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13.02.2011 um 19:55 Uhr
Von Kontinuität und Realität
Hallo zusammen,

dies ist mein erster Blog und ich bitte daher um Nachsicht für Fehler, die mir unterlaufen. Mein Anliegen ist es, für den Außenstehenden ein wenig meine Sicht auf die Dinge zu werfen, die bei Borussia Mönchengladbach im Hintergrund abgelaufen sind in der Ära Frontzeck und die zu seiner heutigen Demission führten.

Diese Saison hat sich für Borussia Mönchengladbach bisher als Horrorsaison herausgestellt, man ist abgeschlagen am Tabellenende, hat seit fast einem Jahr nicht mehr daheim (!) gewonnen und jedes Spiel zeigt auffällig gleiche Muster, bei denen am Ende stets eine weitere Niederlage und mit hoher Sicherheit der Abstieg steht. Nun musste der Trainer gehen, nachdem man lange Zeit das Hohelied der Kontinuität sang, teilweise hatte man den Eindruck, es gefiel den Verantwortlichen, sich als eine Insel der Menschlichkeit und Nestwärme im Meer des knallharten Fußballbusiness zu inszenieren. Vielleicht waren mit diesem Gegen-den-Strom-Schwimmen auch Schuldgefühle aufgrund der eigenen jüngeren Vergangenheit zu kompensieren versucht worden, als am Borussiapark eine Trainer- und Spielerfluktuation herrschte, die dem Verein beim Boulevard den wenig schmeichelhaften Spitznamen "Kaufhaus des Westens" einbrachte. Bei den Journalisten kam diese Strategie hervorragend an, etliche "vom Saulus zum Paulus"-Berichte säumten das Gekicke unserer Trümmertruppe in medialer Hinsicht, so dass es nahezu grotesk erschien.
Mit dem heutigen Tag scheint alles Gerede als scheinheilige Lüge entlarvt zu sein. Aber ist es das wirklich?

Meine These lautet: Der Fehler liegt darin, Frontzeck nicht schon längst gefeuert zu haben. Ihn jetzt zu feuern, ist ein Spiegelbild dessen, was in dem Club im Hintergrund abläuft. Dazu benötigte man folgende Zutaten:

1) Einen Trainer, welcher sich noch nirgendwo nachhaltig als kompetenter Mann beweisen konnte. Ich will nicht in das boulevardeske Gerede vom "Abstiegstrainer" einsteigen, viele Aspekte seiner Trainingslehre kann ich nicht beurteilen, daher will ich mich darauf beschränken, was ich erkenne:

a) Frontzeck ist ein Trainer, der die Sprache der Spieler spricht. Es erscheint aber keine natürliche Autorität von ihm auszugehen. Er kann daher keine Disziplinlosigkeiten im Keim ersticken, sondern sie nur in aller Härte bestrafen, wenn es dazu kommt. Damit schwächt man sich teilweise dann freiwillig selbst.

b) Frontzeck hat eine erkennbare Handschrift, ein Konzept. Was ihm fehlt ist hingegen die Fähigkeit, auf Unvorhergesehenes zu reagieren. Er zieht stur sein Konzept durch, Woche für Woche, betont immer, dass er allen Spielern vertraut, alle für gut genug hält. Wenn der Gegner mal in der 30. Minute auswechselt, das System komplett umstellt - bei uns undenkbar. Die Auswechslungen erfolgen spät und Position für Position, Variabilität ist nicht erkennbar.

2) Einen Manager, dessen fachliche Qualitäten ich hier zunächst nicht bewerten will, bei dem aber eines klar ist: Ihn verbindet mit Michael Frontzeck eine persönliche Freundschaft, die ihn in gewisser Weise betriebsblind machte. Er war es, der jede Diskussion über den Trainer vehement unterband und sich damit zunehmend im Umfeld selbst in die Schusslinie brachte.

