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FC Bayern München


Gründer: Tobi | Mitglieder: 965 | Beiträge: 253
30.05.2012 um 16:48 Uhr
Geschrieben von redrobbery
Mehr als schwarz und weiß


Als ich vor einiger Zeit gefragt wurde, ob ich daran interessiert wäre, den Gastblog des Monats Mai zu schreiben, da war noch keineswegs abzusehen, dass es der FCB tatsächlich ins sogenannte Finale dahoam schafft. Der Traum, einen der größten Erfolge der so umfangreichen Vereinsgeschichte miterleben und feiern zu können, war plötzlich greifbar nah. Doch das Trauma der späten Eckbälle kehrte zurück, der vielleicht dominanteste aller Münchner Auftritte in einem Europapokalfinale blieb unbelohnt. Das Glück, das in den Siebzigern noch zu drei Erfolgen in Serie mithalf, trug an diesem Abend blau. Der Druck war letztendlich größer als der Heimvorteil.

So einfach es gewesen wäre, mit dem Rückenwind des ultimativen Erfolges ein Loblied zu schreiben, so schwierig ist es jetzt, ein Thema, überhaupt Worte zu finden. Zu groß ist der Schmerz, den eine erfolgreiche EM eventuell lindern, aber definitv nicht komplett vergessen machen kann. Kritische Stimmen gibt es viele, teils durchaus berechtigt (die zu reaktionäre Transferpolitik), teils völlig abwegig (das Suchen von einzelnen Sündenböcken wie Robben, Gomez oder Boateng). Da jedoch die Fußballwelt nicht nur schwarz und weiß bietet, da der FC Bayern trotz der zweiten titellosen Saison in Folge nicht kurz vor dem Absturz ins Mittelmaß steht, möchte ich diese Gelegenheit nutzen, die positiven Dinge hervorzuheben.

Kein Verein ist perfekt, überall werden Fehler gemacht, selbstverständlich auch beim FC Bayern München. Der wohl mit Abstand größte Kritikpunkt ist hierbei wohl die stark reaktionäre Kader- und Transferpolitik. Gewinnt man Titel, dann sind selbst auffällige Schwächen nicht mehr der Rede wert, dann ist das vorhandene Material allein stets gut genug, sämtliche Probleme zu lösen. Bleibt der Trophäenschrank jedoch für ein Jahr verschlossen, dann steht alles und jeder auf dem Prüfstand, dann wird das viel zitierte Festgeldkonto geplündert, um am liebsten in eine neue Offensive zu investieren.

Dass diese Kritik ihre Daseinsberechtigung hat, kann wohl niemand leugnen. Im Gegenteil, dieser Standpunkt kann sogar objektiv belegt werden. Wenn man die Transferbilanzen der letzten zehn Jahre nimmt (Daten: transfermarkt.de) und hierbei die fünf Jahre nach Bundesligatiteln mit den fünf ohne Bundesligaerfolg vergleicht, dann stellt man fest, dass in den Transferperioden nach Verpassen der Meisterschaft im Durchschnitt 38,2 Millionen Euro (Tendenz steigend) ausgegeben wurden, mit der Meisterschale im Gepäck hingegen nur knapp 9 Millionen Euro pro Saison.

Ob sich dieses Verhalten in näherer Zukunft ändern wird, ist schwer vorauszusagen. Jedoch meinte selbst Trainer Jupp Heynckes bereits kurz nach Amtsantritt, als also noch nicht abzusehen war, dass man ein zweites Jahr ohne Titel erleben würde, dass es von nun an das Ziel des FC Bayern sein muss, jedes Jahr „ein oder zwei absolute Topspieler" zu verpflichten.
Die finanziellen Gegebenheiten für eine aggressivere, aktivere, regelmäßigere Transferpolitik sind ohne Frage vorhanden.

Nach Angaben der Deloitte Football Money League, eine jährliche Rangliste der wohlhabensten Fußballvereine und Analyse der Finanzen dieser, war der FCB zu Abschluss der Saison 2010/11 Nummer vier der Welt mit Einnahmen in Höhe von über 320 Millionen Euro. Die Top 3 (Real Madrid, Barcelona, Man United) profitieren hierbei stark von den wesentlich besseren Fernseheinnahmen, in Sachen Sponsoring ist der FC Bayern weltweit die Nummer eins. Zu dieser sehr guten Ausgangslage kommen drei zukünftige Faktoren, die dem Rekordmeister auch ohne Investor die Möglichkeit geben werden, international (wenn man denn will) stets ganz oben mitzumischen:

- Der neue Fernsehdeal der DFL, der zwar noch weit entfernt ist von den Sphären der Premier League, aber bereits einen großen Fortschritt darstellt und den Bayern jährliche Mehreinnahmen in Höhe von ca. 15 Millionen Euro, das Jahresgehalt von ein bis zwei Topspielern, bescheren wird.

