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Formel 1


Gründer: santiagodiaz | Mitglieder: 116 | Beiträge: 60
21.08.2013 | 4522 Aufrufe | 14 Kommentare | 4 Bewertungen Ø 10.0
In those days: GP Belgien 2008
Denn sie wissen (nicht), was sie tun
Erinnert ihr euch?

Nicht die schwarzweiß-karierte Flagge, sondern der grüne Tisch bestimmt vor fünf Jahren in Spa über das exakte Ergebnis. Farbenspiele der besonderen Art, mittendrin Lewis Hamilton, Kimi Raikkönen - und ein Co-Pilot namens Petrus...



Er muss es erstmal sacken lassen. Völlig überdreht braucht Lewis Hamilton einige Minuten, um das Geschehene zu begreifen. Dem McLaren-Pilot fällt es schwer, rational zu rekapitulieren, die Emotionen spielen Streiche. Zu packend war diese Schlussphase, dieses typisch Faszinierende an Rennen in Spa-Francorchamps. Hamilton schüttelt den Kopf: "Das war eine der aufregendsten Erfahrungen meines Lebens!"

Er ahnt nicht, dass der Wolkenbruch in Runde 42 nicht der letzte Donnerhall des Tages gewesen sein sollte. Oder besser: Er will es nicht ahnen.

Hamilton fühlt sich als rechtmäßiger Sieger des Großen Preises von Belgien 2008. Warum auch nicht? In einem elektrisierenden und stellenweise tragikomischen Kampf mit Kimi Raikkönen hat er sich burschikos behauptet, den Mächten getrotzt, den Weltmeister in die Knie gezwungen. Einmal, am Ende der drittletzten Runde, mit einem Umweg über die Auslaufzone, aber alternativlos, wie er klarzustellen versucht: "Das ist Racing. Wäre ich nicht ausgewichen, hätte es gekracht. Wenn so etwas bestraft würde, läuft etwas falsch", plädiert der Brite für unschuldig. Zweieinhalb Stunden später kommt seinem Nachsatz unmittelbare Bedeutung zu: "Aber wir wissen ja, wie sie sind."

"Sie", damit meint Hamilton die Rennkommissare der FIA - ein klischeehaftes Abziehbild der Spezies Regelhüter: Penibel, pedantisch, (über-)korrekt. Und hinsichtlich der Formel 1 traditionell im Namen Ferraris unterwegs, spotten solche, die sich entweder benachteiligt oder den Sport in Verruf fühlen. Also meistens McLaren-Mercedes. Zu oft, finden sie, habe es in der Vergangenheit kontroverse Entscheidungen pro Ferrari gegeben, dem Heiligen Gral der Serie.

Hart, aber fair? Rennkommissare gucken offenbar keine ARD.

Es ist in der Tat ein streitbares Manöver von Lewis Hamilton gegen Kimi Raikkönen, doch das eigentlich Bedauernswerte ist, dass die anschließenden Debatten einen sensationellen Rennausgang mundtot machen. Nicht der Sport dominiert, sondern die Politik. Hamilton werden nachträglich 25 Sekunden Zeitstrafe aufgebrummt, aus Platz eins wird drei, der Sieg geht an Felipe Massa. Dieser fährt Ferrari und katapultiert sich durch das höchst umstrittene Verdikt bis auf zwei Punkte an WM- Spitzenreiter Hamilton heran. Zufälle gibt's.

"Ich betete: Bitte regne, regne, regne!"



Um 14 Uhr Ortszeit stehen all diese Irrungen und Wirrungen noch bevor. Die Strecke ist nass, wie fast immer in Spa, wo das wechselhafte Wetter schon so manche Regenschlacht provoziert hat. Lewis Hamilton, damals 23, verteidigt seine Pole Position zunächst erfolgreich. Felipe Massa (27) kämpft stärker mit den Tücken der feuchten Bahn. Bei der Anfahrt zur sagenumwobenen Eau Rouge - der Legende nach eine Kompression, die "Männern von Buben trennt" - saugt sich Teamkollege Raikkönen (28) an und überholt den kleinen Brasilianer auf der folgenden Kemmel-Geraden äußerst rabiat. Eine Retourkutsche? Kimi, amtierender, aber kriselnder Weltmeister, war Ferrari-intern ins Hintertreffen geraten. Es scheint, als würde ihm seine Lieblingsstrecke dabei helfen, die Schläfrigkeit aus den Gliedern zu schütteln.

