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18.03.2010 um 19:37 Uhr
Zeitreise - Der Papierene
Zeitreise - Matthias Sindelar

Januar 1939 - es ist der letzte Winter im Frieden vor der größten Katastrophe des 20. Jahrhunderts, das erste "Super Man" Comic ist gerade erschienen, im Jahr zuvor ist Italien Fussballweltmeiser geworden und nun liegt am 23. Januar in einer Wohnung im Wiener Stadtteil Favoriten, der vielleicht größte Fußballer den Österreich je hervor gebracht hat, tot auf seinem Bett.



Er war ein Kind aus Favoriten
und hieß Matthias Sindelar
Er stand auf grünem Platz inmitten
weil er ein Mittelstürmer war
Er spielte Fußball, und er wußte
vom Leben außerdem nicht viel
Er lebte, weil er leben mußte
vom Fußballspiel fürs Fußballspiel




So beginnt Friedrich Torbergs Gedicht über den vielleicht größten Fussballer Österreichs - Matthias Sindelar, der am 10. Februar 1903 in einem kleinen mährischen Dorf namens Kozlau zur Welt kommt. Es ist eine Zeit, in der immernoch Könige und Kaiser Europa regieren und in der immernoch arme Menschen vom Land Zuflucht und Arbeit in den großen Metropolen suchen. So auch die Sindelars, die nach Wien in den 10.Bezirk ziehen und schon früh erkennt man dort, dass "Motzl", so der Spitzname Sindelars ein guter Fußballer ist.
Aber der 1.Weltkrieg wirft auch seinen Schatten auf die Sindelars. Der Vater fällt und Matthias beginnt eine Lehre als Schlosser um seine nun mehr Alleinerziehende Mutter zu unterstützen, doch er hat auch noch Zeit für den Fußball und wird entdeckt. Er spielt von nun die ASV Hertha Wien und hier erhält er den Namen, der ihn immer begleiten wird: da er zu schmächtig für die teils deftigen Zweikämpfe jener Zeit ist und ihnen aus dem Weg geht, nennt man ihn "den Papiernen".

Er spielte Fußball wie kein zweiter
er stak voll Witz und Phantasie
Er spielte lässig, leicht und heiter
er spielte stets, er kämpfte nie
Er warf den blonden Schopf zur Seite
ließ seinen Herrgott gütig sein
und stürmte durch die grüne Weite
und manchmal bis ins Tor hinein


Ein schlimme Knieverletzung hätte seine Karriere beinahe beendet, aber dank modernster Medizin, kann er weiterspielen. Nun perfektioniert er seine körperlose Spielweise umso mehr, da ihn die Angst vor einer weiteren Verletzung umtrieb. 1924 wechselt er zum FK Austria Wien, die zu diesem Zeitpunkt noch "Wiener Amateur-Sportverein" heisen. Mit dem FK Austria Wien gewinnt er 1925 und 1926 das Double und holt in den nächsten Jahren noch zwei weitere Pokalsiege.

Es jubelte die Hohe Warte
der Prater und das Stadion
wenn er den Gegner lächelnd narrte
und zog ihm flinken Laufs davon


Bereits 1926 hatte er in der Nationalmannschaft debütiert und war ein Teil des Österreicher Wunderteams, dass ab 1930 für ein paar Jahre den europäischen Fussball mit einer für damalige Verhältnisse unglaublichen Siegesserie dominieren sollte. Das wahrscheinlich beste Spiel seiner Nationalmannschaftskarriere absolvierte Sindelar jedoch gegen den damaligen großen "Erzfeind" Ungarn am 24. April 1932. Ungarn war damals noch, wie Österreich, eine der besten Mannschaft der Welt. Österreich gewann 8:2, Sindelar brachte Österreich bereits früh durch zwei Tore in Führung, konnte vor der Pause noch ein weiteres Tor erzielen und bereitete alle fünf weiteren Treffer vor.
Zur Weltmeisterschafft 1934 im faschistischen Italien wurde von dem Wunderteam der Titel erwartet. Sindelar war der beste Mann in einer enttäuschenden Mannschaft, die mit Glück 4. wurde.
Sindelar, der Papierne, lebte noch immer in Favoriten, in der Wohnung seiner Mutter, dies sollte sich auch nicht mehr ändern. Er sollte Wien und "seinem" Stadtteil bis zu seinem Tod die Treue halten. Nicht, das er keine Möglichkeiten hatte Wien zu verlassen, nach drei Siegen mit der Austria im Mitropa-Cup, einem Vorgänger der heutigen Champions League, hatte er lukrative Angebote aus dem Ausland, auch Arsenal London interessiert.

