Edition: Suche...
29.08.2011 um 15:06 Uhr
Nonplusultra an Persönlichkeit
Verachtung, Spott und Beleidigungen überschütteten vergangene Woche den (Ex-)Publikumsliebling Philipp Lahm, der es aktuell dank seines heute veröffentlichten, halb-autobiographischen Werks "Der feine Unterschied" im Profibarometer nur noch bei Frauen ab 35 Jahren über die Fünf-Prozent-Hürde schaffen würde. Dabei hat sich da ein vermeintlicher Ja-Sager von seinem aalglatten Schatten verabschiedet, aber dennoch scheint das nicht zu genügen, jedenfalls bis es zum gemeinsamen Kaffee mit der grauen Eminenz aus Leverkusen, mit Namen Rudi Völler, gekommen ist. Doch warum reagiert die Öffentlichkeit so biestig auf Lahms Druck?

Teaparty mal anders
Es ist nicht erst seit gestern so, dass der Profisport nach markanten Gesichtern und Charakteren giert. Die Presse lebt von hormon- oder Berater-gesteuerten Sportlern, die ähnlich anderer Prominenz für Schlagzeilen sorgen und uns mit mal interessanten, mal überflüssigen Eindrücken aus ihrem Leben und Gedanken beglücken. So schaffen es eifrige Schreiberlinge immer wieder mit Botschaften aus dem sportlichen Off zu unterhalten, während eigentlich nichts Bedeutendes passiert. Wir, das sind die Leser der Journaille, erfreuen uns darüber und zwitschern es eifrig in die sich nach Neuigkeiten sehnende Welt. Dass es dabei nicht selten zu Diskussionen über die Wortwahl, das Gedankengut oder die Außendarstellung der Ballsport- und Wortartisten kommt, ist gewollt und im Interesse aller Teilnehmer dieser Kaffeekränzchen.

Ohne Tratsch ist das Leben auch viel zu trocken und die bloßen Ergebnisse helfen wohl kaum, um ganze Anhängerschaften in Bewegung zu versetzen. So schaffen es also einige Sportler uns auch neben dem Platz bestens zu unterhalten und wir sind ihnen dafür durchaus dankbar. Anders ist es gar nicht zu erklären, dass Cristiano Ronaldos neues Spielzeug einen Run auf das Videoportal der Informationsmaschine The Sun bewirkt, weil dort ein zweiminütiger Clip über eine Fotosession an der Adria die holde Dame detailliert vorstellt. So funktioniert dieses Spiel mittlerweile ausgezeichnet, wir kennen Profis vermeintlich besser als je zuvor. Tiefe Einblicke in ihre Welt lassen uns nur noch mehr gieren, dieser Kreisel nimmt momentan überraschend Fahrt auf.

White blank page
Verteufelt sind die stumpfen und seelenlosen Ja-Sager, die uns immer und immer wieder nur das sagen, was wir eh schon wussten. Bei Interviews mit ihnen wird schnell auf stumm geschaltet oder das Weite im TV-Programm gesucht. So etwas kann man sich nicht anhören, geschweige denn lesen. In Foren und Kommentaren wird zu Interviews und Äußerungen dieser gesichtslosen Profisportler geflucht und geätzt, was die Tastatur und das in einem VHS-Kurs erlernte 10-Finger-Tippsystem hergibt. Man schenkt ihnen nur ein müdes Lächeln und Verachtung, weil sie keine Meinung haben. Sie werden als unfähige Persönlichkeiten verstanden, in ihren Sätzen findet sich kein Profil. Vorbehalte machen die große Runde, Zweifel an ihrer sportlichen Klasse in Verbindung mit der Unfähigkeit im bunten Medienzirkus gesetzt. Wir kreiden diesen bedauernswerten Geschöpfen im Körper eines Athleten etwas an, was man nur schwer mit ihrer Profession in Verbindung setzen kann, doch wir tun es trotzdem.

