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07.05.2010 um 03:38 Uhr
Zwischen Kult und Kommerz
Es gab mal eine Zeit, in der es in der Hansestadt Hamburg nur einen ernst zunehmenden Fußballclub gab: den Hamburger Sport-Verein



1983 schoss Felix Magath den 1:0- Siegtreffer gegen Juventus Turin und den HSV damit zu internationalen Ruhm. Die Saison wurde mit dem Gewinn der deutschen Meisterschaft gekrönt; Spieler und Trainer wurden zu gefeierten Legenden in der Stadt. die Rothosen befanden sich auf ihrem absoluten Höhepunkt.

Der FC St. Pauli und andere Hamburger Traditionsvereine, wie Altona 93, dümpelten in den Niederungen des unbezahlten Fussballs herum - der HSV war der bestimmende Verein in Hamburg. Scheinbar nichts konnte diese Entwicklung stoppen, bis eine Wohnungsgesellschaft 1984 in der Hafen- und Bernhard-Nocht-Straße mehrere Wohngebäude wegen Unbewohnbarkeit und fehlender Rentabilität abreißen lassen wollte. Was dann geschah, war einer der größten politischen Kämpfe zwischen Bevölkerung und Politik, den die Bundesrepublik Deutschland seit ihrer Gründung erlebte. Und der Beginn der "Totenkopf"-Bewegung.

Fußball als "Klassenkampf"

Das Publikum wurde immer stärker durch die Ereignisse an der Hafenstraße geprägt und der "schwarze Block" fing an sich auf der Gegengerade des Millerntors zu treffen, in dem sich hauptsächlich Bewohner der Hafenstraße aufgehalten haben soll. Einer ihrer Mitglieder, "Doc Mabuse" brachte als Erster den Totenkopf ins Stadion - als Zeichen für den Piraten, der sich immer wieder den Repressalien der Mächtigen ausgesetzt war. Der FC St. Pauli stieg Ende der 80er in kürzester Zeit von der Oberliga in die Bundesliga auf und das Bild des kleinen, idealistischen Underdog, der die mächtigen, kommerziell ausgerichteten Teams ärgert, wurde geboren. Das Image des Freibeuters passte wie die Faust aufs Auge. Fußballspiele wurden zum Klassenkampf stilisiert, gegnerische Spieler als "Pfeffersäcke" bezeichnet und in Uli Hoeneß sah man schlicht die Reinkarnation allen Bösens, das den Fussball durch Kommerz zerstört.



Als sich ...grüße und rassistische Äußerungen im Volksparkstadion häuften, suchten viele Anhänger ihr Glück am links-alternativen Millerntor. Nicht zufällig wurde der FC St. Pauli der erste Club Deutschlands, der rassistische und sexistische Äußerungen in der Stadionordnung verbieten ließ. Die Kiezkicker fanden zwar bundesweit immer mehr Sympathisanten und der HSV in der Gunst der Hamburger, auch aufgrund der immer schwächeren Leistungen nach 1987, langsam eingeholt. Das Geschehen auf dem Rasen hingegen geriet immer mehr zu Nebensache. Fankleidung und Stadionbesuch waren (und sind es bis heute) vielmehr Zeichen der politischen Orientierung als Unterstützung des Teams. Die neu dazugewonnen "Fans" sorgten zwar für die einmalige Atmosphäre am Millerntor, aber viele langjährige Anhänger sahen die neue Fankultur kritisch. Zu wenig Fußball, zu viel Politik auf den Rängen.

Der Totenkopf als Symbol der Gewalt

Der Totenkopf eroberte die Fanblöcke im rasenden Tempo und der FC St. Pauli wurde endgültig zum "Kultclub" gemacht, aber nicht allen im Verein schmeckte diese Entwicklung. Alteingesessene Fans sahen in den zahlreichen Flaggen ein "Symbol der Gewalt" und die Vereinsführung wollte nicht mit auf den Zug aufspringen. Merchandise mit Totenkopfsymbol gab es lange nur im 1990 von Fans gegründeten "Fan-Laden".

Die Präsidentschaft von Patriarch Heinz Weisener trug ihr übriges zum Bild der Freibeuter der Liga bei: Wenn irgendwo Geld fehlte, half "Papa Heinz" aus und zeigte sich spendabel. So war man fast ein Jahrzehnt lang in der Lage, den Kommerz zu vernachlässigen und den "Chaosclub" weiterhin auf idealistische Art und Weise zu führen. Die Fans, die den Bärenanteil am Image des Clubs ausmachten, wurden in wichtigen Fragen angehört und genossen viele Freiheiten im Stadion. Als Weiseners Präsidentschaft im Jahr 2000 endete, weil man eine zu große Abhängigkeit befürchtet hatte, hätte man der Realität ins Auge sehen müssen. Wenn da nicht wenig später der Aufstieg in die Bundesliga gewesen wäre...

