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Blogpokal 2013/2014


Gründer: RoterBulle92 | Mitglieder: 58 | Beiträge: 25
Von: Gnanag
05.01.2014 | 4542 Aufrufe | 21 Kommentare | 12 Bewertungen Ø 7.6
Es waren die Menschen
Alleine
Ich hätte es nicht tun sollen

Ich stehe am Fenster und blicke hinaus.


Es regnet. Die Tropfen fallen leise auf die Straße, die vor mir zu einem grauen Schleier verschwimmt.


Es regnet schon seit Tagen. Ohne Unterlass.


Als würde der Himmel weinen.


Ich spüre, wie leise eine Träne an meiner Wange herabläuft. Sie schmeckt salzig zwischen meinen Lippen. Salzig und kalt.


Erst jetzt bemerke ich, dass ich zittere. Meine Hände, einst kraftvoll und stark, wirken klein und eingefallen. Ich hebe den Kopf und suche mein Spiegelbild.


Es blickt mich vom Fenster aus an, aschfahlen und grau.


Er ist das Spiegelbild meiner Seele. Leer. Verlassen. Und hoffnungslos.


Es ist trüb draußen, ein grauer, verregneter Herbst. Die letzten Blätter hat der Wind längst von den Bäumen geholt. Sie sind leer und kahl.


Ich atme tief ein und wende meinen Blick vom Regen ab. Es fällt mir schwer.


Der Regen hat etwas Friedliches, Beruhigendes.


Das Hier und Jetzt hat jedoch nichts Friedliches.


Immer, wenn ich an den Moment denke, wird mir schwarz vor Augen. Alles kommt wieder hoch. Die Schmach, der Hass, die Kälte.


Ich bin allein.


Ich war in dem Moment allein.


Alleingelassen von allen. Von Freunden, von Familie, vom Verein. Als ich sie am meisten brauchte, war ich allein.


Zitternd setze ich mich an meinen Schreibtisch und nehme ein Blatt Papier. Die alte Feder habe ich seit Jahren nicht mehr benutzt. Sie ist eingetrocknet. Vorsichtig tunke ich sie in die Tinte und setzte an.


Ich bin


Das Blatt verschwimmt vor meinen Augen.


Ja wer bin ich eigentlich? Der Mann davor oder danach? Der erfolgreiche Torjäger oder der geschmähte Mann?


Ich weiß es nicht. Ich weiß nichts mehr. Ich habe den Halt verloren, den Glauben, die Hoffnung. Was mir passiert ist, war kein Schicksal. Kein Unglück.


Es waren die Menschen.





Ich konnte nicht mehr. Das Versteckspiel, die Lügen, die Geheimnisse.


Ich wollte es nicht mehr. Ich wollte die Wahrheit sagen. Offen sein. Wollte sagen, wer ich wirklich bin.


Dass ich schwul bin.


Meine Hand zittert, als ich die Feder über das Papier führe. Die Buchstaben sind kaum lesbar.


Es war ein Fehler. Ein schwerer Fehler.


Nach außen gab es Zustimmung, Verständnis, Glückwünsche. Wie mutig ich doch sei. Ein Vorbild. Ein gesellschaftlicher Vorreiter.


Lügen und Phrasen.


Es fing an bei den Spielen. Die Verachtung, der Hass von den Rängen. Wie ein Tier fühlte ich mich, von Scheinwerfern beleuchtet, von allen bewertet, von allen beurteilt. Ausgestellt. Nackt und wehrlos.


Ein Spießrutenlauf.


Ah da kommt er. Ach der. Der Schwule.


Nach außen waren sie verständnisvoll, lobend.


Aber die Blicke sagten anderes. Die Blicke der Vereinskameraden. Der Fans. Der Journalisten. Sie behandelten mich freundlich, aber ich spürte es. Ich war keiner mehr von ihnen. Ich war nun ein Außenseiter. Ich gehörte nicht mehr dazu. Ich war gebrandmarkt.



Und dann kam der Moment, der alles veränderte.




89. Minute des großen Finales. Monate herbeigesehnt, das Spiel der Spiele.


Die Luft vibriert. Ich höre die Schreie, die Gesänge, das Rufen und Bitten. Es ist ein riesiger Chor aus tausenden Sängern und er trägt mich.


