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Von: KEMPERboyd
25.04.2013 | 25006 Aufrufe | 35 Kommentare | 61 Bewertungen Ø 9.7
Die wahre Lichtgestalt
Ode an Jürgen Klopp
Warum ein Roter mit Jürgen Klopp sympathisiert
Ich bin Bayernsympathisant (für einen Fan komme ich zu selten dazu, ins Stadion zu gehen). Ich war frustriert über die Dortmunder Dominanz in den letzten zwei Jahren. Ich wollte Borussia Dortmund nicht mögen. Hab mich geärgert, dass die DFL Mitte des letzten Jahrzehnts bei der Lizenzvergabe mehrmals beide Augen zugedrückt hatte. Dass der BVB überhaupt noch in der Liga spielen darf. Dass der gefallene Wohltäter Hoeneß ihnen sogar noch mit Geld ausgeholfen hat.

Ich wollte Jürgen Klopp nicht mögen. Diese gewollte Lockerheit. Dieses ständige Lachen. Die verzerrte Fratze, mit der er auf die vierten Offiziellen dieses Kontinents losgeht. Dieses dauernde Gerede vom Underdog, der als David den Goliath Bayern herausfordert. Der von Platz 3 schwadronierte, als die erste Meisterschaft fast schon feststand. Der von der CL-Quali sprach, als die Titelverteidigung nahezu eingetütet war. Bei dem immer alles unfassbar, unglaublich und verrückt war, wenn seine Mannschaft gewann. Mia san mia gegen Wir sind Fußball. Der den Fußball erfunden zu haben schien. Der nur besiegt werden kann, wenn man sein System plagiiert. Geht mehr Hybris?

Seit Dienstag ist mir das egal. Seit Dienstag ist alles anders. Am Dienstag auf der Pressekonferenz vor dem Halbfinale habe ich die neue Lichtgestalt des deutschen Fußballs gesehen. Natürlich konnte Klopp nicht Mario Götze öffentlich in den Senkel stellen. Aber es wäre leicht gewesen, auf geldgierige Berater einzudreschen. Die Amoralität des modernen Sklavenhandels anzuprangern. Sich über die Stillosigkeit zu beklagen, dass die Bayern es nicht einmal für notwendig hielten, die Dortmunder über den Wechsel zu informieren. Er hätte sich à la Christian Streich mokieren können über Ausstiegsklauseln. Ich erwartete Medienschelte. Die bild-Zeitung, die immer die erste ist, die die deutsche Titellosigkeit in Europa beklagt, versetzt beide deutschen Halbfinalisten in der Nacht zum Dienstag in Aufruhr, so was in der Art. Jürgen Klopp hat rhetorisches Talent. Er besitzt die Gabe zu feiner Ironie. Er hätte all das verbal subkutan injizieren können. Er hätte die negative Schiene fahren können. Und man hätte es ihm verziehen, ja man hätte es verstanden. Ich hätte es verstanden.

Er tat es nicht. Er besaß die Größe, den Profisportdarvinismus ins Bewusstsein der wutschnaubenden BVB-Fangemeinde zu rufen und auf den Reus-Transfer im letzten Jahr zu verweisen. Er lieferte den Fans eine Erklärung, warum Götze wechselt, ohne die Vertraulichkeit des Gesprächs mit seinem wichtigsten Spieler zu verletzen, ohne die Bayern zu provozieren. Er baute den Fans eine Brücke, über die sie gehen konnten. Zugehen auf Mario Götze und auf die Mannschaft. Er sprach von jetzt erst recht und es wirkte nicht wie eine Plattitüde. Er vollführte einen Balanceakt. Er beseitigte Zweifel. Er vermittelte Hoffnung, Glauben und Selbstbewusstsein. Klopp machte aus einem knochentrockenen, durch die Übersetzerin verlängerten Frage-Antwort-Spiel namens Internationale Pressekonferenz vor dem Champions League Halbfinalhinspiel zwischen dem BV Borussia Dortmund und Real Madrid C. F. einen beseelenden Moment. Eine rhetorische Meisterleistung. Fußballerische Verbalerotik. Ich bin seit 1996 Bayern-Mitglied. Ich bin wirklich kein BVB-Fan. Wirklich nicht, überhaupt nicht. Ich werde es nie werden. Ich hatte Gänsehaut. Nach einer Pressekonferenz des BVB!

Jürgen Klopp führte einen Verein und seine Fans zusammen, als sie auseinanderzubrechen drohten. Ausgerechnet vor dem größten Spiel seit 15 Jahren. Er fand die richtigen Worte. Ganz instinktiv. Authentisch, ehrlich, direkt. Ich habe ihm jedes Wort abgekauft. Und die ca. 65.000, die Mittwoch Abend im Stadion waren, offenbar auch. Von der Mannschaft ganz zu schweigen.

Ich weiß jetzt, warum sie Jürgen Klopp einen Popstar nennen, warum der WDR ihn undistanziert zur Seele des Meisters erklärt. Warum ihn gestandene Profis wie Nuri Sahin wie einen Guru verehren. Weil er von echter Liebe nicht quasselt, sondern weil er sie lebt. Weil er in der Lage ist, andere damit anzustecken. Weil er formulieren kann, was andere nur fühlen. An Jürgen Klopp sieht man, dass ein Trainer mehr sein kann als ein Hütchenaufsteller, der innovative Übungsformen in peto hat, und auch mehr als ein Motivator. Er prägt diesen Verein weit über das Spielsystem hinaus. Er lebt den BVB. Er ist der BVB.