- Die in fünf bis zehn Jahren komplett abbezahlte Allianz Arena, die dem FCB laut Hoeneß momentan noch jedes Jahr 20 bis 30 Millionen Euro kostet. Dieses Geld kann man, sobald die Verbindlichkeiten beglichen sind, für den Profikader verwenden, zum Beispiel als Ablösesumme für einen Topspieler.

- Das sogenannte Financial Fair Play, das zwar keine Revolution sein wird, viele Vereine jedoch zumindest zu etwas gemäßigterem Transferverhalten drängen sollte. Der FC Bayern ist hiervon nicht direkt betroffen, geradezu selbstverständlich werden die Kriterien bereits erfüllt, könnte jedoch eine wesentlich bessere Position auf dem Transfermarkt einnehmen, da Vereine wie Manchester City mehr auf ihre Ausgaben achten werden müssen.

Nicht nur die finanzielle Zukunft sieht gut aus, auch die bereits vorhandene Mannschaft sollte die Gemüter an der Säbener Straße beruhigen können. Nach der Verpflichtung von Manuel Neuer und Jerome Boateng und der Entdeckung von David Alaba als Linksverteidiger hat die Startelf zum ersten Mal seit gefühlten Ewigkeiten keine eklatante Schwachstelle mehr. Der älteste Stammspieler, Franck Ribery, ist gerade einmal 29 Jahre alt, der Großteil dieser Mannschaft kann auch in fünf, teils sogar zehn Jahren noch so vorhanden sein.

Seit der Verpflichtung von Christian Nerlinger als Sportdirektor hat man sich sukzessive und gezielt verstärkt, die letzte verbleibende große Schwäche, die fehlende Kadertiefe, wird aller Voraussicht nach diesen Sommer beseitigt, sodass Verletzungen weniger schwerwiegend sind und eine echte Rotation endlich möglich ist. Um erneut Jupp Heynckes zu zitieren, ist es bei Spitzenclubs eine „Normalität", dass sogenannte Stammspieler auch mal nicht von Anfang an spielen. Wenn man beim FC Bayern diese Normalität wieder akzeptiert und eine Ersatzbank hat, die mit der Stammelf mithalten kann, dann hat sich kadertechnisch schon sehr viel zum Positiven verändert.

Zu guter Letzt möchte ich die vielleicht wichtigste Änderung des Jahres ansprechen: die längst überfällige Modernisierung der Jugendarbeit. Um die eigene Identität nicht völlig aufzugeben, setzt man mit Jörg Butt auf einen bald ehemaligen Spieler an der Spitze. Hinzu kommen jedoch national anerkannte Leute wie Marc Kienle and Marcus Sorg, die als Jugendtrainer neue Ideen einbringen sollen. Diesen Umbruch komplett machen Verpflichtungen wie die von Dale Jennings und (eventuell) Mitchell Weiser, die Sicherung von Talenten von außerhalb, bevor sie den Durchbruch feiern und mehrere Millionen kosten.

Wenn auch nicht alles beim FC Bayern perfekt läuft, so ist meiner Meinung nach keinesfalls eine Runderneuerung notwendig, es gilt lediglich, aus einigen alten Verhaltensmustern auszubrechen. Gelingt dies, dann sind weitere Chancen auf Europas Krone zum Greifen nah.


Der Autor ist Besitzer des englischsprachigen FCB-Blogs Red Robbery und bei Twitter @redrobbery aktiv
Aufrufe: 9821 | Kommentare: 15 | Bewertungen: 22 | Erstellt:30.05.2012
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KOMMENTARE
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Gotti1963
30.05.2012 | 22:24 Uhr
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Gotti1963 : 
30.05.2012 | 22:24 Uhr
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Gotti1963 : 
Wirklich ein starker blog. Sachliche und fachlich einwandfreie Analyse.

Gut finde ich deine Rundumsicht! Toll, dass du den eklatant wichtigen Bereich der Jugend/Junioren Arbeit so explizit gestreift hast.

Du hast dir die 10 Punkte redlich verdient.

