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Blogpokal 2009 / 10


Gründer: FabianPramel | Mitglieder: 59 | Beiträge: 13
29.04.2010 um 11:55 Uhr
Geschrieben von donluka
Superheld
Er kneift die Augen zusammen und stellt um auf Tunnelblick. Nur noch zweimal die müden Knochen recken, sich straffen und jenen Willen entwickeln, der ihn so weit gebracht hat. Schließlich ist er nun genau dort, wo er immer hinwollte: Er steht am Ende einer nach Arbeit und Schweiß riechenden und sehr erfolgreichen Saison.
Sind seine Haare dünner geworden, in den letzten Wochen? Er sieht müde aus.

Langsam und vorsichtig streichelt er über seinen blauen Superhelden-Anzug mit dem roten „M" auf der Brust und zieht dessen blütenweißen Umhang glatt. Auf dem Tisch dampft Tee. Nachdem er sich das Cape übergezogen und heldenhafte und gazellenartige Bewegungen einstudiert hat, atmet er tief durch. Nun also der Endspurt. Er blickt in den Spiegel und beginnt, sein Gesicht zu schminken. Nach und nach gelingt es ihm dabei, sich selbst ähnlich zu sehen. Die markante Frisur, die strenge Brille, alles an seiner Stelle. Alte Entlassungsnarben aus seiner Zeit als Feuerwehrmann werden einfach überschminkt.

Er diszipliniert sich, ein siegessicheres Gesicht aufzusetzen. Mühsam schaut er auf sein öffentliches Ich und wünscht sich, ein bisschen mehr davon in sich zu spüren. Die Stärke und Arroganz, die den Gegner und auch die eigenen Mannen in Furcht und Schrecken versetzen können. Dabei ist er aber doch so müde. Ihm ist so rein gar nicht nach Meister-Berg und Medizinbällen. Ihm ist vielmehr nach Meditation und Massage.

Doch es hilft ja alles nichts. Er pudert sein Gesicht weiter und beginnt, Grimassen zu schneiden. Streckt seine Zunge heraus und spürt dabei die innere Schwere. Es ist hart, sich immer wieder aufraffen zu müssen. Um den Menschen um ihn herum das Gefühl zu geben, dass das nicht mehr ganz so heimliche Ziel tatsächlich machbar ist. Nun gilt es also, die letzten Schritte zu vollziehen. Und den eigenen Mythos in vollem Glanz erstrahlen zu lassen. Bis in die Unendlichkeit und Unsterblichkeit.

Der Anzug sitzt wie angegossen und wenn er posend in den Spiegel blickt, könnte er meinen, er wäre wirklich ein Superheld. Ein Retter. Ein Übermensch. Wenn es alle andere glaubten, warum dann nicht auch er?

Als er sich auf den Weg zur Pressekonferenz macht, pocht sein Herz. Das Spiel gegen das wiedererstarkte Werder Bremen steht an diesem Wochenende an und er spürt, dass er nun einen entschlossenen Eindruck hinterlassen muss, um die letzten Kräfte zu mobilisieren.

Auf dem Podium im Presseraum ist alles angerichtet: Die Mikrophone sind postiert, die Trinkflaschen zeigen sich von ihrer werbewirksamsten Seite und alles wartet gespannt nur auf ihn. Als er in seinem Superhelden-Anzug den Raum betritt, halten alle Anwesenden die Luft an. War da wirklich ein Spotlight? Langsam, majestätisch und wie in Zeitlupe schreitet er voran. Man meint, man würde die Synthie-Anfangsakkorde von Van Halens „Jump" hören. Der Umhang wirft sich dynamisch und zugleich ehrfürchtig um seine Beine, als er das Podest besteigt und Platz nimmt. Zahlreiche Augen sind nun auf ihn gerichtet. Beißend laute Stille. Wüstensträucher wehen durchs Bild. Er blickt um sich herum und räuspert sich.

Die Spannung ist nun immens. Die überregionalen Pressevertreter blicken ihn an und malen schüchtern Herzen in die Luft. Manche befeuchten ihre Lippen. Er selbst lockert seinen Kragen und steht noch einmal auf, um seinen Umhang glatt zu ziehen. Plötzlich geht ein Raunen geht durch den Raum, die ersten Journalisten applaudieren. Die Spannung schlägt um in Ekstase. Tief atmet er ein und aus. Bei dieser Bewegung spannt sich das rote „M" auf seiner Brust. In diesem Moment fliegen ihm die ersten Rosen und BHs zu, eine Journalistin aus Bremen fällt in Ohnmacht.

Er räuspert sich noch einmal und alle schreiben artig das Räuspern mit. Noch ein Schluck aus der Teetasse, die Menge, die im alten Parkstadion die Pressekonferenz auf einer Großleinwand verfolgt, stimmt zu einer La Ola an.
Beinahe scheu schmunzelt er darauf hin in sein Mikrophon, dass Schalke selbstverständlich Deutscher Meister werden würde und dass sich „die da unten" in München ganz warm anziehen könnten. Von wegen Marienplatz und so. Die könnten sich ja auf den Gewinn der Champions League konzentrieren. Und Bremen sei zwar stark und Allofs und Schaaf ordentliche Leute, aber Schalke würde unabdingbar eines werden: Deutscher Meister. Da könnte Frings Tore am Fließband schießen und Pizarro Rekorde jagen, all dies würde nichts daran ändern, S04 würde mindestens 2:1 gewinnen.

Eifriges Nicken von allen Seiten, wildfremde Reporter fallen sich bei diesen Worten um den Hals und küssen sich. In der vordersten Reihe sitzt nur eine finster dreinblickende Gestalt: Rudi Assauer. Schließlich hatte sich dieser vorgenommen, auf ewig die Lichtgestalt am Schalker Horizont zu sein. Draußen, auf dem Parkplatz, werden Raketen in den Himmel geschossen, die, sobald sie die ersten Wolken berührt haben, ein großen „M" zeichnen. Dr. D. weint vor lauter Freude wie ein kleines Kind.

Danach verkündet er noch, mit Metzelder würde man im kommenden Jahr die europäische Spitze angreifen. Tosender Applaus bricht aus. Die Vertreter von der Bild-Zeitung beginnen, sich zu entblößen und heulen vor Glück.
Er spürt, dass er die Menge nun endgültig im Griff hat.
Yes – I – Can!" beginnt er daher rhythmisch klatschend und immer lauter zu singen und alle grölen mit: „Yes – He – Can! Yes – He – Can!"

Er steht nach seiner 30sekündigen Ansprache auf, winkt noch einmal in die Menge, versteckt sich unter seinem Umhang und löst sich alsbald in Luft auf. Manche meinen, gesehen zu haben, wie er dem Feuerwerk entgegenflog, andere wiederum berichten ihren Kindern und Enkeln später, er sei plötzlich einfach unsichtbar geworden und hätte dabei goldene Funken versprüht.



Als er abends wieder an seinem Tisch sitzt, hat er Kopfschmerzen. Das ganze Brimborium um seine Person hatte längst einen Grad erreicht, der ihm nicht zusagte. Dabei hält er sich selbst doch überhaupt nicht für wichtig. Er hängt den Anzug auf einen Bügel und setzt sich auf die Bettkante. Auf dem Nachtisch steht ein Bild von Ernst Happel in einem güldenen Rahmen. Zärtlich streichelt er darüber und wünscht seinem eigenen Idol eine gute Nacht.

Es ist nicht leicht, ein Superheld zu sein.
Aufrufe: 7457 | Kommentare: 33 | Bewertungen: 70 | Erstellt:29.04.2010
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