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Blogpokal 2013/2014


Gründer: RoterBulle92 | Mitglieder: 58 | Beiträge: 25
Von: rudeloy
20.04.2014 | 4538 Aufrufe | 16 Kommentare | 6 Bewertungen Ø 9.0
Wenn der Klaus mit dem Thomas
Alte Liebe rostet selten
Das seltsame erste Mal danach

Gleich geht die Sonne auf. Am Horizont kann man es schon deutlich erahnen. "Mensch zieh doch nicht so Hasso", spricht Thomas brüllend mit behutsamer Stimme in Richtung Boden. Gerade in der Frühe war der Dackelmischling besonders aktiv. Da wurde jeder Grashalm genauestens untersucht und jeder Strauch in die feuchte Manndeckung genommen. Diese morgendlichen Spaziergänge barfuß die Wiese hinauf, der Sonne entgegen Richtung altem Flussbett, waren für ihn zu einem unverzichtbaren Ritual geworden. Hier waren die beiden ganz alleine. Einfach glücklich. Froh, keine Fragen beantworten zu müssen, immer aufs neue Geduld zu bewahren. Hier war es wie in einer riesig großen Seifenblase. So wunderbar natürlich, dass es schon fast wieder künstlich wirkte. Wie in einem Traum, aus dem er am liebsten nicht mehr aufwachen würde.

So langsam schießen die ersten warmen Sonnenstrahlen über den Hügel und erleuchten sein braun gebranntes Gesicht. Eine warme Spätsommerbrise bringt sein schulterlanges Resthaar in Wallung. Sein Spiegelbild war ihm fremd geworden in letzter Zeit. Sah er doch so entspannt, so zufrieden aus. Jahrelang schlich er wie ein grauer Schatten seiner selbst am Leben vorbei. Traute sich schon nicht mal mehr auch nur kurz in einen Spiegel zu schauen. Seine Frau hat das immer wieder zur Sprache gebracht, aber hören wollte er es nie. Jetzt, Monate später, kann er verstehen was sie meinte. Warum sie so besorgt war. Er geht wieder aufrechter. Die Rückenschmerzen sind weg, das Kniegelenk verrichtet seinen Dienst wieder wie bei Werksauslieferung und auch das Sodbrennen ist passé. Kein unangenehmer Zustand.

Am Bach verbrachte er je nach Wetter manchmal bis zu zwei Stunden. Von hier konnte man das wunderbar beschauliche Wohngebiet, in dem sie jetzt schon so lange leben, ganz gut überblicken. Auch hier war es mittlerweile ruhig geworden. Nicht dass er jemals von Journalisten belagert wurde, aber es scheint nunmehr einfach nur noch wie eine stinknormale Wohngegend. Herrlich. Natürlich dachte er während seiner Spaziergänge immer wieder an damals. An all die schönen Dinge, die er erleben durfte. Diese Zeit mochte er nicht missen, wird sie immer ganz nah am Herzen tragen.

Doch manchmal weicht das Grinsen aus seinem Gesicht, verliert sich in der unbekümmerten Natur um ihn herum. Die letzten Jahre waren hart, haben mehr Kraft gekostet als er tanken konnte. Er hat Fehler gemacht. Wurde aber auch immer wieder enttäuscht und betrogen. Die Leute, die ihn jahrelang gegen seinen Willen zum Helden machten, wollten nun seinen Untergang sehen. Es war, als warteten sie nur darauf, dass er geht. Endlich. Die Medienarbeit hat ihn viel Kraft und Überwindung gekostet.

Zurück zu Hause wird gefrühstückt und sich dann wie jeden Dienstag um den Vorgarten gekümmert. Wie könnte man seinen Wandel in den vergangenen Monaten besser beschreiben, als mit seiner plötzlich aufkommenden Lust an Gartenarbeit und Baumarktbesuchen. Sein Geist blühte auf wie die Blumen, die er pflanzte, seine Unzufriedenheit wich ebenso wie die Waschbetonplatten hinauf zu seiner Haustür. Er hat sich nicht neu erfunden. Er hat sich gefunden. In Badeshorts vor Rosensträuchern kniend, Sonntags vor dem Backofen in froher Erwartung auf seine neueste Kuchenkreation. Nie hätte er sich hier vermutet, nie wäre er ins Reisebüro stolziert und hätte all dies gebucht und für voll genommen. Er hatte die alten Seile kappen müssen und ist in der Südsee gestrandet. Ach, du schöne neue Welt.