Ich betrachte einen guten blog immer auch als Diskussionsgrundlage, und deshalb fange ich genau jetzt an zu diskutieren...
Dein Ansatz war es ja das Positive herauszuheben, und deshalb ist der Grundtenor deines blogs mehr als nachvollziehbar.
Trotzdem möchte ich 2 Punkte etwas deutlicher herausheben, die man als Kritik an deinem blog verstehen könnte, die aber nur aus meiner Sicht zur Gesamtlage dazu gehören, und die deshalb deutlicher hervorgehoben werden sollten.
1. Ich erwarte mir genau gar nichts vom Financial Fairplay. Dieses Konstrukt ist von cleveren Juristen geschaffen worden, und noch cleverere Juristen, werden es so lange hinterfragen, bis das Schlupfloch gefunden ist. Bei uns in der IT sagt man: "Es gibt keine 100% Sicherheit im Netz, weil jedes security system. das von einem Menschen geschaffen wurde, von einem anderen Menschen zu knacken ist".
2. Voegi hat es schon angesprochen. Dieses Team ist sehr, sehr stark. Die individuelle Klasse sucht in unserer Historie ihres Gleichen. Es fehlt aber das Unabdingbare, der unbeugsame Wille. Das "Wir, und nur wir gewinnen dieses CL Finale, wir wollen nicht gewinnen, wir werden gewinnen!" Ich hoffe, dass es uns gelingt diese Mentalität, die immer ein Teil unserer Kultur war, wieder zu einem Teil unserer Kultur zu machen.

Falls uns dies gelingt, und die Punkte, die du angesprochen hast, den positiven Effekt haben, den wir alle uns erhoffen, dann wird der 19.05.2012 nicht das letzte CL Finale des FC Bayern in der 2. Dekade des 21. Jahrhunderts gewesen sein...
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Schnumbi
30.05.2012 | 20:26 Uhr
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Schnumbi : 
30.05.2012 | 20:26 Uhr
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Schnumbi : 
@ red: vielen dank für deine antwort. nun ja ich persönlich war von anfang skeptisch was heynckes betrifft da aber auch nur was die taktische ecke angeht.

sinn machte die verpflichtung aus menschlicher sicht. sportlich gesehen finde ich hat er uns nicht weitergebracht auch wenn das blöd klingt wenn man 3 finale gespielt hat.

im endeffekt hat uns oft die individuelle klasse einiger spieler den arsch gerettet aber nicht das konzept.

blöd fände ich wenn man jetzt meinetwegen eine Summe X nimmt und für heynckes einkauft und nächste saison ist er weg und der neue hat dann spielermaterial welches er nicht zusammengestellt hat.

ich hoffe unsere chefetage macht das richtige aber ich vertraue ihnen mal

wäree cool öfter was zu lesen von dir
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redrobbery
30.05.2012 | 20:18 Uhr
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redrobbery : 
30.05.2012 | 20:18 Uhr
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redrobbery : 
Zunächst einmal vielen Dank.

@schnumbi:

Ich habe Heynckes nie als mehr als eine Übergangslösung angesehen und wäre überrascht, wenn die kommende nicht seine letzte Saison ist. Man sollte nicht vergessen, dass er die Abwehr wesentlich stabilisiert hat (von gelegentlichen Ausreißern nach unten wie im Pokalfinale mal abgesehen). Nächste Saison muss er echte Alternativen auf der Bank haben, die nicht Tymoshchuk oder Müller heißen, und da wird sich zeigen, ob er erfolgreich rotieren und auch einen Plan B einführen kann. Wenn er das schafft, dann hat Heynckes meiner Meinung nach eigentlich alles erfüllt, was man erwarten konnte, denn eine komplett neue Spielphilosophie gehörte nie dazu.
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Schnumbi
30.05.2012 | 17:45 Uhr
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Schnumbi : 
30.05.2012 | 17:45 Uhr
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Schnumbi : 
sehr sehr starker beitrag und ich hoffe er findet die entsprechend würdigung.

nur zu einem ansatzpunkt hätte ich von dir gerne was gehört. wie siehst du die personalie jupp heynckes ??

ich tue mich nachwievor schwer mit ihm. weiß nicht ob der die beste lösung ist.

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Voegi
MODERATOR
30.05.2012 | 17:18 Uhr
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Voegi : 
30.05.2012 | 17:18 Uhr
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Voegi : 
erst einmal vielen dank für deinen gastbeitrag!! darüber freuen wir uns sehr.

mir persönlich gefällt dein beitrag ausgesprochen gut, weil er eine absolut sachliche einordnung der dinge vornimmt. auch ich habe mich nach dem verpassen der titel geärgert und im ersten frust vielleicht viel zu viel in frage gestellt. mit etwas abstand und der nötigen portion nüchternheit kann ich dir aber nur recht geben. es ist wahrlich nicht alles schlecht beim fcb. im gegenteil, es wird sehr vieles sehr richtig gemacht. und nein, man darf jetzt nicht alles in frage stellen und wie nach jeder titellosen saison reflexartig einen umbruch fordern. dieses geschrei nach einem umbruch empfinde ich ohnehin immer als sehr populistisch.

für mich persönlich bleibt das problem, dass der mannschaft ein wenig ein bestimmter spielertypus abgeht. eine führungsperson, ein kampfschwein, eine autorität - oder wie auch immer man das nennen mag. schweini hat am ehesten das zeug dazu - aber noch fehlt da was.

wie auch immer: sehr starker gastblog. danke!
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