frühen 90er die große Nachwuchshoffnung des Effzeh, die sich wie in so vielen Kölner Fällen nicht erfüllen sollte, schoss das 1:0. Das Stadion verfiel in Ekstase. Und mir mit einem euphorisierten Blick schien es, als würde ganz Köln in einen kurzen Rausch versetzt. Ich jubelte mit, auch wenn mein Herz natürlich am FC Bayern hing, der zeitgleich gegen Bayer Leverkusen ein schmuckes 4:1 herausholte.
Ich war dabei und wollte mich der kollektiven Begeisterung, die beim 2:0 durch einen gewissen Carsten Keuler ihren Höhepunkt erfuhr, nicht entziehen. Der Fußball, das Stadion, der 1. FC Köln zogen mich in einen Bann und versetzten mich in eine Euphorie, die alle Erwägungen fußballerischer Vernunft zu verdrängen imstande schien
Aufgewühlt ob der Emotionen des Spiels ließ ich den Nachmittag auf der Heimfahrt vor meinem inneren Auge Revue zu passieren. Die Wucht der Eindrücke war zu stark und ließ einen Gedanken in mir aufkommen, der wohl nur mit der Naivität eines 14-Jährigen zu erklären ist:
Was für ein Nachmittag, was für eine Atmosphäre, was für ein Verein Da fühlst du dich doch wohl. Und außerdem bist du doch in Köln geboren Warum willst du eigentlich partout Bayern-Fan sein? Köln liegt doch so viel näher. Du könntest dir so viele Spiele deiner Mannschaft live im Stadion inmitten Gleichgesinnter erleben. Wieso willst du eigentlich kein Effzeh-Fan sein? Versuch es doch mal. Sei ab jetzt Fan des 1. FC Köln.
Ich gebe zu, der Blick auf die Gedanken meines Über-Ichs aus dem Jahre 1993 erfüllt mich heute mit Scham. Nicht weil ich es für verwerflich oder abwegig hielte, Anhänger des Effzeh zu sein. Aber allein die Überlegung, seinen Verein wie auf dem Basar gegen einen ein anderes Liebhaberstück eintauschen zu wollen, ist so absurd, dass er keine nähere Befassung lohnt.
Nicht erst seit Nick Hornby wissen wir, dass der Wahl des eigenen Vereins etwas Mystisches, Unerklärliches innewohnt. Wohl auch, weil es eben gar keine Wahl ist. Wir verlieben uns irgendwie und wissen später nicht mehr warum. Eine rationale Entscheidung für und gegen einen Club treffen zu wollen, bedeutet das Grundgesetz des Fußballs zu verletzen.
Wir sind Anhänger unseres Vereins und können uns unserer Liebe nicht mehr entledigen. Selbst wenn wir es wie ich im Mai 1993 in einer schwachen Sekunde versuchen. Das emotionale Band zwischen dem Fan und seinem Verein ist ein Seil aus dem Stahl der Identifikation geschmiedet. Wir alle sind Fans, jeder für sich auf seine Weise mit seinem Club verknüpft, aber eben doch vereint in unserer unlösbaren Verbindung, die in einem mystischen Moment geschaffen wurde.
Ob Bayern-Fans, Effzeh-Anhänger, BVBler oder Schalker im Grunde sind wir alle gleich. Alle der gleichen Leidenschaft verfallen, von den gleichen Träumen beseelt. So unterschiedlich unsere Vereine auch sein mögen, so sehr verbindet uns doch die gleiche Kraft und verpflichtet uns zum Respekt untereinander.
So könnte ich natürlich jetzt erleichtert feststellen, dass ich glücklicherweise nie dazu kam, den verwegenen Gedanken des 14-Jährigen in die Tat umzusetzen. Könnte triumphierend behaupten, dass mir das Dasein als Bayern-Fan viel mehr Freude bereitet hat als es die Begeisterung für den Effzeh je in der Lage gewesen wäre. Umgekehrt könnte ich fragen, ob mich die Täler, durch die ich als Effzeh-Fan geschritten wäre, nicht menschlich bereichert und meine Leidensfähigkeit gefördert hätten. Könnte sinnieren, ob der Verein aus der eigenen Geburtsstadt womöglich doch besser zu mir gepasst hätte.
Doch ich kann es auch lassen. Ich bin, wer ich bin. Und ich werde es auch nicht ändern. Und das ist auch gut so. Fußball ist eben in jeder Hinsicht: Schicksal.
Das "amerikanische Karma" war auch groß. Kann mich auch kaum entscheiden.
Wegen der persönlichen Identifikation (bin auch Bayern-Anhänger aus dem Raum Köln) bleibt meine Stimme hier.
Tja, was soll man sagen... Fan-tastisch!
Der andere Blog ist auch eine Sahneschnitte, aber mit knappen Vorsprung gewinnt für mich dieser Text.
und der andere glänzt durch Selbstironie !
Ich kann und will das nicht werten !
Ihr hättet beide das Finale verdient !
Auf ein gutes Duell!!!
Mein Text ist inzwischen online:
Ein Urlaubsbericht
Wenn nur alle Fussballfans so denken würden!
Bewertung gibt es, wenn ich den FC Bayern-Beitrag von gerosimo gelesen habe.
1) Ich war mit 99,9%iger Sicherheit auch bei dem Spiel, da wir seinerzeit eine Dauerkarte hatten. Keuler! Da dachte ich, der wird Nationalspieler! Sturm! Da dachte ich das nicht. Da wusste ich es. Nunja, manche flüstern, es wäre anders gekommen.
2) Mit einem Effzeh-Blog gegen Gerosimo anzutreten, ist keck! Aber auch irgendwie schön, weil ich ja den Effzeh sehr mag.
Nun aber zur Bewertung:
Wie immer ziehst Du mit Deiner Art zu Schreiben in den Bann und wie immer ist es so, dass man meint, die beschriebene Situation gemeinsam mit Dir erlebt zu haben. Das ist groß, das ist eine Kunst. Leider hat es ja damals mit Dir und diesem wunderschönen Verein nicht geklappt, aber die Tatsache, dass Du fast zu uns übergelaufen wärst, macht mich auch schon froh.
Ich warte nun noch den Beitrag Deines Kontrahenten ab. Möchte aber schon einmal festhalten, dass das hier bei mir einen glücklichen Seufzer hinterlassen hat.
Mein Gegner heißt: Gerosimo! Und dies ist sein Blog: Urlaubsbericht
Und Ihr sollt/dürft/müsst voten, welcher Blog Euch besser gefallen hat. Ganz einfach per Kommentar.
Lustig ist das der o.g Carsten Keuler nun mein Trainer ist :)
Von der Bundesliga in die Kreisklasse B