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20.02.2010 um 14:00 Uhr
Videobeweis im Profifußball
Videobeweis im Profifußball - Tod des Sports oder Weg der Zukunft

In den letzten Wochen rumort es in Foren, in Stadien, an Stammtischen, in Talkrunden. Das bestimmende Thema: Schiedsrichter.
Neben dem "Fall Amarell" geht es hierbei vor allem um Fehlentscheidungen verschiedener Schiedsrichter in verschiedenen Spielen. Henry's Hand gegen Irland, das Phantomtor von Duisburg, das Skandalspiel von Augsburg gegen den 1. FC Köln, Kloses Abseitstor gegen Florenz,... Die Liste scheint endlos zu sein.

Unter diesem Eindruck wird der Ruf nach Veränderung und Kontrolle immer lauter. Auch wenn die FIFA sich querstellt, finden sich unter Spielern, Trainern und Verantwortlichen immer mehr Freunde einer Lösung: der Videobeweis soll seinen Weg in den Profifußball finden.


Möglichkeit 1: Die Challenge
Eine oft diskutierte Möglichkeit ist, eine Lösung aus dem American Football zu übernehmen. Jeder Trainer soll eine gewisse Anzahl an "Challenge"-Möglichkeiten erhalten. So kann er in strittigen Situationen fordern, dass der Videobeweis zu Rate gezogen wird. Nach Sicht der Fernsehbilder entscheidet der Schiedsrichter dann eventuell neu.
Übernimmt man die Regelung so, wie sie im American Football praktiziert wird, bekommt der Trainer eine weitere Challenge-Möglichkeit, wenn er all seine Möglichkeiten genutzt und dabei jedes Mal Recht behalten hat.

Vorteile: Das Spiel wird nicht dauernd unterbrochen, sondern nur in einer kalkulierten Anzahl von Fällen. Jeder Trainer kann selbst entscheiden, wie wichtig ihm die genaue Entscheidung ist. So wird vermieden, dass für vermeintlich unwichtige Entscheidungen viel Zeit aufgewendet wird.

Nachteile: Durch den enormen Wert einer Challenge, würde vermutlich jede Challenge viel Zeit kosten. Außerdem würden, weil nicht jede Entscheidung überprüft wird, weiter Fehlentscheidungen unkorrigiert bleiben, die sich vielleicht im Nachhinein als Spielentscheidend herausstellen. Die begrenzte Anzahl an Challenges macht es für einen Trainer evtl. unmöglich, eine sehr späte Fehlentscheidung korrigieren zu lassen, weil er keine Challenge mehr übrig hat.


Möglichkeit 2: Der klassische Videobeweis
Eine andere Möglichkeit wäre der "klassische Videobeweis", wie er Beispielsweise im Eishockey praktiziert wird. Hier liegt die Entscheidung, ob der Videobeweis zu Rate gezogen wird, beim Schiedsrichter. In manchen, genau von den Regeln festgehaltenen Spielsituationen (in Frage kämen z.B. vermeintliche Abseitstore), kann der Schiedsrichter nach eigenem Ermessen entscheiden, ob er die Szene noch einmal sehen möchte. Danach fällt er seine Entscheidung.

Vorteile: Die häufigsten Fehlentscheidungen, wie Abseitstore, Handspiele, vielleicht auch schwere Fouls und Tätlichkeiten, könnte man überprüfbar gestalten. Der Anzahl an Entscheidungen, die überprüft werden können, ist nahezu grenzenlos.

Nachteile: Je mehr Entscheidungen man der Überprüfung zugänglich macht, desto mehr Unterbrechungen würden das Spiel bestimmen. Schiedsrichter könnten sich einen Ruf als Überprüfungsfanatiker erarbeiten und dadurch den Unmut der Beteiligten auf sich ziehen, andere müssten sich vielleicht den Vorwurf gefallen lassen, den Videobeweis zu selten zu nutzen, um das Spiel kurz zu halten. Die Spiele würden unterschiedlich lang dauern, Konferenzschaltungen würden erheblich erschwert. Dadurch, dass der Schiedsrichter weiter Herr der Entscheidung bleibt, ändert sich nicht zwingend etwas an der Situation. Niemand könnte dem Schiedsrichter vorschreiben, den Videobeweis zu nutzen. Fehlentscheidungen werden also nicht unbedingt weniger.