Der Wind hatte plötzlich gedreht. Es wurde auf einmal ganz kühl und unbequem. Fragend blickt er sich um, schaut in den Himmel und versucht dunkle Wolken ausfindig zu machen. Nichts. Gerade in dem Moment, als er sich wieder den Hortensien widmen will, hört er ein Auto in die kleine Seitenstraße, in der sein Haus stand, einbiegen, beschleunigen und mit einer Vollbremsung in der frisch gepflasterten Einfahrt zum stehen kommen. Früher hätte ihn so etwas fuchsteufelswild gemacht. Jetzt gerade überlegt er welche Teemischung er seinen Gästen wohl am besten anbieten sollte. Alles nicht so einfach als Gutmensch. Aber da muss er jetzt durch. Allerdings wird er skeptisch und hält inne, als er das Nummernschild sieht. WOB - KA - 007. Hatte er einen neuen VW bestellt, der ihm nun per Express zugestellt wurde? Eigentlich nicht. Nun öffnet sich die panzerartig schwer wirkende Fahrertür. Italienische Designer-Schuhe erblicken das Licht der Welt und setzen an, erstmalig den Boden zu berühren und nach Halt zu suchen. Doch Thomas gefällt nicht was, beziehungsweise wen er da sieht.

Es ist Klaus. Der dicke Klaus. Früher war er mit Schnäuzer und Waschbrettbauch um die Häuser gezogen. Jetzt war er wohl froh, wenn die Hemdknöpfe den Abend überlebten. Nervös blickt Thomas in den Wagen, um zu erkennen, ob noch jemand mitgekommen ist. Und tatsächlich: sein Neuer. Wie der aussah. Widerlich. Manche werden sicher meinen Niveaulos. Wie tief war Klaus gestürzt, um sich mit so jemanden abzugeben. Und die Gesichtsfarbe erst. Den musste er wohl bei den anonymen Alkoholikern abgegriffen haben. Seine Augenbrauen sahen aus wie sein ehemals verwahrloster Vorgarten. Und dieser Trainingsanzug. Der war mindestens eine Nummer zu groß. Und diese Farben. Ganz Ruhig, flüstert er in sich hinein. Kein Grund eifersüchtig zu werden.

Klaus mustert ihn ganz genau von oben bis unten und wieder zurück. "Mensch wie siehst du denn aus? Kaum bist du arbeitslos, schon siehst du aus wie...also naja, ich weiß ja nicht. Wie so ein Arbeitsloser halt". Klaus muss sich vor lauter Lachen die Wampe festhalten. Sein Blick geht rüber ins Auto, wo Dieter saß und eifrig dabei war, einen Schokoladenfleck aus dem Trainingsanzug zu kratzen. Merklich enttäuscht, dass sein famoser Witz irgendwie verpufft war, geht er in die zweite Runde. "Ich wollt mal sehen was du so treibst. Ist ja nicht besonders viel. Ich hab Personal für dieses Grünzeugs da. Reine Zeitverschwendung. So ein wenig wie der Besuch hier. Dieter und ich sind ja nur auf der Durchreise. Champions League ist das Stichwort. Gucken uns schon einmal die großen Metropolen Europas an. Vielleicht nehmen wir noch ein paar Souvenirs mit". Klaus fuchtelt mit einer schwarzen Kreditkarte herum und zählt ein paar Spielernahmen auf.

Doch als ob das Schicksal nun versucht ins Geschehen einzugreifen, lässt Klaus die Karte in seiner wilden Fuchtelei los und so fliegt sie im hohen Bogen über die Hecke aufs Nachbargrundstück. Plötzlich ein Schrei und ein dumpfes, 68 Kilogramm schweres Plumpsgeräusch. Dann ein Gewimmer und Geschluchze. Nachbarin Gisela, die zufällig die Unterhaltung belauscht und deswegen auf die Leiter, die ihr Mann vom Hecke stutzen dort stehen gelassen hatte, geklettert war, ist nun vor Schreck von selbiger gestürzt. Klaus guckt Thomas an, der ihn direkt zurück anguckt. Schließlich gucken sie sich beide an und ohne auch nur ein Wort gesprochen zu haben, wissen sie was zu tun. Thomas schlängelt sich durch die Hecke hindurch auf die andere Seite. Klaus rennt zu seinem Wagen, öffnet den Kofferraum und holt den Erste-Hilfe Kasten aus dem Seitenfach. Auch er versucht sich durch die Hecke zu zwängen, allerdings ohne Erfolg. Völlig außer Atem nimmt er den Umweg außen herum.