Introvertierte Sportler sind in der medial gesteuerten Unterhaltungsindustrie Profisport schwer zu vermitteln und müssen schon besonders talentiert sein, um nicht gänzlich in der Bedeutungslosigkeit zu versinken. Wer nicht via Facebook gemocht wird, ist für Nebeneinkünfte im Werbesektor gänzlich unbrauchbar.
Selbstverständlich gibt es auch Ausnahmen, trotz ihrer Andersartigkeit gemochte Akteure, die von den eigenen Fans auf Händen getragen werden. Doch fällt es auch denen nicht immer leicht, gegen die Flut an Schmähungen in den Web 2.0-Meinungskrieg zu ziehen. Aufopferungsvoll verteidigen sie ihre Lieblinge und kontern mit allerlei findigen Versuchen wie "Wichtig ist, was auf dem Platz ist". Aber auch das ändert nichts daran, dass die breite Maße mehr Gefallen an den bunten Vögeln findet. Langweiler sind nichts für diesen Zirkus.

Quo vadis, Lahm?
Passenderweise erlebt man nun live und in voller Wucht den Wandel eines Akteurs vom viel gescholtenen Ja-Sager zum auch abseits des Platzes lauten Mediaplayers. Die heutige Veröffentlichung seines Buches hat Philipp Lahm in der vergangenen Woche eine heftige Flut von Kritik und Wut entgegengebracht. Wie selten zuvor war man sich über die Unzulänglichkeiten seines Karrierezerstörers auf 269 Seiten sicher. Aus allen Ecken raunte Kritik an den Musterknaben und sonst nur in Charity-Projekten auftretenden Schwiegersohn-Prototypen heran. Die tägliche Promotion in der Bild-Zeitung bewirkte ein immer wieder neues Auflodern des medialen Flächenbrandes und mittendrin stand ein kleiner Mann, der die Welt nicht mehr verstand. Gnädigerweise sind ihm die Spötter und Kritiker aus seiner Ja-Sager-Zeit einheitlich gefolgt und wettern nun umso heftiger gegen sein Werk, das ihn aus der viel belächelten Ecke des Klassenzimmers bringen sollte. Zum Entertainer wird es Lahm zwar so nicht bringen, aber Aufmerksamkeit ist ihm gewiss und eine Brandnarbe, die nur langsam verheilen wird. Doch warum reagieren der gemeine Fan, die einstigen Kritiker (seines aalglatten Images) und die große Fußballprominenz so harsch?

Es ist bereits im Vorfeld soviel über so wenig geschrieben und diskutiert worden, dass das eigentliche Thema nicht länger sein Buch ist, sondern einzig und allein sein Charakter. Schnell wurde an den Auszügen, die den Blätterwald in der letzten Woche füllten, festgemacht, dass Philipp Lahm ein unehrlicher und feiger Mensch sei. Und hier wird dann offensichtlich, wie das große Spiel außerhalb des Fußballfelds funktioniert. Man kann weder steuern, noch maßgeblich beeinflussen, wie die Maße reagiert, denn die Aktion selbst ist nur ein Teil der folgenden Reaktion. Ob dieser Versuch auf "mit Sicherheit den schlechtesten Berater, den es gibt" (Stefan Effenberg bei Sky), zurückzuführen ist, wird sich wohl erst zeigen, sobald sich genauer mit dem gesamten Inhalt des Buches auseinandergesetzt wurde. Denn soviel kann schon jetzt gesagt werden: das hat mit großer Wahrscheinlichkeit kaum jemand getan, der so arg Kritik übte.
Typisch für den Medienzirkus.

Entertainment à la carte
Zwar leidet der Sport unter den bunten Randnotizen seiner Akteure, weil das Bild vieler Sportler durch den medialen Zuckerguss kaum genießbar ist, aber darauf kann schon lange keiner mehr verzichten. Die verträumte Darstellung, die Mario Götze nach Saisonbeginn erfuhr, ist dafür nur eines vieler Beispiele. Auch dort wurde das Theater auf die Spitze getrieben, das, wie konnte es anders sein, einen herben Abrutsch in die Realität fand, als weitere Partien folgten und Weltklasseleistungen ausblieben. So sehr sich dieses Spektakel an Hypes und Dramen aufbauscht, es bleibt Sport. Die wahre Gala findet auf dem Platz statt, nicht daneben.


In diesem Sinne,

tobzzzzn
Aufrufe: 5836 | Kommentare: 22 | Bewertungen: 8 | Erstellt:29.08.2011
ø 7.9
KOMMENTARE
Um bewerten und sortieren zu können, loggen Sie sich bitte ein.
Gotti1963
07.09.2011 | 09:32 Uhr
0
0
Gotti1963 : @Zielpublikum
07.09.2011 | 09:32 Uhr
0
Gotti1963 : @Zielpublikum
Sorry, so war es doch gar nicht gemeint. Ich habe mich sehr ungeschickt ausgedrückt!
Deine Frage war selbstverständlich völlig legitim.