Möglichkeit 3: Der Videoschiedsrichter
Die letzte Möglichkeit, die ich hier vorstellen möchte, wäre die wohl größte Revolution. Es wird zusätzlich zu den vier (mit Torschiedsrichtern sechs) Verantwortlichen auf dem Feld ein neuer Schiedsrichter, der Videoschiedsrichter, eingeführt. Er sitzt in einer Kabine, per Funk mit dem Hauptschiedsrichter auf dem Feld verbunden. Um ihn herum hat er Bildschirme, auf denen das Spiel aus diversen Kameraperspektiven zu verfolgen ist, zusätzlich die Fernsehbilder. Außerdem bekommt er die Möglichkeit, Wiederholungen, Zeitlupen und technisch bearbeitetes (Abseitslinie) Bildmaterial zu sehen.
Auf dem Feld bleibt vorerst alles beim Alten. Die Ausnahme ist die, das unklare Abseitssituationen laufen gelassen werden, strittige Foulentscheidungen werden dafür immer abgepfiffen. Auch in anderen Situationen würde man fest entscheiden, wie die Entscheidung grundsätzlich ist.
Parallel überprüft der Videoschiedsrichter die Entscheidung in seiner Kabine. Wenn es Abseits ist, sagt er dies dem Schiedsrichter aufs Ohr, der dann, wenn die Situation nicht von selbst bereinigt wird (das Spiel läuft ja weiter), abpfeift. Bei Foulentscheidungen kann der Videoschiedsrichter diese dem Schiedsrichter auf dem Platz bestätigen oder korrigieren. Dann geht es mit Freistoß oder Schiedsrichterball weiter. Auch bei den Karten kann jemand, der die Szene öfter und aus verschiedenen Perspektiven sieht, helfen.
So wird jede Entscheidung auf dem Feld quasi in Echtzeit anhand der Fernsehbilder überprüft.

Vorteile: Jede, wirklich jede Entscheidung wird von einem nur dafür zuständigen Schiedsrichter, der sich nicht der Diskussion mit den Spielern stellen muss, fast in Echtzeit überprüft. Fehlentscheidungen werden hierdurch minimiert, trotzdem bleiben die Situationen, in denen man so oder so entscheiden kann, dem Fußball erhalten. Der oft gerügte Verlust der Diskussionsmöglichkeiten wäre nicht gegeben.

Nachteile: Die Regeln, die geändert werden müssten, sind beachtlich. Das Spiel wäre kein komplett anderes, aber es würde sich enorm verändern. Es wäre wohl keine Evolution des Fußballs, sondern eine absolute Revolution. Außerdem hätte der Videoschiedsrichter starken Einfluss auf das Spiel, vielleicht stärkeren als der bisherige Hauptschiedsrichter.


Fazit und eigene Meinung
So lange Sepp Blatter FIFA-Präsident ist, wird keine der genannten Möglichkeiten umgesetzt. Auch die infrage kommenden Nachfolger müssen nicht zwangsläufig eine Umsetzung des Videobeweises befürworten.
Sollte jedoch der Wunsch nach dem Videobeweis endlich Gehör finden, so hat jede Umsetzungsmöglichkeit ihre spezifischen Vor- und Nachteile. Jede Möglichkeit hat eine andere Eingriffsstärke in das Spiel, so wie es sich in den letzten 150 Jahren entwickelt hat.
Ich persönlich bin schon lange ein Fan von Möglichkeit 3. Die Schiedsrichter haben nicht die Fähigkeiten, das schnelle Spiel, so wie es sich entwickelt hat, noch alleine und ohne technische Hilfsmittel zu leiten. So, wie sich die Technik entwickelt hat, wäre es blauäugig und rückständig, diese Hilfsmittel nicht zu verwenden.

