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EFFZEH


Gründer: midget | Mitglieder: 216 | Beiträge: 208
25.09.2012 um 12:54 Uhr
Geschrieben von gerosimo
Begegnung mit einer Lady
Als ich heute früh mein täglich Leid im Innern mit mir austrug, sah mich eine etwa 65-jährige Dame an der Ampel stehen und half mir, ohne weiter zu fragen, über die Straße.

Auf der anderen Seite angekommen, fragte Sie mich:
"Junger Mann! Sie sind so voller Schmerzen! Von so starker Trauer! Was ist Ihnen widerfahren?"

"Ich finde die Worte nicht", war meine Erwiderung.

"Wie wäre es, wenn ich Sie auf einen Kakao einlade und Sie einfach Ihr Herz ausschütten, um sich von Ihrer Last ein wenig zu befreien?", sprach sie und führte mich an der Hand ins nächste Café.

Noch immer stammelte ich nur, als inzwischen der heiße Schokotrunk serviert wurde. Sie hatte Lebenserfahrung, soviel war klar. Sie sprach nicht. Sie wartete und wartete. Mit Stil. Mit Würde. Mit Erhabenheit.

Nachdem wir das erste Heißgetränk schweigend verzehrt hatten, brachte die Kellnerin unvermittelt zwei weitere Tassen, schaute einmal nach links zu der Dame, einmal nach rechts zu mir, schüttelte den Kopf und zog von dannen.

"Wissen Sie ... ich weiß gar nicht ... wo ich anfangen soll ... es ist so lange her ... gefühlte Ewigkeiten ... dass ich Freude empfinden konnte ... ich fühle mich falsch ... verstehen Sie?"

Sie kann kein Wort verstanden haben von dem, was ich dahin stammelte - dennoch meinte sie: "Ich kenne Ihre Situation. Diese ist nicht neu für mich. Menschen wie Sie begegnen mir immer wieder. Seit vielen Jahren."

Ich war irritiert. "Verstehen Sie mich nicht falsch. Es ist niemand gestorben, nicht wirklich zumindest. Ich fühle mich nur so ... ach, ich weiß nicht ..."

"Leer. Leer ist das Wort, dass Sie suchen, junger Mann!", erkannte sie zu meiner Verwunderung. "Wie ich sagte, ich kenne Ihre Situation. Nicht aus meiner Sturm- und Drangzeit - eher aus dem aufkommenden Herbst. Den Wechseljahren, wenn Sie wissen, was ich meine."

"Ich glaube schon, dass ich zu verstehen anfange. 'Herbst' ist ein Gefühl, dass ich kenne ... dass vielleicht sogar mein aktuelles Empfinden beschreibt ... zumindest ein wenig ...", fand ich meine ersten Teilsätze.

Ein leichtes Lächeln huschte über ihr Gesicht ... nur für einen Augenblick ... aber es war zu sehen ... da war ich mir sicher ... was wollte sie von mir? ... will sie mich am Ende ... *schluck* ... verführen?

Sie legte sanft ihre Hand auf die meine und sprach: "Machen Sie sich nicht so viele Gedanken. Schauen Sie nach vorne. Probieren Sie es einfach."

"Wie kann ich nach vorne schauen? Alle Zeichen stehen schlecht. Ich suche..." - ihre Haut fühlte sich jünger und frischer an als erwartet - "Hoffnung..." - wohlige Wärme schien von ihr auszugehen - "und Geborgenheit, Frau... wie heißen Sie überhaupt?"

"Mein Junge, nennen Sie mich bei meinem Vornamen - ich bin Friederike. Hoffnung und Geborgenheit gehören zum Leben wie Wasser und Brot. Insofern ist es doch nur nachvollziehbar, dass Sie danach lechzen."

Hatte Sie wirklich 'lechzen' gesagt? Was passierte hier? Und warum? Weshalb jetzt?

Meine Gedanken lesend sprach sie weiter: "In meiner Handarbeitsgruppe wird auch immer wieder diskutiert, wie sich Maschen am besten stricken lassen. Im Frühsommer diesen Jahres war aufnehmen, fallen lassen, fallen lassen ursächlich für die Zerrüttung - und nach der Sommerpause war fallen lassen, aufnehmen, fallen lassen direkt zweimal nicht zielführend. Jetzt, im Herbst wird alles anders: von fallen lassen ist gar keine Rede mehr. Es geht nur noch um aufnehmen, vollmaschinell, energieeffizient, rechte Masche, linke Masche, rechte Masche, linke Masche, rechte Masche. Und so weiter. Bis in den Winter. Bis in den Frühling. Bis zum Sommer."

Wenn ich behaupten würde, dass ich verstanden hätte, wovon sie sprach, so wäre das eine glatte Lüge. Dennoch fühlte ich mich besser. In mir kam das Bedürfnis auf, sie zu umarmen und ihre Wärme in mir aufzunehmen.

"Nicht so hastig, junger Freund.", bremste sie meinen Elan. "Es kann immer mal wieder passieren, dass man eine Masche fallen lassen muss. Dennoch geht es weiter. Immer weiter. Ein Leben lang."

Ich war erfüllt von ihren Worten ... getragen von dem verloren geglaubten Glücksgefühl ... "Sie haben Recht. Natürlich haben Sie Recht! Ich spüre, wie mich das Licht wieder flutet. Aber ... woher wissen Sie das alles?"