Den Rest, möchte man ketzerisch anmerken, erledigt Hamilton. Anfangs der zweiten Runde dreht er sich in der engen Haarnadel "La Source" unbedrängt um die eigene Achse. Ein peinliches Malheur. Einmal in Front, lässt Raikkönen wenig Zweifel an seinem Vorhaben aufkommen - der Finne kontrolliert das Rennen souverän. So nimmt sich der Spannungsgrad des Grand Prix zwischen der dritten und der drittletzten Runde zurück. Es ist wie ein tiefes Luftholen, um die Puste für das fesselnde Finish zu konservieren.

Raikkönen führt kontinuierlich mit drei Sekunden vor Hamilton. "Ich pushte wie wild, versuchte, die Lücke zu schließen", enthüllt der McLaren-Pilot später. Doch der "Iceman" sieht bereits wie der sichere Sieger aus - bis ein Protagonist namens Petrus ins Spiel kommt und das macht, was er bei Autorennen in den Ardennen mit Vorliebe tut: Die Schleusen öffnen. Allerdings nicht so eindeutig, dass ein Wechsel auf Regenreifen die einzige Option ist. Hamilton: "Als ich durch Eau Rouge fuhr, sah ich die Wolken und betete: Bitte regne, regne, regne!"

Acht Runden stehen noch aus, und wer Spa kennt, der weiß, dass dies eine schier endlose Zeit sein kann. Die Piste ist mit über sieben Kilometern die längste im Kalender. Und Raikkönen, ein ausgewiesener Spa-Spezialist, rutscht in Probleme. Während aus Tropfen Niederschlag wird, gelingt Hamilton der Anschluss.

Hero or Zero



Die Engländer bezeichnen solche, die wagemutig zocken, als "Gambler". Demzufolge sackt Nick Heidfeld die Jetons des 7. September 2008 in seine Tasche. Wie etwa Fernando Alonso (Renault), David Coulthard (Red Bull) oder Timo Glock (Toyota) sucht der BMW-Pilot im vorletzten Umlauf seine Box auf. Reifenwechsel! "Ich war davon überzeugt", bekräftigt Heidfeld, "aber es war natürlich eine Hero-or-Zero-Geschichte..."

Der Poker geht auf: In der 44. und letzten Runde überflügelt der Deutsche leichtfüßig Sebastian Vettel (Toro Rosso), seinen BMW-Kollegen Robert Kubica und den Drittplatzierten Sebastien Bourdais (Toro Rosso). Der Franzose Bourdais, ein Abschusskandidat, hatte bis dahin eine grandiose Performance gezeigt, doch im richtigen Moment eine falsche Entscheidung getroffen.

Dass Nick Heidfelds Schlussspurt auf dem zweiten - und nicht dem dritten - Platz endet, erfährt er erst mit deutlicher Verzögerung. Zweieinhalb Stunden nach der karierten Flagge. Was Gründe hat.

Wir schreiben die 42. Runde, als Lewis Hamilton mehr als nur Morgenluft wittert. Er attackiert den strauchelnden Raikkönen bei der Anfahrt zur umgebauten Bus-Stop-Schikane. Der Ferrari-Mann blockt die Innenbahn, Hamilton weicht auf die äußere Linie aus. Die enge, leicht bergaufführende Rechtsbiegung nehmen sie im Parallelflug. Dann wird die Straße für zwei Fahrzeuge zu schmal. Weil Raikkönen stur und standhaft bleibt, schwenkt Hamilton kurzerhand auf die asphaltierte Auslaufzone um, die ihm einen kürzeren Weg zur Zielgeraden verschafft. "Ich hatte keinen Raum und keine andere Wahl", verteidigt er sich. Es ist das Manöver des Anstoßes.