Bis eines Tages ein andrer Gegner
ihm jählings in die Quere trat
ein fremd und furchtbar überlegener
vor dem’s nicht Regel gab noch Rat
Von einem einzigen harten Tritte
fand sich der Spieler Sindelar
verstoßen aus des Planes Mitte
weil das die neue Ordnung war
Ein Weilchen stand er noch daneben
bevor er abging und nachhaus
Im Fußballspiel, ganz wie im Leben
war’s mit der Wiener Schule aus


Kurz vor der Weltmeisterschaft 1938 zogen die Schatten einer bevorstehen Katastrophe wieder herauf. Sindelar bereitet sich gerade mit seinen Nationalmannschaftskollegen auf die Weltmeisterschafft in Frankreich vor, da erfolgt der Anschluss Österreichs an das Dritte Reich. Die Nationalmannschaft wird aufgelöst.
In ihrem letzten Spiel, dem "Anschluss"-Spiel wird Sindelar, als Kapitän der Österreicher die Nazis brüskieren. Als Zeichen der Unabhängigkeit laufen die Österreicher in Rot-Weiß-Rot auf, zum allersten Mal. Sind überlegen, aber vergeben absichtlich ihre Chancen und nach seinem Tor zum 1:0 einen Freudentanz vor der Ehrentribüne der Nationalsozialisten vollführte. Reichssportführer Hans von Tschammer und Osten mahnte in der Halbzeitpause zur Ruhe. Österreich gewann das Anschlussspiel schließlich 2:0, den zweiten Treffer erzielte Sindelars Freund Karl Sesta mit einem Freistoß aus 45 Metern Entfernung.
Im selben Jahr musste der Papierene sich ein neue Arbeit suchen, denn er weigert sich für Nazi-Deutschland zu spielen und der "verjudete" Profi-Fußball in Österreich wurde von den Nazis verboten. Und so eröffnete der Spitzenfussballer ein Kaffeehaus in Wien.

Er war gewohnt zu kombinieren
und kombinierte manchen Tag
Sein Überblick ließ ihn erspüren
daß seine Chance im Gashahn lag
Das Tor, durch das er dann geschritten
lag stumm und dunkel ganz und gar

Nun am 23. Januar 1939 wird Sindelar tot auf seinem Bett in der Annagasse 3 gefunden, neben ihm liegt seine Freundin Camilla Castagnola, eine Frau jüdischer Herkunft, die er erst wenige Wochen zuvor kennen gelernt hatte. Sie starb einen Tag nach Sindelar, ohne noch einmal zu Bewusstsein gekommen zu sein. Die offizielle Todesursache hieß Kohlenmonoxidvergiftung. Bis heute gibt es zu seinen näheren Todesumständen zahlreiche Spekulationen.

Über 15.000 Menschen folgten dem Mittelstürmer zu seinem Begräbnis am Wiener Zentralfriedhof.

Mit ihm geht das wohl glanzvollste Kapitel des Österreichischen Fussballs zu Ende. Aber die Erinnerungen an ihn und sein Wiederstand gegen die Nazis überdauern seinen Tod bis heute.

Er war ein Kind aus Favoriten/
und hieß Matthias Sindelar


Wer sich für das Thema interessiert:
Hier sein Leben als Comic
Aufrufe: 5267 | Kommentare: 17 | Bewertungen: 10 | Erstellt:18.03.2010
ø 9.1
KOMMENTARE
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UliFan
MODERATOR
18.03.2010 | 20:11 Uhr
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UliFan : 
18.03.2010 | 20:11 Uhr
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UliFan : 
Aha!!
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Kaiser01
19.03.2010 | 08:57 Uhr
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Kaiser01 : 
19.03.2010 | 08:57 Uhr
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Kaiser01 : 
Stark Criftler!
Super geschrieben, top mit den Gedichtspassagen zwischendurch.
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duderino11
19.03.2010 | 14:03 Uhr
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duderino11 : 
19.03.2010 | 14:03 Uhr
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duderino11 : 
kannte ich bisher nicht. schöner blog
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Donovan
22.03.2010 | 17:24 Uhr
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Donovan : 
22.03.2010 | 17:24 Uhr
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Donovan : 
Sehr interessant!

10 Punkte!
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zerstörer79
23.03.2010 | 12:12 Uhr
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23.03.2010 | 12:12 Uhr
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Sehr interessant geschrieben, 10 Punkte. Auch wenn ich wie viele meiner Vorredner noch nie etwas von Sindelar gehört habe!
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jasi2106
30.03.2010 | 23:09 Uhr
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jasi2106 : 
30.03.2010 | 23:09 Uhr
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jasi2106 : 
Ich hatte bis jetzt noch nie was von ihm gehört.

Sehr interessant dein Blog. Habe ihn sehr gerne gelesen. Auch sehr schön wie immer wieder die Teile des Gedichtes dazwischen sind.

10 P natürlich
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Bayernpass
18.10.2010 | 19:03 Uhr
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Bayernpass : 
18.10.2010 | 19:03 Uhr
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Bayernpass : 
super geschrieben 10 punkte
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