Immer wieder Andreas Brehme. Vor meinem inneren Auge drängen sich diese Bilder auf, als Kaiserslautern im Jahre 1996 abstieg und Brehme vor laufenden TV-Kameras in den Armen seines Gegenspielers Rudi Völler bitterlich in Tränen ausbrach. Man kann kaum stärker verdeutlichen, dass es im Fußball nicht um Leben und Tod, sondern um viel mehr als das geht, gemäß dem einstigen Zitat der Liverpool-Legende Bill Shankly. Für Brehme ist an diesem Nachmittag eine Welt zusammengebrochen. Jetzt, 15 Jahre später, bin sicher, dass in weniger als 30 Minuten wieder Tränen fließen werden - meine eigenen.
An diesem 34. Spieltag, am 14. Mai 2011 um 16:50 Uhr stütze ich mich versteinert an einen Wellenbrecher im Gästeblock des Sinsheimer Stadions. Zu diesem Zeitpunkt steht mein VfL Wolfsburg auf dem 17. Tabellenplatz und mit mehr als einem Bein in der zweiten Liga. Dass dies eintreffen würde, war vor dem Spieltag nicht im Bereich des Realistischen. Doch der Konkurrent aus Mönchengladbach führte bereits zur Pause in Hamburg und kurz nach Wiederanpfiff ereilt uns die Botschaft des 0:1 aus Dortmund. Damit stehen auch die schon abgeschriebenen Frankfurter in der Tabelle vor uns. Die eigene Niederlage scheint beim Stand von 1:0 und drückender Überlegenheit der Hoffenheimer dabei gar schon besiegelt.
Von den 3.000 mitgereisten VfL-Fans supporten nur noch die wenigsten. Ich gehöre nicht mehr dazu, wie ich zugeben muss. Zwar stirbt die Hoffnung bekanntlich zuletzt, aber für mich und die meisten anderen ist sie bereits tot. Leichenblasse Gesichter und hängende Köpfe, wohin man auch sieht. Die gleiche kollektive Fassungslosigkeit zeigt sich auf dem Rasen. Wobei ich das Spiel nur noch halbherzig wahrnehme. Mich beschäftigen andere Gedanken: Werden wir einer dieser Vereine sein, die auf Jahre oder gar auf ewig in der Versenkung verschwinden? Wie konnte es überhaupt so weit kommen? Ein Team, das mit Dzeko, Mandzukic und Diego in die Saison gestartet ist, wird diese als Siebzehnter beenden.
Neben mir redet sich jemand ein, ein Abstieg könne auch eine Chance sein. Ich will es nicht hören und sehe wieder Andreas Brehme und Rudi Völler vor mir. Doch mich wird in 30 Minuten niemand trösten, niemand in den Arm nehmen, wenn Tränen fließen. Schon gar nicht der Gegner aus Hoffenheim, dessen Fans seit einigen Minuten hämisch zweite Liga, Wolfsburg ist dabei skandieren. Mir war ohnehin klar, dass sich die Mehrheit der Fußballfans in Deutschland unseren Abstieg wünscht. Doch nun wenden sich selbst diejenigen von uns ab, die eigentlich ein ähnliches Päckchen zu tragen haben. Ich fühle mich wie ein gehänselter Schuljunge. Wie ein Außenseiter, der nun sogar von anderen Außenseitern verspottet wird.
Was in den nächsten Minuten geschieht, ist dagegen kaum in Worte zu fassen. Der Fußballgott, ein anderes höheres Wesen oder Felix Magath. Einer von ihnen oder alle drei müssen Einfluss auf dieses Spiel genommen haben. Zunächst trifft Mandzukic zum eigenen Ausgleich, kurz darauf zur Führung. Zeitgleich fallen die ersehnten Tore in Dortmund und Hamburg. Der Gästeblock verkommt zum Tollhaus.
Die Szenerie erscheint mehr als surreal. Noch eben zu Tode betrübt, reiße ich mir mein Trikot vom Leib und wir verleben die restlichen Spielminuten himmelhoch jauchzend, singend und tanzend. Kurz vor Abpfiff jedoch überkommt es mich. Ich werde still und muss mich setzen. Dann kommen sie. Zum ersten Mal in meinem Leben weine ich in einem Fußballstadion. Vor mein Gesicht halte ich mein Trikot, das in kürzester Zeit mit Freudentränen getränkt wird. Während ich schluchzend auf dem Treppenaufgang sitze, nehmen mich unzählige Menschen in den Arm. Freunde, Bekannte sowie völlig Fremde. Viel gemeinsam hat meine Gefühlslage mit der damaligen von Brehme nicht. Doch beide Tränen zeigen: im Fußball geht es nicht um Leben und Tod. Sondern um viel mehr.
Ich erinnere mich noch an dieses Spiel. Erst das Theater mit Diego vor dem Spiel, dann der Rückstand und die Zwischenstände in den anderen Partien, als man mit einem Bein in Liga 2 stand.
Leider hatte ich an dem Tag selbst ein Fußballspiel, sodass ich immer nur wenn ein Zuschauer in der Nähe war, den Zwischenstand erfragen konnte.
Nach den beiden Siegen (der des VfLs und meiner Mannschaft) wurde dann erstmal richtig gefeiert
Aber ein unvergessener Tag war es und wird es immer sein.
Ich hoffe die Liga geht bald wieder los, ich hasse Sommer und Winterpause.