Mit heißer Nadel...

Eigentlich wollte ich ja vorerst nichts mehr zu meinen Bayern sagen. Und schreiben schon mal gar nicht. Was haben sich in den vergangenen zwölf Monaten die Experten und die, die sich für solche halten, das Maul zerrissen über die Großkopferden von der Säbener. Und ja, ich habe dann und wann auch meinen Senf dazu gegeben. Aber irgendwann verließ mich die Lust. Verdruss. Langweile. Übersättigung. Irgendwas von all dem muss es wohl gewesen sein. Deshalb wollte ich hier auch keinen Bayern-Jahresrückblick zusammenschustern. Weil das alles irgendwie doch jeder eh weiß. Und weil meine Motivation dazu mehr so in Richtung Spinat und Lebertran ging.

Wie Ihr seht, habe ich mich doch breitschlagen lassen. Weil der eigentlich vorgesehene eshkeeya was Anderes vorhatte. Skifahren oder so. Und weil das bei mir mit dem Skifahren ja mehr so eine suboptimale Angelegenheit ist. Und weil ich also Zeit hatte. Allerdings wenig. Sehr wenig, um genau zu sein. 'Was soll's?', habe ich mir gedacht. Hauste halt in aller Eile irgendwas zusammen. Passt ja auch irgendwie zum FC Bayern '09. Da war genau genommen ja auch vieles mit heißer Nadel gestrickt. So spontan, aus der Laune des Augenblicks, einfach mal so, ohne groß nachzudenken.

Wobei ich das nicht für blonden Scheintrainer gelten lassen will. Dessen Rauswurf war nun alles andere als ein Akt der Spontaneität. Das hatte sich ja über lange Zeit angedeutet. Ein Rumgeeier war das. Furchtbar. Genau genommen fing 2009 aber richtig klasse an. Mit einem schnuckeligen 5:1 im Pokal beim VfB. Bilderbuchkonterfußball mit Klinsmann. Oder trotz Klinsmann? Man weiß es nicht. Ist ja auch müßig. Fakt ist: Drei Tage nach dem Kantersieg von Stuttgart war's schon wieder vorbei mit der Herrlichkeit. Der Liga-Rückruden-Auftakt ging mit einem 0:1 in Hamburg gründlich daneben. Da die spielerische Leistung aber recht ansprechend war und man letztlich nur am Schiedsrichter, vor allem aber an der miesen Chancenauswertung scheiterte, kam vorerst keine große Aufregung auf.

Die sollte sich in den Folgewochen sehr schnell ändern. Auf die bittere 1:2-Niederlage bei der seinerzeit groß auftrumpfenden Hertha (aus heutiger Sicht geradezu unvorstellbar) folgte der Offenbarungseid gegen den FC. Ein 1:2 gegen Köln. An Karneval! Der absolute Tiefpunkt. Dachte man damals und irrte sich doch gewaltig. Denn in unbeirrbarer Konsequenz ging es spielerisch und taktisch bergab. Hochstimmung kam zwischenzeitlich nur bei den CL-Achtelfinalspielen gegen Sporting Lissabon auf, denen man insgesamt zwölf Treffer einschenkte und so souverän in die nächste Runde einzog. Dort wartete allerdings der spätere CL-Sieger aus Barcelona, der den deutschen Rekordmeister am 8. April mit einer Lehrstunde in Sachen Fußballkunst demütigte.

Es waren wohl die bittersten Tage des bayrischen Fußballjahres. Zumal man wenige Tage zuvor eine herbe 1:5-Schlappe in Wolfsburg erlebt hatte. Dabei war es fast weniger das Ergebnis als die Art und Weise, in der sich die Münchener am Samstagnachmittag des 4. Aprils in Wolfsburg präsentierten. Sinnbildlich für deren Erniedrigung war zweifelsohne das Tor zum 5:1. Grafite tankte sich durch die gesamte Bayern-Abwehr durch, die diesen Namen zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr verdiente, ließ seine Gegenspieler wie Slalomstangen stehen und gab dem Leder lediglich einen leichten Stoß mit der Hacke, um ihn – quasi als Gipfel der Demütigung – ins Bayern-Tor trudeln zu lassen. Jenes wurde zu diesem Zeitpunkt übrigens noch von Michael Rensing (wer kennt ihn noch?) gehütet...