Dem Videoschiedsrichter gehört die Zukunft im Profibereich. Die Nichtumsetzbarkeit im Amateurbereich ist hierfür nicht hinderlich, was das HawkEye im Tennis oder die Videobeweise in anderen Sportarten eindrucksvoll zeigen.
Aufrufe: 13416 | Kommentare: 38 | Bewertungen: 24 | Erstellt:20.02.2010
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KOMMENTARE
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Mutu77
22.02.2010 | 22:02 Uhr
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Mutu77 : 
22.02.2010 | 22:02 Uhr
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Mutu77 : 
Cooles Thema zu coolem Blog!

Ich persöhnlich bin für Nummer 1, da es einfach die kleinste "Revolution" ist. Allerdings könnte ich mir bei einigen Trainer vorstellen, dass sie bei jeder noch so klaren Entscheidung die Challenge einsetzen, denn manche Coaches wollen es ja selbst nach dem Spiel nach dem Schauen der Fernsehbilder nicht einsehen, dass sie im Unrecht waren.
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Master_Of_Disaster
22.02.2010 | 22:09 Uhr
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22.02.2010 | 22:09 Uhr
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Gut - das ist aber auch NFL Show. Ich denke mal schon, dass da unsere Coaches den höheren Sachverstand haben. So mancher wird dann wohl eher warten auf die Entscheidungen - denkt man da einfach an das Spiel Bayern vs. Florenz. Da wäre die Challenge spiel entscheidend gewesen.

Egal wie und wo...!!!
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yii_
22.02.2010 | 22:29 Uhr
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yii_ : 
22.02.2010 | 22:29 Uhr
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yii_ : 
1.

Das Spiel wird zerrissen? Mitnichten. Studien haben ergeben das die Nettospielzeit eines Spieles bei der WM 2006 im Durchschnitt 60min betrug.
60 Minuten! Der Rest wurde durch Fouls, Einwürfe, Freistöße, Torjubel verpulvert. Wenn man Angst hat, dass der Spielfluss zu sehr leidet, könnte man im Gegenzug hierzu versuchen das Ganze etwas flüssiger zu gestalten.

2.

Alles gleicht sich aus?
Dann fragt mal CFC nach der CL-Finalteilnahme. Oder Irland nach einer WM-Teilnahme. Oder...
Es gibt etliche Vorfälle in Turnieren, die zu schweren Benachteiligungen geführt haben und entweder Prestige oder Kröten verloren gegangen sind.
Im Ligabetrieb würde ich vielleicht noch zustimmen, allerdings sehe ich mittelfristig ich internationale Spielvereinigungen im Vormarsch.
Ob eine nationale Liga in 20 - 50 Jahren noch vorhanden lässt sich diskutieren, hängt sicherlich aber auch generell von der internationalen Staatenpolitik ab.

Die technischen Möglichkeiten sind doch da und werden in schon etlichen anderen Sportarten verwendet.
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SouthStar
23.02.2010 | 00:29 Uhr
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SouthStar : 
23.02.2010 | 00:29 Uhr
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SouthStar : 
Viele reden immer davon das ein SPeil durch Videoentscheidungen unnötig unterbrochen würde, jedoch muss man auch sagen das es durch rudelbildung und gemeckere auf dem Platz doch auch ständig unterbrochen wird. Also für mich ist das kein gutes Argument.