Damit sind wir erneut bei dem Begriff der Kontinuität und seiner unterschiedlichen Wahrnehmung: Denn während die Führungsriege die Kontinuität nahezu als Kampfbegriff verwendete und Eberl zunehmend wie ein Sektenführer wirkte, der den Begriff wie eine Monstranz vor sich hertrug, teilte man die Begeisterung der Medien im Umfeld nicht. Man begriff die Kontinuität mit zunehmendem Misserfolg nicht mehr als etwas Positives, worauf man stolz sein konnte, sondern als von außen aufoktroyierte Kontinuität, als eine Ideologie ohne dahinterstehende Substanz, eine Kontinuität um der Kontinuität willen. Kontinuität ist aber nur dann sinnvoll, wenn sie in Wechselwirkung zu den Zielen steht, die man verfolgt und dann, wenn diese Ziele nicht erreicht werden, auch ein Hinterfragen stattfindet, ob die Linie nicht in eine falsche Richtung führt. Kontinuität ist nicht von Beginn an als tragende Säule eines Konzeptes da, sie wächst aus Erfolg. Wo ein Trainer bereits erfolgreich gearbeitet hat, dort wird der Fan sich im Falle des plötzlichen Misserfolges auf die Mannschaft fokussieren. Er wird zunächst sagen - entgegen den Mechanismen der Branche - "IHR SPIELER seid die Versager. Der Trainer hat schon häufiger gezeigt, was er kann." Diese Denkweise im Umfeld ist eine nötige Voraussetzung von Kontinuität. Indem man dann am Trainer festhält, leitet man den Druck auf die Spieler weiter und häufiger - natürlich nicht immer - kommt man am Ende gemeinsam mit eben diesem Trainer aus der Krise heraus.

Nun war Frontzecks Kredit bei den Fans sehr dünn, er erarbeitete ihn sich durch eine ordentliche Saison. Es war eine Saison, in der einiges gut lief. Wir hatten eine vernünftige Hinrunde, so dass das traditionell in der Vergangenheit des Mythos lebende Umfeld ruhig blieb. Wir hatten kein Pech mit den Schiedsrichtern, wenige kritische Entscheidungen gegen uns. Wir blieben von schweren Verletzungen verschont, so dass wir meist auf eine erste Elf zurückgreifen konnten, die man ohne Zweifel als bundesligatauglich ansehen konnte. Gleichwohl, es gab Alarmsignale. Die besorgniserregende Anzahl von Gegentoren, die Formschwäche von Bailly, die oft lustlosen Südamerikaner. Man konnte die Signale nicht laut vernehmen, in all der Freude über eine endlich sorgenfreie Saison. Aber sie waren da. Wie eine Krankheit, die auf den Ausbruch wartet.

Diese Saison änderte sich alles. Leistungsträger fielen lange aus. Schiedsrichter trafen falsche Entscheidungen. Spieler sorgten für Ärger, wurden suspendiert, spielten lustlos, die Mannschaft wirkte jede Woche aufs neue schlecht eingestellt, auch konditionell und mental nicht auf der Höhe. Nur eins änderte sich nicht. Die Kontinuität, sowohl in Personalfragen als auch in Taktikfragen. Und im Misserfolg. Sie blieb, und mit ihr wuchs die Wut und kam eine längst vergessene Klientel zurück. Die Anfangs-Skeptiker, die "ich hab es euch doch gesagt"-Leute. Sie kamen hervor und wurden Woche für Woche in ihrer Sichtweise bestärkt. Auch die Leute, die einen natürlichen Würgereflex gegen unreflektiertes, pöbelhaftes "Trainer raus!"-Geschreie entwickelt haben und reflexartig den Trainer stützen, ertrugen es nicht mehr, wie sich jede Woche aufs Neue die Ereignisse wiederholten und liefen scharenweise zu den "Antis" über.

Der heutige Tag kann als Scheitern von Eberls Konzept gewertet werden. Wir haben Kontinuität gepredigt, aber waren nicht konsequent genug, mit dem Trainer in die 2. Liga zu gehen. Gleichzeitig war es zu viel, um den überfordert scheinenden Frontzeck früher zu erlösen. Der neue Trainer wird die Rolle des sportlichen Insolvenzverwalters übernehmen dürfen, dessen Aufgabe vorrangig darin besteht, noch heile Teile des kaputten Teams für ein Zweitligajahr zu begeistern. Ein Jahr, was alles andere als leicht wird...
Aufrufe: 2024 | Kommentare: 0 | Bewertungen: 4 | Erstellt:13.02.2011
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