Das Experiment Klinsmann war spätestens zu diesem Zeitpunkt gescheitert. Es dauerte gleichwohl noch ein paar Wochen, ehe der Vorstand die Reißleine zog. Und da wären wir dann doch wieder bei den eiligen Entscheidungen. Stichwort: Mit heißer Nadel gestrickt. Denn dass Jupp Heynckes für die verbleibenden fünf Spieltage die Bayern-Mannschaft coachen würde, erschien den meisten Beobachtern doch wie ein hastiger Entschluss, eine Notlösung ohne vorhergehende Planung. Möglicherweise war dem auch so. Fakt ist: Die Entscheidung für Heynckes war richtig, gelang es ihm doch, das Mindestziel Champions League zu sichern.

Nach dem Experiment Klinsmann sollte es nun, wie die Bayern-Offiziellen nicht müde wurden zu betonen, ein echter Fußballlehrer richten. Doch auch die Wahl für den grantigen Holländer Louis van Gaal konnte den Eindruck einer latenten Konzeptlosigkeit nicht kaschieren. Schließlich wurde, so hat Uli Hoeneß es selbst berichtet, die Entscheidung auf eher unkonventionelle Weise gefällt: Die Verantwortlichen schrieben jeweils ihren persönlichen Trainer-Favoriten auf einen Zettel und werteten dann aus. Und da kam dann irgendwie der Name van Gaal heraus. Konzeptionelle Planung sieht denn doch wohl anders aus.

Eine gewisse Beliebigkeit schien auch bei der Wahl des Spielerpersonals vorzuherrschen. Mit Tymoshschuk, Gomez und Olic wurden namhafte Akteure verpflichtet, die aber nicht so recht in das Konzept des neuen Trainers zu passen schienen. Wobei von einem Konzept genau genommen lange Zeit nichts zu bemerken war. Spielsystem und –personal wurde nach Herzenslust und mit geradezu wonnevoller Beliebigkeit ausgetauscht, als sei Fußball ein kreatives Workout zur Selbstentfaltung. Erst zum Ende der Hinrunde fand die Mannschaft langsam zu sich und zu ihrem Trainer.

Das 4:1 in Turin, welches gleichzeitig das nicht mehr für möglich gehaltene Erreichen des CL-Achtelfinals bedeutete, bildete dabei die zweifellos beste Leistung der Bayern im Jahre 2009 und könnte der Startschuss zu einer erfolgreichen Ära van Gaal sein. Wohlgemerkt "könnte". Denn die beiden darauffolgenden Auftritte in der Bundesliga waren zwar äußerst überzeugend, einen Grund zu hemmungsloser Euphorie geben sie gleichwohl nicht. Nicht nur weil die Gegner nur Bochum und Hertha waren. Sondern auch weil der Blick ein Jahr zurück zur Vorsicht ermahnt. Damals glaubte man nämlich auch, dass nun endlich das System Klinsmann greifen würde. Es kam bekanntlich anders. Man wird also abwarten müssen, ob sich der Trend der letzten Wochen auch im neuen Jahr fortsetzt.

Der Blick zurück auf das Jahr 2009 dürfte indes kein Anlass zur Freude sein. Ein titelloses Jahr, in dem man nicht ein einziges Mal an der Tabellenspitze stand, kann bei den Bayern eigentlich niemanden wirklich zufrieden stellen. Vielleicht ist es aber auch der richtige Ansporn, um im Jahre 2010 mit noch mehr Heißblütigkeit und Titelhunger anzugreifen.

Dies wird aller Voraussicht nach ohne Uli Hoeneß an vorderster Front geschehen müssen. Denn nach seinem Rückzug aus dem Manageramt auf den Präsidentenposten hat er geschworen, sich zukünftig deutlich zurückzunehmen. Man wird sehen, ob ihm dies gelingt. Wenn ja, dann war das Jahr 2009 mit dem Rückzug des Bayern-Machers des letzten 30 Jahre wenigstens aus diesem Grund ein historisches.