Der Ball kommt scharf, aber ich nehme ihn blind an.


So wie ich es früh gelernt habe. Lasse ihn abtropfen und renne. Renne in die Lücke.


Der Verteidiger reagiert zu spät, er sieht mich nicht in seinem Rücken verschwinden.


Ein Fehler.


Der Pass kommt messerscharf. Perfekt in den Lauf.


Die Verteidiger drehen sich, aber es ist zu spät.


Ich laufe allein auf den Torwart zu, täusche links an und gehe rechts vorbei.


Das Tor ist frei. Frei und leer.


Der Ball muss nur noch rein.


Der Verteidiger ist hinter mir, aber er kann mich nicht mehr stoppen. Ich muss den Ball nur noch über die Linie schieben.


"Du schwule Sau!.


Es ist nur ein Ruf des Verteidigers, aber er trifft mich. Trifft mich tief.


Ich setze zum Schuss an, doch ich bin aus dem Gleichgewicht, habe einen falschen Schritt gemacht. Die Konzentration ist weg. Mein Körperschwerpunkt verlagert sich. Es ist zu spät. Ich muss schießen.


Der Ball hebt sich wie in Zeitlupe, hebt sich vor meinem Blick langsam empor.


Atemlose Stille. Die Stille vor der Eruption.


Die Zuschauer springen auf, Triumph in ihren Augen.


Der Ball touchiert die Latte und ist vorbei.


Vorbei.


Ich spüre tausende Augen auf mir.


Es ist still.


Totenstill.


Ungläubiges Schweigen. Leere. Enttäuschung.


Am Ende verlieren wir das Spiel, das Finale, den Pokal.


Und es ist meine Schuld.


Allein meine Schuld.


Ich habe es nicht ausgehalten. Die Beleidigungen, die Sprüche. Ich schaffte es nicht. Ich dachte ich könnte es. Aber es war zu viel. Und ich habe versagt.


Das große Finale. Die einmalige Chance. Ich habe sie vertan. Es war meine Schuld, mein Fehler. Die Erwartungen eines ganzen Vereins.


Die leeren Blicke meiner Mitspieler. Wie ich diesen Ball danebenschießen konnte? Ich, der bisher doch immer getroffen haben. Es ist, als ob sie sagen wollten: Liegt es daran, dass du schwul bist?

Die bohrenden Fragen der Presse? Wie ich mich fühle? Wie es ist, so zu versagen? Ob das Outing Schuld sei?


Die enttäuschten Blicke meiner Familie. Die Tränen meines Vaters.


Die Briefe. Voller Verachtung, voller Hass. Die Menschen auf der Straße, die leeren Blicke.


Die Scham ist grenzenlos.


Die Zeitungen überschlagen sich in Meldungen. In Artikeln. Ich habe verschossen weil ich damit nicht umgehen könne. Den Druck nicht ertragen könne, der erste zu sein, der sich geoutet habe. Dass ich im Kopf zu schwach sei.


Es ist wie ein Trommelfeuer, unaufhörlich, gnadenlos.


Ich halte es nicht mehr aus. Wochenlang habe ich es gelesen, es gehört, es gesehen. Versucht zu ertragen. Versucht zu akzeptieren.


Aber nun kann ich nicht mehr.


Ich weiß nicht, wie es weitergehen soll. Wie ich meinen Freunden, meiner Familie, die Fans, alles weiter ertragen soll. Jeden Tag habe ich das Gefühl, dass ich mich rechtfertigen muss. Dass ich erklären muss, wieso ich so bin. Dass es meine Leistung nicht beeinträchtigt. Ich weiß nicht, wie ich je wieder ein Spielfeld betreten soll. Ich habe keine Kraft mehr, keine Zuversicht.


Meine Knie zittern als ich das Haus verlasse, in den strömenden Regen trete. Kalt sind die Tropfen auf meiner Haut. Meine Schritte sind ziellos, taumelnd. Die Straße verschwimmt vor mir, als ich mich in das Auto setze und den Schlüssel drehe.


Leise Tränen laufen über meine Wangen. Zitternd lege ich den Brief in das Handschuhfach.


Sie sollen es alle wissen, es war kein Schicksal, was mir widerfuhr, es waren die Menschen.

ø 7.6
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