Nun klappt wieder alles wie früher. Jeder Handgriff sitzt. Wie aus dem Lehrbuch geht ein Arbeitsschritt in den nächsten über. Thomas säubert die Wunde am Ellenbogen, Klaus bereitet den Verband vor. Thomas bringt den Arm in die ideale Position, Klaus wickelt den Verband leicht nervös, aber zielsicher um den Unfallschaden. Es war wie früher. Wie ´99 , als sie zum ersten Mal gemeinsam den Pokal in den Berliner Abendhimmel hieven durften. Ein leichtes Gefühl. Fliegend auf Teppichen bis hin zum Double, einer Feier, die bis dahin und danach absolut höchste Eskalationsstufe darstellt. Tätowiernadeln und Prostituierte hatten sie sich geteilt, hatten aus dem komisch aussehenden Brasilianer einen Wurst- und Kaffeeverkäufer und Torschützendschungelkönig gemacht. Sie haben keine Stars gekauft, sondern gemacht und als sie genau dieses Prinzip versuchten umzudrehen, sind sie abgestürzt. Es war nicht alles schön. Aber zu schön um es zu vergessen, um sich jetzt mit Hass zu begegnen. Dafür ist das Leben zu kurz, die gemeinsamen Erinnerung und Zeiten zu wertvoll. "Was ein emotionaler Käse", schluchzt Thomas in sich hinein und richtet sich das Haar während Klaus einen Krankenwagen ruft. Schließlich war Gisela schon etwas älter und da weiß man nie, ob die Hüfte nicht doch in Mitleidenschaft gezogen worden ist.

Nachdem die Rettungssanitätar Gisela artgerecht fixiert und abtransportiert hatten, blieben Klaus und Thomas winkend auf dem Gehweg stehen. Sie schauen sich noch einmal tief in die Augen und reichen sich die Hand. Wieder ohne ein Wort zu verlieren, geht jeder seinen Weg. Thomas nimmt sich seine Schere, Klaus setzt sich wieder in seinen VW. Dort hatte Dieter in der Zwischenzeit aus Langeweile Löcher mit dem Zigarettenanzünder in die Ledergarnitur gebrannt. Was ein Biest, seufzt Klaus leise als er den Wagen startet. Er schaut noch kurz in den Rückspiegel und winkt ein letztes Mal dezent und wehmütig in Richtung Thomas. Dann blickt er gefrustet zu seiner Rechten und ist sich bewusst wie noch nie, dass das mit Dieter nie so sein wird, wie mit Thomas.

KOMMENTARE
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MacMurph
22.04.2014 | 17:50 Uhr
1
-1
MacMurph : 
22.04.2014 | 17:50 Uhr
-1
MacMurph : 
der kimosch und ich, wir sind ja alte blogpokal-pals. damals, mit meinem ersten blog hier hab ich ihn denkbar knapp rausgehauen...good times!

seltsamerweise haben beide blogs noch nich so viel aufmerksamkeit erhalten wie die anderen blogs, hätten sie aber durcnhaus verdient.

ich mag die geschichte von thomas und klaus, den dieter find ich besonders schön dargestellt. da wär vielleicht sogar noch mehr drin gewesen, aber mir gefällts. und ich muss sagen auch besser als die story um herrn wiezcorek, was vllt. auch daran liegt, dass ich die von dawizzle angesprochene anspielung nich verstehe. ich mag zwar auch die geschichte und die flashback.erzählweise, alles in allem geht meine stimme aber an rudeloy.
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rudeloy
22.04.2014 | 16:08 Uhr
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rudeloy : Putz
22.04.2014 | 16:08 Uhr
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rudeloy : Putz
Ich denke es hat auch eher nicht an der Umsetzung als viel mehr an dem relativ spezifischen Thema gelegen. Hatte gedacht dass Thomas und Klaus alle lustig finden, sieht aber so aus dass es viele Nicht-Bremer nicht so packt. Außerdem hat Genosse kimosch da Saisonbestleistung rausgehauen. In dem ein oder anderen Duell wäre das für mich postiver ausgegangen.
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MarcelPutz
22.04.2014 | 15:57 Uhr
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MarcelPutz : 
22.04.2014 | 15:57 Uhr
0
MarcelPutz : 
Schade, dass der Blog bisher noch keine Kommentare erhalten hat, das hat er nämlich definitiv verdient!

Leider habe ich mich auch für kimosch entschieden, aber auch hier gefällt mir die Idee und Umsetzung. Und deine bisherigen Blogs waren ja auch nicht von schlechten Eltern! Weiter so!
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rudeloy
20.04.2014 | 13:10 Uhr
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rudeloy : 
20.04.2014 | 13:10 Uhr
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rudeloy : 
Es handelt sich um meinen Beitrag für den Blogpokal 2013/14.

Mein Gegner ist kimosch: http://www.spox.com/myspox/group-blogdetail/Herr-Wiezcorek-muss-sich-erklaeren,208572.html

Hierzu ist noch eine Kleinigkeit anzumerken: Ich verdanke kimosch sehr viel. Er hat mich motiviert hier auf spox immer weiter zu schreiben und zu üben, hat mir immer mit Tat und Rat zur Seite gestanden. Dafür noch einmal allen Dank den meine Tasten hergeben. Auf ein schönes Duell!
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