Der Brite führt, lässt Raikkönen jedoch passieren, so wie es die Regeln vorsehen. Aber anstatt sich behutsam für einen weiteren Anlauf in Stellung zu bringen, startet Hamilton einen sofortigen Überraschungsangriff. Noch auf derselben Geraden, vor "La Source", schert er aus, setzt sich neben Raikkönen und überholt kompromisslos. In der McLaren-Box brandet Jubel auf.



Krimi mit Kimi



Der Krimi mit Kimi befindet sich erst in der Einleitung. Die Hinführung zum Hauptteil sieht Regen vor, noch mehr, noch stärker, noch flächendeckender. Einen Reifenwechsel können sich die beiden Führenden nicht erlauben. Jetzt ist Feingefühl gefragt. Und die Ereignisse überschlagen sich: Nico Rosberg dreht sich im Williams unmittelbar vor Hamilton und Raikkönen. Ersterer weicht mit Müh und Not in die Wiese aus, der Finne schlüpft geschickt vorbei und zurück an die Spitze. Allerdings werden wegen Rosbergs Missgeschick gelbe Fahnen gezeigt. Bedeutet: Überholverbot. Eigentlich...

Am Ende ist es irrelevant. Schon in der nächsten (!) Kurve verliert Kimi das Heck und muss Rang eins erneut an Hamilton abtreten. Es erinnert an Slapstick-Einlagen, doch in Wirklichkeit haben die besten Rennfahrer der Welt mit der unvereinbaren Kombination von Trockenreifen und nasser Fahrbahn zu kämpfen. Wie glitschig so ein Randstein sein kann, wenn die Haftung fehlt, erlebt Weltmeister Raikkönen in "Blanchimont". Mit krachendem Unterton schreibt er seinen persönliches Schlussteil, eine Runde vor Ultimo. Der Ferrari steckt demoliert in der Mauer.

Für Lewis Hamilton ist der Weg zum Sieg frei. Nominell gewinnt der WM-Leader vor Felipe Massa, Nick Heidfeld, Fernando Alonso und Sebastian Vettel (der in der kommenden Saison mit den großen Schlagzeilen anfangen sollte). Faktisch hagelt es die Zeitstrafe - weil Hamilton die Schikane abgekürzt und sich danach nicht weit genug hatte fallen lassen. Meinen die Richter. McLaren legt unverzüglich Protest ein.

"Aber wir wissen ja, wie sie sind."



Bildquelle: spox.com

KOMMENTARE
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Voegi
MODERATOR
22.08.2013 | 11:12 Uhr
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Voegi : 
22.08.2013 | 11:12 Uhr
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Voegi : 
wieder mal ein brillanter blog.
fantastisch geschrieben!!!
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RBFriese
22.08.2013 | 10:42 Uhr
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RBFriese : 
22.08.2013 | 10:42 Uhr
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RBFriese : 
Geht mir ähnlich, also lache ich nicht... :)
Vielleicht sollten wir uns zusammen tun... Sportlich scheinen wir ja auf einer Wellenlänge... ;)
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RoyRudolphusAnton
22.08.2013 | 10:30 Uhr
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22.08.2013 | 10:30 Uhr
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Dankeschön Du wirst vielleicht lachen, aber ich würde wirklich gern ein Buch schreiben. Winziges Problem: Mir fehlt das Thema. Dass es über Sport gehen würde, ist mehr oder weniger klar, aber das war es auch schon an konkreten Erkenntnissen...
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RBFriese
22.08.2013 | 08:59 Uhr
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RBFriese : 
22.08.2013 | 08:59 Uhr
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RBFriese : 
...und wenn du ein Buch schreiben würdest, ich würde es lesen! ;)

Wirklich wieder sehr schön zu lesen und immer wieder super interessant, deine Texte.
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