Ihr Blick war wissend, offenbar hatte sie eine solche Frage erwartet. "Wie ich sagte - ich befinde mich in den Wechseljahren. Viermal war ich schon hier, immer wieder ging es aufwärts. Nun ist es das fünfte Mal - und es wird mich auch dieses Mal wieder auf die andere Straßenseite in die schönsten Rosengärten führen. Schon bald! Ich fühle das."

Langsam zog sie ihre Hand zurück und schaute mir tief in die Augen. Ein unvergeßlicher Augenblick, den ich wohl sehr lange in mir tragen würde. Ein Leben lang? Während ich noch das Rot-Weiß in ihrem Sehorgan verinnerlichte, zahlte sie die Rechnung, stand auf und sprach die Worte "Auf Wiedersehen. Es war mir eine Freude Ihnen zu begegnen.", woraufhin sie entschwand. Ein Eindruck blieb: Sie wirkte jünger und lebendiger als zuvor.

Mich mit dem Gedanken beschäftigend, mir noch heute eigene Stricknadeln zu kaufen, schaute ich auf den Tisch und sah, dass sie ihre Visitenkarte hatte liegen lassen - auf dieser stand ihr gottgleicher Name:
Frederike Constanze zu Colonia, die Erste.
Aufrufe: 2567 | Kommentare: 14 | Bewertungen: 8 | Erstellt:25.09.2012
ø 10.0
KOMMENTARE
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ausLE
MODERATOR
27.09.2012 | 23:16 Uhr
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ausLE : 
27.09.2012 | 23:16 Uhr
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ausLE : 
selbstverständlich mache ich das öffentlich gero, wenn auch nur ungern

ausLE

Ich glaub ich komme in die Wechseljahre
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gerosimo
27.09.2012 | 22:47 Uhr
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gerosimo : 
27.09.2012 | 22:47 Uhr
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gerosimo : 
Köstlich ...
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ausLE
MODERATOR
27.09.2012 | 22:38 Uhr
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ausLE : 
27.09.2012 | 22:38 Uhr
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ausLE : 
Ne gero, das war kein Matthias S.
ich steh wirklich auf dem Schlauch
Deswegen auch die "intensive" Suche im Netz
vielleicht liegts am Wein.

Wäre aber für eine Aufklärung nicht abgeneigt.
Ich ahne schon, daß ich da wieder in ein Fettnapf trete - egal

Zur Not schiebe ich es auf den Alkohol
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gerosimo
27.09.2012 | 22:27 Uhr
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gerosimo : 
27.09.2012 | 22:27 Uhr
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gerosimo : 
@ausLE:
Da musste ich bei diesem Suchergebnis jetzt selbst lachen ... stark!!!
Danke für den Hinweis!!!

Die Frage, wer Fredericke ist, war aber hoffentlich ein (Matthias) Scherz, oder?
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ausLE
MODERATOR
27.09.2012 | 22:10 Uhr
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ausLE : 
27.09.2012 | 22:10 Uhr
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ausLE : 
wollte ich schon immer mal lesen, aber so viele Blöcke ...

Nun hast Du ja Werbung auch in der BP-Auswertung gemacht, also jetzt oder nie.

Liest sich sehr schön und es könnte sich auch wirklich so zugetragen haben
Es wird ja nun dunkler, grauer, viel Regen. Sollte ich wohl auch mal in ein Cafe gehen.

Aber wer ist Frederike?
Ich habe den kompleten Namen suchen lassen und was erscheint auf Goggle als 2. Vorschlag
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gerosimo
26.09.2012 | 14:47 Uhr
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gerosimo : 
26.09.2012 | 14:47 Uhr
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gerosimo : 
Ich lüge nicht - ich dehne Wahrheiten ...
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Tuppeskopp
26.09.2012 | 14:44 Uhr
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Tuppeskopp : 
26.09.2012 | 14:44 Uhr
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Tuppeskopp : 
Wunderschön - poetisch, humorvoll, augenzwinkernd. Häärrlisch....

Aber verlogen: Gero hat geschrieben "ich finde die Worte nicht"... - ganz offensichtlich lügt er
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gerosimo
25.09.2012 | 14:09 Uhr
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gerosimo : 
25.09.2012 | 14:09 Uhr
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gerosimo : 
@Rumo:
Danke fürs Feedback.
Die Stricknadelmetapher wirst Du schon richtig zugeordnet haben - da bin ich zuversichtlich ...

@midget:
Einmal noch Wechseln? Ja? Genau einmal ?!?!?!?
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midget
25.09.2012 | 13:50 Uhr
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midget : 
25.09.2012 | 13:50 Uhr
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midget : 
sensationell, allerdings scheiß ich auf wechseljahre. vor allem alle 3 jahre, manchmal auch 2. scheiss ich drauf! *grummel
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Rumo
25.09.2012 | 13:48 Uhr
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Rumo : 
25.09.2012 | 13:48 Uhr
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Rumo : 
Wirklich schön zu lesen; die Blogs hier in der Gruppe sind fast ausnahmslos zu empfehlen.

Bin mir zwar nicht 100pro sicher, ob ich die Stricknadelmetapher verstanden habe, die Zeiten und der Name und die Rückkehr in den Rosengarten lassen mich den Sinn erahnen

Hat spass gemacht zu lesen und vertrau ihr, Tante Hertha verhält sich ähnlich.
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