Der Neubeginn: Die "Retter"- Jahre

So furios der Aufstieg in die erste Liga gelang, so furios war auch der Niedergang in die Drittklassigkeit. Nicht, dass man nur sportlich abgestürzt wäre - der Verein stand kurz vor dem finanziellen Ruin. Zu blauäugig hatte man sich aufgestellt, zu viele, zu teure Spieler eingekauft und seriöse Finanzierungen gab es schlicht weg nicht. In dieser Zeit musste man die bittere Erkenntnis hinnehmen, dass man seine Rechnungen nunmal nicht mit Luft und Liebe bezahlen kann. In der Zeit der größten Not musste man sich an den "Klassenfeind" von einst wenden: Uli Hoeneß. Am 12. Juli 2003 fand ein Benefizspiel zwischen dem FC St. Pauli und dem FC Bayern statt, dass über 200.000 Euro in die klammen Kassen spülte. Seither ist das einstige Hassobjekt Kult am Millerntor und wird bei jedem Besuch gefeiert.

Nach zahlreichen anderen Aktionen, wie "Saufen für St. Pauli" oder den Verkauf der bekannten "Retter"-Shirts konnte der Verein gerettet werden. Jetzt stand man jedoch vor einer weittragenden Frage: Macht man weiter wie bisher und verzichtet auf Kommerzialisierung oder versucht man ver-nünftig zu wirtschaften, um den Verein langfristig im Profifussball halten zu können?

Die Entscheidung fiel auf zweiteres. Die Rechte für das "Totenkopf"-Merchandising wurden bereits im Jahr 2000 erworben, man fing an auf kostengünstige, junge Spieler zu setzen und entwickelte Pläne für einen Ausbau des Millerntorstadions. Bei den Fanartikeln wurde auf Kreativität gesetzt ("Wir sind zweitklassig!") und der Status des "Kultclubs" aufrecht erhalten, um eine langfristige Einnahmequelle zu sichern. Die gesamten Strukturen wurden überdacht und durch kostengünstigere Lösungen ersetzt. Alles, was nicht niet- und nagelfest im Verein verankert war, wurde verkauft. Alles, was nicht zu 100 % von Nöten war, wurde gestrichen. Kurzum: Der Kommerz hielt Einzug in den Kiez.

(Dieser Beitrag ist auch in meinem Blog zu finden.)
Aufrufe: 8132 | Kommentare: 5 | Bewertungen: 13 | Erstellt:07.05.2010
ø 8.5
KOMMENTARE
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gartenzwerg
07.05.2010 | 09:09 Uhr
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07.05.2010 | 09:09 Uhr
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Prima Blog, den hatte ich auch schon im Kopf, bin aber durch
den ganzen HSV-Scheiß noch nicht dazu gekommen.
Ich würde, wie uromulus (geiler Avatar) auch gern einen zweiten
Teil sehen, in dem auf das hier und jetzt (Corny und Stadion)
eingegangen wird.
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xxlhonk
07.05.2010 | 12:27 Uhr
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xxlhonk : 
07.05.2010 | 12:27 Uhr
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xxlhonk : 
Schöne Nummer, aber in der Tat nur die erste Hälfte eines spannenden Spiels.

Ich würde auch gerne noch mehr dazu lesen...

@Norbert Nigbur
Warum fährst Du denn nicht mit zur WM?
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flandaman
07.05.2010 | 21:14 Uhr
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flandaman : 
07.05.2010 | 21:14 Uhr
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flandaman : 
Erstmal Danke für die Blumen.

Eigentlich war nie ein zweiter Teil geplant, da ich nur erzählen, wie die heutige Fankultur aussieht und warum der FC St. Pauli genauso kommerziell arbeitet, wie jeder andere Verein - entgegen aller Gerüchte.
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BadBlue
08.05.2010 | 09:36 Uhr
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BadBlue : 
08.05.2010 | 09:36 Uhr
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BadBlue : 

Saubere Arbeit!
War sehr interessant zu Lesen.
Ist viel wahres dran.
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Da_King
08.05.2010 | 12:28 Uhr
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Da_King : 
08.05.2010 | 12:28 Uhr
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Da_King : 
naja durchschnittlich! geb dir 5 gut gemeinte punkte, weil die St. Pauli fans den Uli nicht mochten!!!
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