Ich wollte nur zum Ausdruck bringen, dass es aus meiner Sicht, in diesem blog, weniger um den Inhalt, von Lahms Geschreibsel geht, als um die öffentliche Wahrnehmung, und Reaktion auf seine geistigen Ergüsse, und dass man das aufgeregte, unreflektierte, an diesen Reaktionen, auch bewerten kann, ohne dass man sich für den Inhalt des Buches interessiert.
Dieses Desinteresse, an dem, was Lahm nun geschrieben hat, unterstelle ich sehr vielen, die sich eine Meinung, über den Inhalt gemacht haben, und dann, Rückschlüsse auf Lahms Charakter ziehen. Dafür aber, sollte man das Buch aber mal definitiv gelesen haben.
Da ich dieses Buch nicht gelesen habe, erlaube ich mir auch nicht, irgendetwas zum Inhalt zu sagen, sondern beschäftige mich einzig und allein, mit dem medialen Aufriss, der da veranstaltet wurde.
Sorry nochmal, für dieses Missverständnis... Mein Fehler!
0
Zielpublikum
07.09.2011 | 10:25 Uhr
0
0
Zielpublikum : @Gotti1963
07.09.2011 | 10:25 Uhr
0
Zielpublikum : @Gotti1963
Dann sind wir ja sogar auf der gleichen Welle.

Ich hab auch nur noch mal nachgehakt auf deinen Kommentar, weil es manchmal tatsächlich anders gemeint ist, als das was dann rüberkommt. Alles alles ok!

Ich lese das Ding übrigens gerade und werde berichten, was so drin steht.
0
COMMUNITY LOGIN
Du bist nicht angemeldet. Willst Du das ändern?
Benutzername:
Passwort:
 

Wir aktualisieren unsere Nutzungsbedingungen und unsere Datenschutzrichtlinie. Wir haben neue Community-Richtlinien zur Inhaltsnutzung - Verhaltenskodex eingeführt und mehr Informationen darüber bereitgestellt, wie wir Ihre Daten erheben und nutzen. Indem Sie unsere Website und unsere Dienste weiterhin nutzen, stimmen Sie diesen Aktualisierungen zu.
Neueste Kommentare
Neunmalklug
Artikel:
Kein Bayer Spiel ohne krassen Torwartbock, rote Karte oder 20 min Nachspielz
18.05.2024, 15:43 Uhr - 12 Kommentare
Müllerer
Artikel:
ach Augsburg spielt für Leverkusen?
18.05.2024, 15:43 Uhr - 59 Kommentare
THE_ELITE
Artikel:
Klingt für mich nach totaler Überforderung
18.05.2024, 15:40 Uhr - 7 Kommentare
Hassel_the_Hoff
Artikel:
Ein Trainer der Journalisten angreift, Rummenigge und Hoeneß müssen schockve
18.05.2024, 15:40 Uhr - 6 Kommentare
mrpunk
Artikel:
@Abshak Weiß nicht wer verrückter ist der Oli oder Mad Jens. Neben dem Platz
18.05.2024, 15:36 Uhr - 54 Kommentare
Stefanos
Artikel:
Bei Mavs und Knicks, beide 50 Siege, ist das so: die Mavs stehen vor den Kni
18.05.2024, 15:28 Uhr - 69 Kommentare
jimimadrid
Artikel:
War nicht Barcelona an Estevao dran? Woran hat es denn diesmal gehapert? An
18.05.2024, 15:22 Uhr - 14 Kommentare
Abshak
Artikel:
turnbeutel   da lehnste dich aber weit ausm fenster
18.05.2024, 15:21 Uhr - 1 Kommentare
amerika
Artikel:
Er tritt in große Fußstapfen. Es zeigt auf jeden Fall von großem Selbstvertr
18.05.2024, 15:16 Uhr - 20 Kommentare
Gadsden
Artikel:
Diese EM wird den Blick auf Deutschland komplett neu definieren. Dank auslän
18.05.2024, 15:14 Uhr - 4 Kommentare