Götze wird dem BVB abgehen. Lewandowskis Abgang wird schmerzen. Vielleicht verlieren sie Hummels. Womöglich ist Gündogan nicht zu halten. Aber sie werden vorbereitet sein. Sie werden sie ersetzen. Sie werden stärker sein als vorher. Vielleicht führt sogar jemand anderes die Geschäfte dereinst genauso effizient wie Aki Watzke. Vielleicht hat jemand anderes ein ähnlich gutes Auge für unterbewertete Talente wie Michael Zorc. Was den BVB wirklich nachhaltig schwächen würde, wäre der Abgang von Jürgen Norbert Klopp. Er hat es bewiesen. Mir jedenfalls. Mit einer Pressekonferenz!

Schon Karl Valentin wusste, dass die Friedhöfe der Welt voll mit unersetzlichen Menschen sind. Es wird BVB-Trainer nach Jürgen Klopp geben. Aber er wird der Maßstab sein. Wenn der BVB 2063 in der hundertsten Bundesligasaison nur Platz 9 belegen sollte, werden die heute 16-jährigen ihren Enkeln erzählen, dass sie dabei waren in der Ära Klopp. Damals, als alles besser war. Damals, als sie im Champions League Halbfinale standen. Als in der Nacht vor dem Spiel die Hölle über sie hereinbrach und Jürgen Klopp den Weg herauswies.

Seit Dienstag weiß ich, dass die Bayern 2008 eine große Chance verpasst haben, als sie Klinsmann statt Klopp wählten. Den vermeintlichen Vater des Sommermärchens statt den gut gelaunten Experten, der im ZDF das Märchen erklärte. So großartig Heynckes arbeitet. So sehr ich mich auf Guardiola freue. Natürlich weiß man nicht, ob Klopp in München funktioniert hätte. Aber den Versuch hätte ich gerne gesehen. Einen Trainer, der nach einem 4:1 im CL-Halbfinale gegen Real Madrid die versammelte Weltjournaille dazu bringt, Erfurt zu googlen.

Ich war mir nicht sicher, ob ich meinen Bayern den Finaleinzug wünschen sollte. Weil die Angst vor einer Niederlage bei mir größer war als die Freude über die Teilnahme. Es wird gegen den BVB gehen. Es wäre der Untergang der Bayernwelt, wenn sie ein deutsch-deutsches Finale verlieren würden. Das zweite Finale am Stück! Das dritte in vier Jahren! Gegen den BVB! Es würde eine außerirdische Saison zerstören. Und doch: ich habe keine Angst mehr. Ich weiß, dass auf der anderen Seite einer wäre, dem ich es gönnen würde. Und ich meine nicht Mario Götze. Ja ich habs gesagt.
KOMMENTARE
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Spenser
28.04.2013 | 21:14 Uhr
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Spenser : 
28.04.2013 | 21:14 Uhr
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Spenser : 
Ganz toller Blog, Ich gebe es zu, ich mag die Bayern nicht, aber ich kenne so viele Bayernfans, die schwer in Ordnung sind.

Als HSV-Anhänger war er damals - bevor er nach Dortmund ging - auch in Hamburg im Gespräch. Ich war sehr skeptisch, hatte ihn für zu jung und zu unerfahren für die mediale Herausforderung in Hamburg gehalten. Ich gebe zu, ich habe mich völlig geirrt, die Erfolge des BVB sind zu großen Teilen auf ihn zurückzuführen und tragen seine Handschrift.

In der Niederlage Größe zeigen, das macht wahre Sportsmänner aus....
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ausLE
MODERATOR
28.04.2013 | 21:38 Uhr
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ausLE : 
28.04.2013 | 21:38 Uhr
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ausLE : 
ü-ber-ra-gend!!!
Klasse Blog kemperboyd!
10 Punkte

Einen Link für die PK von Herrn Klopp hätte es abgerundet.
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Weltimperator
29.04.2013 | 00:39 Uhr
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29.04.2013 | 00:39 Uhr
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@manitoba
ein meier hat kein geld mehr auf dem finanzmarkt bekommen, weil niemand mehr vertrauen in ihn hatte, aber hätte er sein scheitern zugegeben und ein neuer übernommen, watzke zum beispiel,wäre es wohl nicht nötig gewesen

weil mit den 2mio wurde ja keine umschuldung finanziert sonder lediglich zeit für meier erkauft
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toniailton
29.04.2013 | 22:51 Uhr
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toniailton : 
29.04.2013 | 22:51 Uhr
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toniailton : 
robben raus,lewa/madzukic/gomez etc.als 9er(obwohl ich die lösung,ohne echten mittelstürmer,immer attraktiver finde!"ode an den deutschen fussball")müller rechts,götze als 10er,ribery links,basti und martinez auf der doppel 6,alaba und lahm,dante und badstuber in der mitte und neuer im tor ... WTF ?!! O.o
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bvbstar
30.04.2013 | 14:02 Uhr
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bvbstar : 
30.04.2013 | 14:02 Uhr
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bvbstar : 
Super Blog 10/10 !

Fantastisch geschrieben und Klopp wäre aktuell wirklich der schlimmste Abgang hat den Verein in den letzten Jahren durch seine Art reformiert und getragen, eine neue Spielkultur eingepflanzt und einen Riesen mit dem Fanpotential wiedererweckt.
Bei der Pressekonferenz ein rhetorisches Meisterwerk abgeliefert und die Fans besänftigt kann man nicht genug würdigen !
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