@Skibbe17 ich finde das gerdae Abseitstore oder Handspiele viel öfter in einem Speil passieren wie Ball hinter der Linie oder nicht, das sind also viel ausschlaggeberende Situation und müsste auch eher geklärt werden!
Meiner meinung nach müsse vor allem die Abseitsregel geändert werden, zB Abseits nur wenn einer voll hinter einem anderen steht (wie beim Ball voll hinter der Lienie) es kann nicht sein das es Abseits ist weil von einem der Arm oder die Nase :) hinter dem anderen war.
Also Chip im Ball, Videoschiedsrichter und Abseitsänderung Punkt :)
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JayCeeKay
23.02.2010 | 08:47 Uhr
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JayCeeKay : 
23.02.2010 | 08:47 Uhr
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JayCeeKay : 
einerseits lebt fussball immer noch von der emotion, und da gehören ärger und wut natürlich genauso dazu wie freude und euphorie. fehlentscheidungen bilden meist die größte diskussiongrundlage wenn über spiele geredet wird.

dennoch sollte man sich nicht kategorisch gegen die technik stellen. den chip im ball oder einen videoschiedrichter könnte man ja in einer studie , beispielsweise in der gruppenphase der EL mal testen. Danach lässt sich ja ein vergleich ziehn wie sinnvoll oder eben nicht das ganz ist.
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francis08
23.02.2010 | 14:13 Uhr
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francis08 : 
23.02.2010 | 14:13 Uhr
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francis08 : 
Guter Blog, der ist en 10er Wert

Zu 2: Ich finde es nicht gut, dass nur der Schiri entscheiden darf, ob der Videobeweis zu Rate genommen wird. Hab das Gemecker der Spieler schon vor dem geistige Auge..."Schau die Situation nochmal an" balbalba......


Zu 3: Diese Lösung könnte zu einem ganz schönen Durcheinander führen. Zudem ist die Lösung nicht sehr förderlich für die Leistung und Entwicklung der Schiris.

Ich finde die Challenge am besten. Trainer könnte, wie beim Tennis, dreimal ihr Veto einlegen in kritischen Situationen.
Was sind kritische Situationen....
...Ein komplette Situation, die zum Tor führt
...Tätlichkeiten
...Alle Situation im Strafraum (bzw. 20 M vor dem Tor), sprich Abseits, Foul, Handspiel
Zudem könnte man festlegen, was nicht gechallenge werden darf, wie z. B. Einwurf, Toraus und Fouls außerhalb des Strafraum.

Egal welches Hilfsmittel kommt, und ich hoffe es kommt eins, sollte es klare Richtlinien geben, wie und wann dann Hilfsmittel angewendet wird. Nicht so wie beim Handspiel oder passiven Abseits...
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ismail087
23.02.2010 | 14:46 Uhr
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ismail087 : 
23.02.2010 | 14:46 Uhr
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ismail087 : 
Chip im Ball ist super. Aber bin absplut gegen die 3 Möglichkeiten die oben beschriben worden sind.

Du kannst einfach nicht Football, EIshockey oder sonstiges mit Fußball vergleichen.
Sowei ich weiß(kenn mich nicht so aus) gibt es bei Football soweiso sehr viele Unterbrechungen. Da gibt es sowieso keinen großen Spielfluss.

Beim Fußball dagegn würden die oben genannten Argumente den Spielfluss unterbrechen und es würde m.M.n. viel mehr Unterbrechungen geben wie bei anderen Sportarten, da bei Fußball mehrer Faktoren eine wichtige Rolle spielen. Es würde alle 5 Minuten zum Bruch des Spiels kommen und es wird dann schwiereiger für die Mannschaft ins Spiel zu kommen.
Will damit nur sagen dass der Spielfluss im Fußball einfach eine zu große Rolle spielt.
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Voegi
MODERATOR
24.02.2010 | 19:48 Uhr
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Voegi : 
24.02.2010 | 19:48 Uhr
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Voegi : 
hatte das blog zwar gesehen, aber dann wieder vergessen. bin erst jetzt - der blogschau sei dank - wieder drauf aufmerksam geworden.
fazit: hervorragendes blog, tolle darstellung, mit allen facetten.
persönliche meinung: ich wäre für den videoschiedsrichter. erscheint mir die sauberste lösung und glaube auch nicht, dass es so eine revolution wäre. aber wie du richtig sagst: wird wohl alles eh erstmal nix.
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